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Bio ist manchmal auch nachhaltig

„Aus nachhaltiger Landwirtschaft“: Damit werben nicht nur Ökoprodukte. Viele Verbraucher setzen darauf, dass das Label „Bio“ ohnehin Aussagen über soziale Standards wie die Arbeitsbedingungen der Produzenten macht. Dass stimmt nicht immer – aber immer öfter

Soziale Aspekte von Nachhaltigkeit sind für Kunden ein großes Thema Foto: Dany Gys/laif

Von Volker Engels

Schön, wenn es dem Rind auf dem Biohof gut geht, der Anbau der Biotomate nicht zu viel Wasser verbraucht und die Hühner ausreichend Auslauf haben. Wer sich allein an ökologischen Kriterien orientiert, kann sich halbwegs entspannt zurücklehnen. Nachhaltig sind ökologisch produzierte Lebensmittel oder Waren dadurch aber per se nicht. Denn auch faire Löhne und ordentliche Arbeitsbedingungen gehören neben weiteren Kriterien zu einer nachhaltigen Produktion dazu.

Mit dem Zusatz „Aus nachhaltiger Landwirtschaft“ werben nicht nur Ökoprodukte. Auch zahlreiche Verpackungen von Herstellern konventionell produzierter Lebensmittel zieren diesen Hinweis. Was kein Wunder ist: „Eine allgemein gültige Definition für Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft mit klar definierten Kriterien gibt es nicht“, weiß Axel Wirz, wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Arbeitsschwerpunkt Nachhaltigkeit beim Forschungsinstitut für ökologischen Landbau (FiBl).

Zwar listet unter anderem die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ökonomische, ökologische und soziale Kriterien auf. Diese Kriterien sind allerdings in einigen Bereichen so allgemein formuliert, dass sich eben alles oder nichts darunter fassen lässt.

„Soziale Aspekte von Nachhaltigkeit sind für Hersteller und Handel in Deutschland aber ein großes Thema.“ Regelmäßig veranstaltet das FiBL zusammen mit der „Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller“ (AÖL) für Akteure aus Handel und Produktion Workshops und Tagungen, die sich mit dem Thema Sozialstandards beschäftigen.

Ein Grund dafür dürfte wohl auch sein, dass mehr als 40 Prozent der Kunden, die regelmäßig Biolebensmittel kaufen, auf Sozialstandards Wert legen und faire Löhne für die Produzenten erwarten. Das legt das Ökobarometer 2017 nah, das regelmäßig den Konsum von Ökolebensmitteln bei Verbrauchern abfragt. „Viele Kunden gehen davon aus, dass biologisch hergestellte Lebensmittel automatisch auch nachhaltig produziert werden“, weiß auch Renate Dylla von der AÖL. Der Begriff der Nachhaltigkeit werde häufig genutzt, ohne dass klar ist, was sich genau dahinter verbirgt“, so die stellvertretende Geschäftsführerin weiter. Weil aber auch die Kunden ein Auge darauf hätten, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Bioprodukte ernten oder herstellen, das auch zu fairen Bedingungen tun können, gebe es ein „großes Interesse des Handels, dass die Produkte sozialen Standards genügen“. Die Nachfrage nach Ökoprodukten wachse, viele Rohstoffe kämen nicht mehr aus Europa, sondern würden weltweit eingekauft. Die europäische Öko-Verordnung, die hinter dem bekannten EU-Siegel steckt, sagt „zum Beispiel nichts zu Sozialstandards aus“, unterstreicht Renate Dylla. „Wir arbeiten aber daran, die maßgeblichen Sozialstandards zu identifizieren, die verlässliche Hinweise auch auf faire Arbeitsbedingungen geben.“

Ein wichtiger Standard sind etwa die sogenannten Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Diese legen unter anderem fest, dass sich Arbeiter und Arbeiterinnen gewerkschaftlich organisieren können und die Diskriminierung von Beschäftigten verboten ist.

Ein Mindestmaß an Sozialstandards garantieren auch einige Öko-Siegel

Einen weiteren Hinweis dar­auf, ob Standards eingehalten werden, kann der Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index, CPI) der Antikorruptionsorganisation Transparency International geben. Der Index misst die in Wirtschaft, Politik und Verwaltung wahrgenommene Korruption. Generell lässt sich sagen, dass Länder mit einer hohen Punktzahl starke Institutionen im Bereich offener Regierungsführung, Pressefreiheit, Bürgerrechte und dem unabhängigen Justizsystem haben. Länder mit niedriger Punktzahl sind oft durch mangelnde Strafverfolgung für Korruption, schlechte Regierungsführung und schwache Institutionen gekennzeichnet. Deutschland rangiert mit 81 Punkten zusammen mit Großbritannien und Luxemburg auf Platz 10, Rumänien und Ungarn schaffen es zum Beispiel nur auf Platz 57. Eine schlechte Einstufung auf dem Index bedeutet zwar nicht zwangsläufig, dass Sozialstandards nicht eingehalten werden oder Bauern für Hungerlöhne schuften müssen, einen ersten Hinweis auf Missstände kann die Liste aber geben.

Verbraucher, die sicher sein wollen, dass ein Mindestmaß an Sozialstandards bei der Produktion von Bioprodukten eingehalten wird, finden inzwischen zahlreiche Öko-Siegel, die soziale Faktoren ausdrücklich einschließen. Schon seit 2005 gelten etwa bei Naturland e. V. Sozialrichtlinien, die detaillierte Vorgaben zu Arbeitsbedingungen und sozialer Absicherung aller Arbeiterinnen und Arbeiter machen. Unter anderem werden die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz kontrolliert, aber auch die Zahlung der gesetzlichen Mindestlöhne oder die Arbeitszeit. In Anlehnung an die Kernarbeitsnormen der ILO ist ausbeuterische Kinder- oder Zwangsarbeit verboten, Beschäftigte müssen das Recht haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Die Richtlinien gelten für alle Naturland-zertifizierten Landwirte, Verarbeiter, Im- und Exporteure. „Es ist deutlich aufwendiger, soziale Standards zu kontrollieren, als Ökostandards zu prüfen“, sagt Naturlandsprecher Markus Fadl. So würden zum Beispiel in Interviews mit Beschäftigten die Arbeitsbedingungen vor Ort abgefragt. „Dabei ist es wichtig, die Kontrolleure dafür zu sensibilisieren, dass es schwierig ist, wenn im Gespräch mit einem Arbeiter ein Vorgesetzter daneben steht und zuhört.“

Naturland beauftragt unabhängige Kontrollstellen, die regelmäßig überprüfen, ob zertifizierte Verarbeiter und Erzeuger die Naturland-Richtlinien einhalten. Die Kontrolleure werden gerade im Hinblick auf Sozialstandards regelmäßig geschult. In einigen Regionen hat der Verband eigene Mitarbeiter vor Ort, die bei Bedarf mit Gewerkschaften zusammenarbeiten, um sich einen Überblick über die tatsächlichen Arbeitsbedingungen zu verschaffen. Dabei liegt der Fokus schon lange nicht mehr allein auf den Entwicklungs- und Schwellenländern: „In Südspanien und Süditalien gucken wir uns zum Beispiel sehr genau die Situation der Wanderarbeiter an.“ Denn auch in Europa werden elementare Grundrechte von Beschäftigten häufig missachtet. Und das dürfte vielen Kunden gar nicht schmecken. Selbst wenn die Tomate ökologisch korrekt angebaut wurde.

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