Desolate Polizei

Das Amtsgericht Ludwigslust spricht das Opfer eines Polizeieinsatzes frei

Das Schussopfer eines Polizeieinsatzes im mecklenburgischen Lutheran ist vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollzugsbeamte freigesprochen worden. Das Amtsgericht Ludwigslust folgte damit am Dienstag den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Der 29-Jährige reagierte erleichtert. „Vom Opfer zum Angeklagten zu werden, war schon schwer für mich“, sagte er auf dem Gerichtsflur.

Der junge, nicht vorbestrafte Mann hatte sich im Februar 2016 ein Auto geliehen, das der Mutter eines Hamburger Zuhälters gehörte. Der wurde von der Polizei der Hansestadt gesucht, weil der Mann eine Haftstrafe nicht angetreten hatte. Man vermutete den Gesuchten in dem Auto und observierte es. Doch zwei Tage vor den Schüssen in Lutheran nahm die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern statt des Zuhälters einen unbescholtenen Bauarbeiter fest.

Am 12. Februar 2016 rückte dann ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) aus Hamburg an, glaubte im Vorbeifahren den damals 27-Jährigen als den Gesuchten zu identifizieren und griff in Lutheran zu. Die Beamten keilten mit Zivilfahrzeugen dessen Auto ein, woraufhin der junge Mann seinen Wagen beschleunigte und dabei einen Polizisten leicht am Knie verletzte. Kurz darauf fiel ein Schuss, der junge Mann wurde im Kopf getroffen, verlor ein Auge und lag sieben Tage im künstlichen Koma.

Der Richter sparte nicht mit Kritik an der Polizei. Der Einsatz sei in Vorbereitung und Durchführung desolat gewesen. So sei die Zielperson mit einem sechs Jahre alten Foto gesucht worden. Dabei sei der junge Mann vor dem Zugriff in einem Baumarkt gewesen. Laut Richter wäre es also möglich gewesen, ihn zu fotografieren, das Bild nach Hamburg zu senden und von Kollegen feststellen zu lassen, ob es der Gesuchte sei. Dies sei aber nicht geschehen.

Irritiert zeigte sich der Richter auch darüber, dass während des Zugriffs in Lutheran kein Blaulicht auf die Zivilfahrzeuge gesetzt wurde, um sie als Polizeiautos kenntlich zu machen. Auch habe keiner der Beamten eine Weste mit der Aufschrift „Polizei“ getragen. Den Ruf eines Beamten „Polizei, nicht bewegen“ habe der junge Mann im Auto vermutlich nicht wahrgenommen. Für das Gericht sei nicht nachvollziehbar, dass es keine Erlasse zur Kenntlichmachung geben soll, sondern dies laut Zeugenaussagen dem Einzelnen in der jeweiligen Situation überlassen bleibe.

Das Verfahren gegen den Polizisten, der den verhängnisvollen Schuss abgab, ist von der Staatsanwaltschaft Schwerin bereits eingestellt worden. Das Opfer hat jedoch Zivilklage beim Landgericht Schwerin eingereicht. Der 29-Jährige fordert Schmerzensgeld und Schadenersatz vom Land Hamburg, denn er kann seinen Beruf als Maler und Lackierer wegen des verlorenen Auges nicht mehr ausüben. Nach Worten seines Anwalts geht es um etwa 90 000 Euro. Der Richter in Ludwigslust sagte, er hoffe, dass sein Urteil im anstehenden Zivilprozess eine „gewisse Hilfe“ sei. (dpa)