China: Entführter Verleger „gesteht“ vor laufender Kamera

Der schwedische Staatsbürger Gui Minhai taucht wieder auf: Bewacht von Polizisten bezichtigt er sich selbst unklarer Taten. Die deutsche Botschaft warnt vor einem gefährlichen Präzedenzfall

Aus Peking Felix Lee

Es ist eine groteske Szene, die am Wochenende plötzlich in einem Video im chinesischen Internet zu sehen ist: Da blickt der vor knapp drei Wochen von chinesischen Sicherheitskräften aus einem Zug entführte Verleger Gui Minhai in die Kamera und gesteht, er habe gegen Gesetze Chinas verstoßen. Hinter ihm wachen zwei uniformierte Beamte der chinesischen Staatssicherheit. Guis Gesicht ist auffällig rot gefleckt.

In dem 20-minütigen Video erhebt der 53-jährige Gui zudem schwere Vorwürfe gegen Schweden – das Land, in dem er studierte und dessen Pass er seit 1992 hat. Stockholm, so sagt Gui, habe ihn zu einer Straftat angestiftet. Die schwedische Botschaft in China würde seinen Fall aufbauschen – gegen seinen Willen. Er fühle sich von ihr behandelt wie eine „Schachfigur“.

Drei Wochen lang war der gebürtige Chinese verschwunden gewesen. Bei einer Bahnfahrt von der ostchinesischen Stadt Ningbo nach Peking war er im Januar plötzlich von Polizisten abgeführt worden. Die schwedischen Diplomaten, die ihn begleiteten, konnten dies nicht verhindern. Gui war auf dem Weg zu einem schwedischen Arzt in Peking, weil er womöglich unter der Nervenerkrankung ALS leidet, wie seine Schwester erklärt hat.

Erst am vergangenen Dienstag hat China Guis Festnahme überhaupt erst offiziell bestätigt, ohne konkret zu sagen, was ihm vorgeworfen wird. Das nun veröffentlichte Video soll am vergangenen Freitag entstanden sein, bei einem von den Pekinger Behörden organisierten Interview, zu dem nur ausgewählte chinesische Medien zugelassen waren, die allesamt unter staatlicher Kontrolle stehen.

Angehörige Guis, die in Hongkong leben, bezweifeln denn auch, dass er das Geständnis freiwillig abgegeben hat. ­Solange er nicht frei sei, dürfe man diesen Äußerungen nicht glauben, zitieren Hongkonger Medien einen Freund des Buchhändlers. Er spricht von „billiger Manipulation der chinesischen Behörden“. „Wie können wir Worten eines solchen Menschen glauben, der unterdrückt wird wie ein Gefangener?“, fragt der regierungskritische Dichter Bei Ling. Bemerkenswerterweise ist es nicht das erste Mal, dass die Behörden so mit Gui umgehen. Während eines Urlaubs 2015 in Thailand er schon einmal verschwunden. Einige Wochen später tauchte er auf dem chinesischen Festland auf – ebenfalls mit einem öffentlichen Geständnis. Mit ihm waren damals vier weitere Verlagsmitarbeiter verschwunden.

Sie alle waren Mitarbeiter des Hongkonger Verlags Mighty Current. Der Verlag ist dafür bekannt, Skandalbücher über chinesische Spitzenpolitiker herauszugeben. Auch ein Buch über Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping war geplant, in dem über Xis angebliches Liebesleben berichtet wird. Der Wahrheitsgehalt dieser Bücher ist umstritten. Doch sie finden reißenden Absatz. Im Rest Chinas ist der Verkauf verboten. Hongkong gehört seit 1997 zur Volksrepublik. London und Peking hatten zuvor für die ehemalige britische Kronkolonie bis 2047 einen Sonderstatus vereinbart, der den Hongkongern Meinungsfreiheit und ein unabhängiges Rechtssystem verspricht.

Bemerkenswert auch: Gui ist Ausländer, das heißt, er ist kein chinesischer Staatsbürger. Das kümmert Peking nicht. Schweden, die EU und die USA haben bereits seine Freilassung gefordert. Die schwedische Außenministerin Margot Wallström sprach von einer „brutalen“ Verschleppung und legte Protest ein. Der deutsche Botschafter in Peking, Michael ­Clauss, warnte jetzt unverblümt: China könne mit dem Vorgehen einen „gefährlichen Präzedenzfall“ schaffen. Es herrsche die allgemeine Sorge, dass derartige Verletzungen internationalen Rechts künftig auch andere EU-Bürgerinnen und -Bürger treffen könnten.