Porträts von NSU-Ermittlern: Ermittlungen in Aquarell

Die Hamburger Künstlerin Katharina Kohl hat in sechs Jahren 40 NSU-Ermittler porträtiert. Jetzt sind sie erstmals öffentlich zu sehen.

Katharina Kohl steht vor Bildern in ihrem Atelier

Fühlt sich malend in die Psyche der NSU-Ermittler ein: Katharina Kohl in ihrem Hamburger Atelier Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Wenn Katharina Kohl NSU-Ermittler malt, gleicht ihre Arbeit der von Profilern. Jener Kriminologen, die sich in gesuchte Verbrecher einfühlen, um zu ergründen, was das für Leute sind. Allerdings malt die Hamburger Künstlerin, deren Bilder derzeit ausgestellt werden, keine Verbrecher. Sie porträtiert Kriminalbeamte und Verfassungsschützer, die zehn rassistisch motivierte Morde sowie 13 Raubüberfälle geschehen ließen, weil sie die Täter nicht unter Rechtsextremen suchten.

„Ich wollte etwas über die Menschen herausfinden, die da ermittelt haben“, sagt die Künstlerin. „Wollte dieses Netzwerk aus Kriminalbeamten und Verfassungsschützern für mich und andere sichtbar machen. Dieses Gewebe aus Menschen und Motivationen, aus inszenierten und echten Zufällen, aus Karrierismus, Feigheit und Rassismus.“

Für ihre Recherche nutzt Kohl eine spannende, ungewöhnliche Methode: Sie malt die Gesichter in Aquarelltechnik, das heißt: schnell und unkorrigierbar, einen Eindruck bannend, einen intuitiven Moment. Den hat sie gründlich vorbereitet: Etliche Videos hat sie geschaut, ist zu Untersuchungsausschüssen gereist, hat Hunderte Protokolle gelesen, um den NSU-Ermittlern näher zu kommen.

Allerdings nicht zu nahe, denn dann ist sie blockiert, dann geht ihr die Distanz verloren. „Mit einem habe ich kurz gesprochen, und dann hat es lange gedauert, bis ich ihn malen konnte“, sagt Kohl. Denn ihre Porträts zielen ja nicht auf physiognomische Ähnlichkeit. Die Künstlerin interessiert sich vielmehr für die Haltung des Kopfs im Raum. Sie hält fest, wie jemand zu seiner Umwelt steht, wie viel Raum er einnimmt und wie er ihn füllt.

Katharina Kohls Ausstellung "Personalbefragung/Blickraum Innere Sicherheit" ist bis 7.4.2018 zu sehen in der Hamburger Galerie Postel, Rutschbahn 2

Die Resultate sind erstaunlich. Als Kohl zum Beispiel Helmut Roewer, den Expräsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes gemalt hatte, schien er plötzlich ein anderer zu sein. Ursprünglich war er ihr nur aufgefallen, weil er die NSU-Morde vor laufender Kamera mit den Worten „damit muss man leben“ kommentiert hatte. „Darüber war ich so entsetzt, dass ich genauer wissen wollte, wie dieser Mensch beschaffen ist“, sagt die Künstlerin. „Zumal er Teil des Systems ist, dem wir alle unsere Sicherheit anvertrauen.“

Also hat sie Roe­wer im Februar 2012 spontan gemalt – und sah auf dem fertigen Aquarell „einen sich sehr wichtig nehmenden Menschen mit dem Wunsch, intellektuell zu wirken. Außerdem dachte ich: Der trinkt viel Rotwein“. Was damals noch niemand wissen konnte.

Katharina Kohl hatte eine Methode gefunden, die einen Teil der faktischen und zdem die innere Wahrheit eines Menschen offenbarte. Sie beschloss – auch aus Entsetzen über den Mord an Süleyman Taşköprü in der Nähe ihres Hamburger Ateliers – 40 Ermittler zu malen, um Individuen und Verknüpfungen des Ermittler-Netzwerks besser zu verstehen.

Auslöser war der abgefackelte „Kunst-Imbiss“

Erfunden hatte sie diese Methode ein halbes Jahr vorher. Damals war der „Kunst-Imbiss“ von Kohl und ihrem Künstlerkollegen DG Reiss, der den Diskurs über Kunst zum Programm hat, nachts auf einem öffentlichen Platz in Hamburg abgefackelt worden. Doch obwohl das Überwachungsvideo mehrere verdächtige Personen zeigte, ermittelte die Polizei nicht.

Um dieser Passivität der Staatsorgane etwas entgegenzusetzen und vielleicht doch etwas herauszufinden, malte Kohl die Gestalten auf dem Überwachungsvideo. Ihr Fazit: „Nachdem ich den Flaschensammler auf dem Video gemalt hatte, wusste ich: Er hat damit nichts zu tun. Bei den anderen bin ich nicht sicher.“ Und auch wenn sie nicht die „Wahrheit“ fand: Das Malen nahm ihr die Ohnmacht, half bei der Verarbeitung des persönlichen Schocks.

Genau diese Hilflosigkeit, das Gefühl, vom Sicherheitsapparat im Stich gelassen zu sein, erkannte sie dann wieder, als sie von den Pannen der NSU-Ermittler erfuhr. Da dachte sie: „Ich versuche es mit dieser Methode, weite den Blick ins Politische.“

Manchmal wartet sie Tage auf die Neugier

Das macht man natürlich nicht mal eben. Da muss sie sich „weit machen, durchlässig werden, einen inneren Raum bereitstellen, auch einen Zeitraum – und warten, bis ich neugierig bin“, erzählt sie. „Manchmal schleiche ich tagelang herum, bevor ich merke: Jetzt bin ich wirklich an diesem Menschen interessiert.“

Besonders schwer ist ihr das bei Andreas Temme gefallen, jenem Verfassungsschützer, der während Haliz Yozgats Ermordung im selben Kasseler Internet-Café saß und nichts bemerkt haben will. „Da dachte ich plötzlich während des Malens: ‚Ich kann das nicht machen, ich kann ihn nicht zeigen, den armen Mann‘“‚ sagt Kohl. „Das war ganz eigenartig.“

Und dann vollzog sie sie – einem Profiler gleich –, jene innere Entwicklung, die ihrer Ansicht nach eigentlich Temme durchleben müsste. „Ich habe mir gesagt: ‚Ja, man kann mit der Lüge weiterleben, dann ist die Karriere gesichert, sind Frau und Kind versorgt. Aber es ist trotzdem besser, die Wahrheit zu sagen.‘“

Dabei weiß Kohl bis heute nicht, worin die Lüge konkret bestehen könnte. „Aber es gibt bei Temme Ungereimtheiten und Dinge, die nicht auf den Tisch gekommen sind“, sagt sie. „Nicht umsonst hat das Landesamt für Verfassungsschutz in Hessen den Untersuchungsbericht zu genau diesem Fall für 120 Jahre weggeschlossen.“

Subtile Wahrnehmung

Andere Porträts hat die Künstlerin lange vor sich hergeschoben. Klaus Dieter Fritsche etwa, Staatssekretär im Innenministerium und graue Eminenz des Sicherheitsapparats, „kam mir wie ein farbloser Bürokrat vor, immer im Hintergrund arbeitend“, sagt sie. „Als ich ihn endlich gemalt hatte, war ich schockiert über den bedingungslosen Gehorsam, der mir da entgegenblickte.“

Es ist, als ob sich bei ihr während des Malens winzige Antennen bildeten, subtile Dinge wahrnehmend, die kein Foto zeigt. Entsprechend fein, hauchzart, pastellen wirken die derzeit in der Hamburger Galerie Postel gezeigten Porträts: einige forsch, provozierend, verschlagen, andere abwesend, sich verflüchtigend – aus der Welt, der Verantwortung, aus dem Bild.

„Als ich im Herbst erstmals alle 40 gleichzeitig im Atelier hängen hatte, konnte ich da zwei Tage lang nicht hineingehen“, erzählt Kohl. „In dieser Dichte konnte ich das anfangs nicht bewältigen. Denn ich sehe ja nicht nur irgendwelche Köpfe. Sondern mich erreicht die ganze damit verbundene Information.“

Vor ihrem Aquarell des BKA-Chefermittlers Christian Hoppe hat sie sich sogar eine Zeitlang gefürchtet, „dabei schätzte ich ihn eigentlich als intelligenten, nicht rassistischen Menschen“, sagt sie.

Riesiges Puzzle

Wie hoch war eigentlich der Rassisten-Anteil bei den Behörden; war dies in ihren Augen eine gesteuerte Ermittlung? „Nein“, sagt Kohl. „Natürlich äußerten sich einige Schlüsselfiguren wie der einstige Staatssekretär August Hanning klar rassistisch, als sie die NSU-Opfer pauschal als ,Gemüsehändler' diffamierten.“

Aber es habe auch andere gegeben – etwa den Profiler Alexander Horn, dessen frühe Rechtsextremismus-These auch deshalb nicht öffentlich wurde, weil man die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland nicht belasten wollte.

„Das ist ein Riesenpuzzle, dessen Einzelteile ich zusammenzulegen versuche“, sagt Kohl. Und natürlich fände sie es schön, irgendwann die Wahrheit zu kennen. Aber für einfache Antworten sei die Sache zu komplex.

„Diese Erkenntnis macht die Morde nicht weniger furchtbar“, sagt die Künstlerin. „Und manchmal während der letzten sechs Jahre dachte ich, ich könnte das Projekt nicht weiterführen.“ Auch Freunde rieten ihr, positivere Themen zu suchen.

Ermittler ein letztes Mal präsent

Aber sie wollte nicht. „Für mich ist es positiv, so viel wie möglich über diese Zusammenhänge zu erfahren“, sagt sie. „Wenn man versucht zu verstehen, muss man die Realität nicht mehr abwehren und verdrängen.“

Und jetzt sind sie also fertig und erstmals ausgestellt, die 40 Porträts – alles Männer, weil das den Frauenanteil des Systems abbildet. Allerdings hängen sie nicht nebeneinander; das wäre auch für die Besucher eine Überforderung. Sondern in herausziehbaren Schubern, die einen fast privaten Dialog mit den Bildern erlauben.

Und wenn es zu viel wird, kann man sie wieder wegschieben, diese Menschen, die meist im Verborgenen arbeiten und ihre Fotos oft längst aus dem Internet gelöscht haben. Hier sind die gescheiterten NSU-Ermittler noch einmal präsent, bevor man sie ganz vergisst.

Ergründen, wie Erinnerung funktioniert

Sie selbst haben mit dem Vergessen übrigens längst begonnen; etliche haben sich in den Untersuchungsausschüssen auf Erinnerungslücken berufen. Einige dieser Protokolle hat Kohl an die Galeriewände gehängt. Der Text ist geschwärzt, nur Sätze wie „Das ist mir nicht erinnerlich“ oder „Dass es mir nicht erinnerlich ist, deutet in die Richtung, dass es auch nicht stattgefunden hat“ sind leserlich.

Das ist eine kluge Umkehr der gängigen Praxis, Geheimes zu schwärzen – verknüpft mit einem Hauch von Ironie. „Ich wollte ein bisschen Leichtigkeit in diese ernste Arbeit bringen“, sagt die Künstlerin. Lächerlich machen will sie die Zitierten – einige, aber nicht alle identisch mit den Porträtierten – übrigens nicht. Auch unterstellt sie nicht, dass alle lügen. „Aber natürlich zeigt das, wie leicht man Verantwortung abwehren kann, wenn man behauptet, man erinnere sich nicht“, sagt sie.

Vor allem aber interessierte sie, wie Erinnern funktioniert. „Jeder erinnert sich selektiv“, sagt Katharina Kohl. „Außerdem verändert sich Erinnerung jedes Mal, wenn sie abgerufen wird. Wie weit kann sie da überhaupt stichhaltig sein?“

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