piwik no script img

Karsamstag: Ostermarsch durch MoabitFrüher war mehr Ostermarsch

Seit den 60er Jahren gehen die Menschen für Frieden und Abrüstung auf die Straße. Natürlich auch in Berlin. Über die Anfänge der Ostermärsche.

Mehrere tausend TeilnehmerInnen: Ostermarsch 2017 in Berlin Foto: dpa

Am Anfang war die Atombombe. Die bedingungslose Kapitulation ist erst zehn Jahre her, da gibt es schon wieder eine Armee in Deutschland. Und einen Bundeskanzler, der sagt: „Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie.“ Sofort melden sich prominente Kernphysiker zu Wort, die der Nachwelt als Göttinger Achtzehn bekannt sein werden. Sie schreiben ein Manifest, in dem sie über die Unberechenbarkeit der Atombombe mit der „lebensausrottenden Wirkung“ aufklären. Sie lösen damit eine weltweite Debatte aus. Kanzler Adenauer bleibt bei seiner Entscheidung, die Stationierung atomarer Sprengköpfe beginnt.

Drei Jahre später wird wie schon in Großbritannien auch in der Bundesrepublik „gegen atomare Kampfmittel jeder Art und jeder Nation“ das erste Mal auf der Straße protestiert. 1.000 Friedensaktivist:innen marschieren im April 1960 von Hamburg-Harburg zum Atomraketenstützpunkt Bergen-Hohne im niedersächsischen Celle. Es ist der erste Ostermarsch in der Geschichte der Bundesrepublik und der Beginn der hiesigen Friedensbewegung.

Den Norddeutschen folgen bald auch andere Städte. Bis es den ersten Ostermarsch in Berlin gibt, dauert es aber noch. Es ist die strategische Lage Westberlins nach dem Mauerbau 1961, die die „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“ zunächst davon abhält, auch dort einen Ostermarsch durchzuführen. Erst 1967 zieht der erste Ostermarsch in Berlin vom Rathaus Neukölln zum Hohenzollernplatz in Wilmersdorf. An ihm nehmen 3.000 Menschen teil. Die Kommune 1 verteilt bei der Kundgebung einen Flyer mit einem Text von Fritz Teufel. Auf ihm steht: „Ostermarschierer, Ostermärtyrer, Ihr demonstriert für die Zukunft. Ihr protestiert gegen die Bombe. Selber wollt ihr keine legen. Die Bombe steckt im Detail.“

Als der Rädelsführer der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, am Gründonnerstag 1968 bei einem Anschlag lebensgefährlich verletzt wird , kommt es schließlich zu den größten Krawallen in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Ostermärsche, die in ganz Deutschland mittlerweile zur Massenbewegung angewachsen sind, verbinden sich in Berlin mit dem Zorn der Studentenbewegung. Er richtet sich nun auch gegen die Notstandsgesetze und den Springer-Verlag. Weil daraufhin die außerparlamentarische Opposition (APO) erstarkt, geraten die Ostermärsche ein wenig in Vergessenheit.

Schmidt brachte Massen auf die Straße

Berliner Ostermarsch zieht am 31. März durch Moabit

Verschiedene Friedensinitiativen treffen sich am Samstag, dem 31. März, zum traditionellen Berliner Ostermarsch. Das Motto lautet: „Abrüsten statt aufrüsten – Rüstungsexporte stoppen“. Die Demonstration richtet sich auch gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Erhöhung der Rüstungsausgaben. Auftakt ist um 12 Uhr vor der Heilandskirche an der Thusnelda-Allee in Moabit. Die Route wird von der Turm­straße durch die Gotzkowskystraße, die Levetzowstraße, vorbei am Mahnmal zum Gedenken an die deportieren Berliner, und durch die Bochumer Straße zurück zur Heilandskirche führen. Bei der Auftaktkund­gebung um 12.00 Uhr spricht der Linke-Bundestagsabgeordnete und Musiker Dieter Dehm. Zum Abschluss ist eine Rede von Theologe und Autor Eugen Drewermann geplant. (dpa)

Erst Bundeskanzler Helmut Schmidt ändert das. Auf sein Drängen hin wird 1979 der Nato-Doppelbeschluss verabschiedet: Sollten die Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion keinen Erfolg erzielen, würden in Deutschland neue Atomsprengköpfe installiert werden. Die Friedensbewegung reagiert auf dieses beschworene „Gleichgewicht des Schreckens“ – und geht wieder zu Tausenden auf die Straße.

In Berlin organisiert die Hauptschullehrerin Laura Wimmersperg 1982 einen Ostermarsch mit mehreren Zehntausend Menschen. Er startet am Teufelsberg, einem damaligen US-amerikanischen Horchposten.

Seit dem Mauerfall ist die Teil­neh­mer:innenzahl der Ostermärsche rapide gesunken. Nur 2003 gilt als große Ausnahme. In diesem Jahr protestierten allein in Berlin 500.000 Menschen gegen den Irakkrieg. 2017 sind in Berlin laut Angaben des Veranstalters nur 2.000 Menschen auf die Straße gegangen.

Woran das liegt? 2017 sagte der langjährige Sprecher der Ostermärsche, Willi van Ooyen, im taz-Interview: „Die Mobilisierungsfähigkeit hängt davon ab, ob die Menschen glauben, dass ihr Protest etwas bewirken kann.“ In der Rückschau bedeutet das laut Ooyen aber auch: Die Friedensbewegung habe immerhin erreicht, dass es in der deutschen Gesellschaft ein pazifistisches Bewusstsein gebe. Das stimmt. 83 Prozent der Deutschen sprechen sich gegen Waffenexporte aus, 61 Prozent gegen eine Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Laut der neuesten Studie des schwedischen Forschungsinstituts Sipri bleibt Deutschland trotzdem der viertgrößte Rüstungsexporteur weltweit. Das Motto des Berliner Ostermarsches ist deswegen nicht nur aufgrund jüngster diplomatischen Entwicklungen gut gewählt. Es lautet: „Abrüsten statt aufrüsten“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Nur mal so: Die Bundesrepublik Deutschland ist mit 2 % am gesamten Welthandel mit Waffen beteiligt. Würden wir garkeine Waffen mehr exportieren, bräche der Weltfrieden aus. Packen wir es an!

    • @finches:

      Können Sie bitte ihre Behauptung, dass die Bundesrepublik Deutschland mit 2 % am gesamten Welthandel mit Waffen beteiligt ist, elaborieren.

       

      Vor allem würde mich interessieren, was sie unter "gesamten Welthandel mit Waffen" verstehen.

       

      Zählen Sie es auch zum Welthandel mit Waffen, wenn etwa der deutsche Konzern Heckler und Koch der Bundeswehr Sturmgewehre verkauft?

       

      Zählen Sie es auch zum Welthandel, wenn in den USA Waffen an Zivilisten verkauft werden?

       

      Auch das ist Handel mit Waffen in dieser Welt - allerdings handelt es sich nicht um Export von Waffen.

       

      Und mich würde interessieren, ob Sie, wenn Sie auf die Bundesrepublik Deutschland abstellen, tatsächlich diese meinen oder ob sie damit deutsche Rüstungskonzerne meinen, die Waffen exportieren.

       

      Es macht ja ein Unterschied, ob Waffen von der Bundesrepublik Deutschland oder von einem deutschen Rüstungskonzern verkauft werden.

       

      Wenn man bei der Auslegung Ihrer Behauptung etwas kreativ ist, könnte man vielleicht dazu kommen, dass sie stimmt.

       

      Andernfalls wird man zum Ergebnis kommen, dass der Marktanteil von deutschen Rüstungsunternehmen am Export von konventionellen Waffen im Zeitraum von 2013 bis 2017 kumulativ bei etwa 5,8 Prozent lag und dass die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2016 der weltweit drittgrößter Waffenexporteur war.

       

       

       

      Ob der Weltfrieden ausbräche, wenn aus Deutschland keine Waffen mehr exportiert werden würden, kann zur Recht bezweifelt werden.

       

      Nur entbindet uns das nicht von der moralischen Verantwortung, die wie haben, weil Menschen mit Waffen getötet werden, die aus Deutschland exportiert wurden.

       

      Natürlich: Menschen sterben. Wenn sie nicht getötet werden, sterben sie irgendwann einmal an Krankheiten, an Unterernährung, bei Unfällen oder an Altersschwäche.

       

      Das heißt aber nicht, dass es deshalb weniger schlimm ist, wenn man Menschen tötet - oder Menschen Waffen gibt, mit denen sie andere Menschen töten.

  • Aufschlussreich bzw. nachdenkenswert: Je mehr in den letzten Jahren weltweit aufgerüstet wird (auch rhetorisch) und die Bundesregierung weiterhin Waffen nach Saudi-Arabien, nach Ägypten und in die Türkei , ... Waffen liefert (und das noch nach (!) dem Afrin-Angriff der türk. Armee), wird die Ostermarschbewegung immer kleiner... Resignation? Fatalismus? Andere Gründe?