piwik no script img

Schwangerschaft gefährdet G20-VerfahrenProzess gegen Fabio V. könnte platzen

Das Verfahren gegen den 19-jährigen G20-Gegner aus Italien muss nächste Woche zu Ende gehen – oder neu aufgerollt werden.

Besucher*innen drängen sich bei den Prozessterminen gegen Fabio V. im Gericht. Foto: dpa

Hamburg taz | Das Verfahren gegen den 19-jährigen Italiener Fabio V. neigt sich dem Ende zu – oder platzt im letzten Moment. Am Dienstag fand die offiziell vorletzte Verhandlung statt, das Urteil ist für den kommenden Dienstag geplant. Doch das Verteidiger*innenduo will die Beweisaufnahme noch nicht abschließen und stellt Anträge über Anträge – und das dauert. Dabei gibt es für das Gericht keine Zeit zu verlieren: Die Richterin ist schwanger und geht bald in den Mutterschutz.

Einen zusätzlichen Verhandlungstag anzusetzen, wird aus Termingründen nicht möglich sein. Wenn am nächsten Dienstag kein Urteil fällt, wird der Prozess auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Eine andere Richterin müsste dann alles neu aufrollen.

V. wird vorgeworfen, am 7. Juli an einer Demonstration gegen den G20-Gipfel teilgenommen zu haben, die am Rondenbarg von der Polizei gestoppt wurde. 14 Steine flogen aus der Menge von etwa 200 Demonstrant*innen in Richtung Polizei. Die Beamt*innen zerschlugen die Demo und nahmen 74 Menschen fest. Als einige Teilnehmer*innen versuchten zu fliehen, verletzten sie sich schwer.

V. blieb bei einer Frau mit einem offenen Bruch stehen, dort wurde er festgenommen. Er saß fast fünf Monate in Untersuchungshaft. Sein Prozess erregte die Aufmerksamkeit von Grundrechtler*innen und Amnesty International, weil ihm keine individuelle Straftat vorgeworfen wird.

Aus Sicht der Richterin ist die Beweisaufnahme abgeschlossen: An elf Verhandlungstagen hat das Gericht Polizeizeugen, Aktivist*innen und Mitarbeiter der Firmen am Rondenbarg angehört und Polizeivideos gesehen. Trotzdem sagte V.’s Anwalt Arne Timmermann: „Es wird immer deutlicher, was wir noch für Lücken haben.“ Er forderte, weitere Polizeizeug*innen zu hören. Das Gericht müsse aufklären, welchen Auftrag die Polizei gehabt habe.

Die Richterin ist schwanger und geht bald in den Mutterschutz

Der Einsatz sei rechtswidrig gewesen, argumentierten er und V.’s Anwältin Gabriele Heinecke. „Die Demo war eine vom Grundgesetz und vom europäischen Recht geschützte Versammlung“, sagte Heinecke, „eine Verurteilung V.’s ist rechtlich nicht möglich“.

Die Staatsanwältin argumentierte, die Demo sei nicht friedlich gewesen. Um das zu klären, müsse man weitere Zeugen heranziehen, forderte Timmermann. Nach vielen Unterbrechungen, abgelehnten Anträgen, Diskussionen über Inhalte und Formalia beendet die Richterin sichtlich genervt die Sitzung. Es sieht aus, als könnte sich alles noch hinziehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Was ist mit den Opfern?

     

    Haben die Verständnis dafür, wenn ein Prozess ins schiefe Fahrwasser kommt, weil eine Richterin "schwanger" ist. Wo gibt es denn so etwas?

     

    Fabio V. sollte schnell verurteilt werden um seine Strafe abzusitzen. Wenn er die Erfahrung macht, dass der deutsche Rechtstaat eine Farce ist, dann ist der Effekt fatal.

     

    Exempel, ja klar. Aber es ist nicht die Schuld des Gerichtes, dass die Polizei nicht alle Täter dingfest machen konnte sondern nur einen klitzekleinen Bruchteil von Verdächtigen.

    • @Ansgar Reb:

      Was hat er denn so Verwerfliches angestellt? Bitte erinnern sich mich noch einmal daran. Ich scheine es vergessen zu haben. ;-)

  • gründlich aufklären. lieber zweimal lang als einmal halb.

     

    und dass g20 vorsichtig unter die lupe genommen werden muss zeigte sich ja schon früh.

     

    zum beispiel als die einsatzleitung von 400 verletzten polizist*innen berichtete und später raus kam, dass einerseits auch alle krankmeldungen der auswärtigen verstärkungseinheiten in der woche des gipfels mitgezählt wurden und andererseits 160 verletzungen vom eigenen pfefferspray stammten...

     

    fazit, hier haben teile des staates ein starkes interesse gegen aufklärung.

     

    unter anderem auch unser vielleicht-bald-minister und noch hamburg-min.-präs. scholz

  • Erstaunlich – da hatte man eine Unzahl von Randalierern vermeldet, unter jedem Sofa geschnüffelt um diese "Terroristen" ausfindig zu machen, und nun platzt diese Seitenblase wie alle Blasen zuvor.

    Dieser G20 reiht sich damit in eine lange Liste von G20-Gipfeln ein, die nur so vor "Merkwürdigkeiten" strotzen, oder bei denen gar schon bewiesen wurde, dass hier der "Staat im Staat" agitierte, nur um anschließend zu bestrafen. Auch hier keine Massenvernichtungswaffen - nur verbrannte Erde. Beim nächsten Mal wieder genauso, es funktioniert schließlich immer. Träumt weiter ... ;-)

     

    [youtube POLICIAS INFILTRADOS en manifestaciones (INDIGNADOS)]

  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    Mir kommt der Verdacht, dass hier zur Abschreckung ein Exempel statuiert werden soll. Und zwar nicht durch das Urteil, was ja nicht nur meinem Rechtempfinden nach "Freispruch" heißen wird, sondern durch den Prozess selbst. Tenor: "bleibt ruhig, konsumiert brav und mischt euch nicht in unsere Arbeit, die Politik, ein. Dann bekommt ihr keine Scherereien!" Da ist die deutsche Justiz von der türkischen nicht weit entfernt!

    Wenn man jedoch egal welche Statistik zu Umwelt, Klima, sozialer Ungerechtigkeit usw ansieht, und was in der großen Politik dagegen unternommen wird (nichts als Sprechblasen!), dann wird vielleicht klar, dass sich hier eine große Verzweiflung breit macht. Wir müssen diesen jungen Menschen dankbar sein, dass sie den Finger in die Wunde legen und sich (noch) nicht mit der Scheiße um sich rum arrangieren wollen!

    Mir tut es vor allem leid um den Jungen persönlich, ein halbes Jahr unter diesen Umständen ist in seinem Alter ja eine Ewigkeit...