piwik no script img

Amt kürzt Familie Miete

Das Jobcenter kürzte einer Alleinerziehenden die Miete, weil ihr ältester Sohn nicht genug Bewerbungen schrieb. Das ist aber nicht erlaubt und wurde nun korrigiert

Von Kaija Kutter

Die Frau solle sich keine Sorgen machen, die Miete werde weiter überwiesen, hatte die Jobcenter-Pressestelle der taz vor wenigen Tagen versichert, als wir erstmals über den Fall berichtet haben. Doch es kam so hart, wie die alleinerziehende Mutter Eva L. befürchtete, nach dem ihrem ältesten Sohn das Arbeitslosengeld II voll gesperrt wurde. Im gültigen Bescheid der Familie für April, Mai und Juni fehlte anteilig Geld für Miete, Heizung, Strom und Wasser.

„Uns bleiben nur rund 400 Euro, davon können wir nicht leben“, sagte Eva L., die mit ihren drei Kindern, 15, 18 und 21 Jahre alt, in einer 3,5-Zimmer-Wohnung in Schnelsen wohnt. Hinzu kommen Lehrgeld der Tochter und zweimal Kindergeld. Der älteste Sohn ist ohne Job und, wie berichtet, für drei Monate bekommt er kein Geld, sondern nur Lebensmittelgutscheine für 208 Euro.

Hartz-IV-Familien leben ohne Reserven. Eva L. weiß nicht, wie sie die Differenz von 206 Euro für Miete und Nebenkosten ausgleichen soll. „Ich fürchte, dass sie uns das Wasser abstellen und die Wohnung kündigen“, sagte sie noch am Montag.

„Dieser Bescheid ist empörend“, sagt Carola Ensslen (Die Linke) und verweist auf ein Urteil des Bundessozialgerichts von Mai 2013. Das entschied in einem ähnlichen Fall aus Kiel, dass das Jobcenter bei Sanktion eines Familienmitglieds dessen wegfallenden Mietanteil bei den Übrigen als „notwendige Kosten der Unterkunft“ anerkennen muss. Denn deren faktische „Mithaftung“ sehe das Gesetz nicht vor.

Entsprechend lautete auch die beruhigende Auskunft der Jobcenter-Sprecherin am Freitag. Es gelte das „Kopfteilprinzips“. Bei Sanktion eines Familienmitglieds wären die Unterkunftskosten durch die Zahl der Verbleibenden zu teilen. Nur hatte die Sachbearbeiterin von Eva L. dies nicht berücksichtigt.

In großer Sorge ging die Mutter mit ihrem Sohn am Dienstag zum Sozialgericht und beantragte für sich und ihre drei Kinder den „Erlass einer einstweiligen Anordnung“. Außerdem legten sie Widerspruch gegen die Sperre an sich ein.

Geld gesperrt

Rund 3.500 erwerbsfähige junge Menschen unter 25 leben in Hamburg derzeit von Arbeitslosengeld II.

Mindestens eine Kürzung der Bezüge hat von dieser Altersgruppe etwa jeder Vierte erlebt. Im Oktober wurden 916 und im November 886 Betroffenen das Geld gekürzt.

Voll sanktioniert, also ohne Geld auch für Miete, wurden im Oktober 123 und im November 103 junge Hamburger.

Insgesamt fehlen der Familie für drei Monate jeweils 332 Euro. Das ist die Strafe dafür, dass der Sohn nicht nachweisen konnte, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt zehn Bewerbungen abgeschickt hatte. Eva L. sagt: „Das war mein Fehler.“ Sie habe versehentlich die Briefe zur Post gebracht, bevor der Sohn die zum Nachweis nötigen Adressen noch einmal notieren konnte.

Ensslen empört der Vorgang so sehr, dass sie am Mittwoch als Abgeordnete einen Brief an das Jobcenter faxt. Kurz darauf, am späten Nachmittag, informiert dessen Pressestelle die taz darüber, dass für Familie L. an diesem Tag ein neuer Bescheid versandt wurde. „Die Berücksichtigung des sogenannten ‚Kopfteilprinzips‘ wurde leider mit Bescheid vom 27. 02. 2018 versäumt und heute mit Bescheid vom 14. 03. 2018 korrigiert“, schreibt Sprecherin Heike Böttger. Die Familie erhalte auch im Sanktionszeitraum die volle Miete. Außerdem lade man Frau L. und ihren Sohn zum Gespräch über Angebote der Jugendberufsagentur ein. Sanktionen, so Böttger, seien die Konsequenz aus dem Gesetz: „Niemand in den Jobcenter-Standorten arbeitet gerne damit.“

Ensslen nennt Sanktionen kontraproduktiv. Sozialberater berichten der taz gar von Fällen, in denen Jugendliche sich ganz abmelden, um ihren Familien diesen Stress zu ersparen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen