Daniél Kretschmar wundert sich nicht, dass der AfD in Neukölln ein Stadtrat abhanden gekommen ist: Bäumchen wechsel dich
Ein Politiker wechselt die Partei. Kein sonderlich aufregender Vorgang, auf lokaler Ebene zumal. Da mag es Unstimmigkeiten persönlicher Natur mit den unmittelbaren ParteifreundInnen geben, Hoffnungen auf bessere Aufstiegschancen bei der Konkurrenz oder auch ganz prinzipielles Unbehagen mit dem eigenen Laden.
So geschehen einem Bernward Eberenz. Im Juli des vergangenen Jahres war ihm, anlässlich der drohenden Nominierung eines unleugbar rechtsradikalen Bundestagskandidaten, aufgefallen, dass seine Partei, die AfD, wohl doch ein eher schwer als bürgerlich-gediegen vermittelbarer Haufen sein könnte. Eberenz trat also aus und nach reiflicher Überlegung ein – in die CDU nämlich, wie am Dienstag bekannt wurde. Bemerkenswert ist dieser Schritt nur deshalb, da der Mann auf AfD-Ticket Stadtrat in Neukölln ist; ein Beamter auf Zeit, zuständig für Umwelt und Natur.
Damit stellt die CDU jetzt zwei der fünf Mitglieder des Bezirksamtes, die AfD keines mehr. Die Grünen haben eines, die SPD ebenso, dazu den Bezirksbürgermeisterposten. Das Bezirksamt wird zwar nach Proporz der in der Bezirksverordnetenversammlung vertretenen Parteien gewählt, jedoch ist diese Wahl eine personalisierte für die Dauer der gesamten Wahlperiode. Wer die eigenen Räte vergrault, verliert Einfluss und öffentliche Sichtbarkeit. Um einen abtrünnigen Stadtrat aber seines Amtes zu entheben, wäre die Mobilisierung einer Zweidrittelmehrheit in der BVV nötig. Der ohnehin recht aussichtslose Versuch allein scheint der AfD der Mühe nicht wert zu sein.
Irgendwie dumm gelaufen – oder gut, zumindest aus Sicht der CDU. Die kann nun überlegen, ob sie die Berliner Bezirksämter auf diese Weise nicht gänzlich AfD-frei machen und en passant die dominierende Kraft auf Bezirksebene werden möchte. Einfach durchlässig bleiben und die CDU in der traditionellen Ideologiemanufaktur auf die „Rückgewinnung ihres konservativen Kerns“ (Zitat Eberenz) zurechthobeln.
Allein, das Problem mit der Durchlässigkeit ist, dass sie nicht so ohne weiteres als Einbahnstraße funktionieren will. Denn, wer Türen offenhält, muss damit leben, dass Menschen sie in beide Richtungen durchschreiten oder gleich die ganz große Runde drehen. Wie zum Beispiel ein gewisser Daniel Krüger, der es von der SPD über die CDU nun wiederum bis zur AfD geschafft hat und dafür mit dem Posten des Stadtrats für Ordnung und Umwelt in Pankow belohnt wurde. Ein Posten, den er, wenn die Reiselust ihn wieder packen sollte, auch jeder anderen Partei in den Schoß legen kann.
Um politische Kerne geht es offensichtlich irgendwann nicht mehr. Die Idee einer wenigstens ungefähren Repräsentanz des Willens der WählerInnen im Bezirksamt steht im Zweifelsfalle hinter anderen Interessen zurück. Einerseits. Andererseits ist vielleicht genau das der Kern der ganzen Angelegenheit: eine gewisse Beliebigkeit der Funktionsträger. Verwaschene Grenzen, die der CDU an dieser Stelle zwar peinlich sein könnten, letztlich aber auch Ausdruck sind für die dünne verfügbare Decke an qualifiziertem oder qualifiziert erscheinendem Personal, das noch dazu seine Ambitionen bei sich bietender Gelegenheit entweder auf der nächsthöheren Politikebene oder eben bei der Konkurrenz auszuleben versucht.
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