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Fabulöses Fanzine

Die Zeitschrift „SigiGötz Entertainment“ klärt die wichtigsten Fragen zum „Neuen Kanon des Deutschen Films“

Von Brigitte Werneburg

„Endlich“, verkündet das Cover der Zeitschrift, die in Format und Aufmachung deutlich Fanzine sein will, ist er da: „Der neue Kanon des deutschen Films“. Ihn zu studieren ist in jedem Fall interessant. Gerade wenn man skeptisch ist, welche Autorität in Sachen Kanon wohl einer Zeitschrift zukommt, die SigiGötz Enter­tainment (SGE) heißt. Siggi Götz mit Doppel-g nannte sich der Fernsehregisseur Sigi Rothemund, wenn er Schmuddelfilme wie „Alpenglühn im Dirndlrock“ oder „Bohr weiter, Kumpel!“ drehte, ein Œuvre, dem die ganze Verehrung der Jungs aus dem Dunstkreis des Münchner Werkstattkinos galt, was anlässlich der Geburt ihres Filmmagazins nahelegte, dieser Verehrung Ausdruck zu geben.

SGE verheißt also einen etwas anderen, gerne auch mal schlechten Geschmack, und das kann nicht schaden bei der Kanonbildung. Die sich sonst ja gerne mit angestaubten Klassikern begnügt. Hier nun ist das hervorstechendste Merkmal der Liste ein enormer Wissensfundus hinsichtlich der obskursten Filme. Wer hätte schon geahnt, dass es eine Nachtclubbesitzerin mit Namen Gina von Freiburg gibt, die 1974 die Selbstpromotion „Gina Wildkatze“ drehte? Einen Film, wie Rainer Knepperges vom Auswahlgremium schreibt, „der zweifellos der singulärste unter den singulären Filmen ist“. Dem Gremium gehören noch die Herren Stefan Ertl, Christoph Huber (SGE-Büro, Wien), Ulrich Mannes (Verleger und Herausgeber von SGE), Hans Schifferle, Benedikt Eppenberger (SGE-Büro, Zürich), Lukas Foerster, Michael Müller und Oliver Nöding an.

Ohne Übertreibung jedenfalls lässt sich feststellen: Dieser Kanon der „Dreißigsten Schrift“ von SGE (angefangen hat es mit dem „Ersten Versuch“, dann kam der „Zweite Anlauf“, der „Dritte Fall“, irgendwann dann der „Sechzehnte Plan“ und zuletzt noch die „Die neunundzwanzigste Beute“) ist eine einzige Entdeckungsreise. In eine Filmwelt jenseits von Murnau, Lang und Fassbinder. Nicht die erste übrigens bei SGE, da schon vor zehn Jahren ein Kanon erschien. Weil der aber ganz regelwidrig 101 Filme umfasste, wird der Überhang dieses Mal ausgeglichen, wie im Editorial zu lesen ist, und der Kanon auf 99 Filme verkürzt.

Sentimentales Roadmovie

Selbstverständlich steht der Namensgeber auf der Bestenliste, und zwar mit „Griechische Feigen“, den Götz als leichten Sexfilm verkaufte, wo er doch, wie Stefan Ertl weiß, „ein durch und durch sentimentales Roadmovie“ ist, mit der Betty Vergès auf einem erotischen Trip durch Griechenland. Aber da sind wir schon in den 1970er Jahren. Gestartet wird in den 1930ern mit „Wien, du Stadt der Lieder“ von Richard Oswald. „Ein Anschluss-Film, aber einer, in dem die größtenteils jüdische Berliner Kabarett-Szene Anschluss an die gemütliche Wiener Lebensart sucht“, so Lukas Foerster.

Anders als bei den Ausstellungen zu deutscher Kunst im 20. Jahrhundert, bei denen stets eine große Lücke zwischen 1933 und 1945 klafft, obwohl die Museen in diesen zwölf Jahren durchaus Kunst gezeigt und gekauft haben, kennt SGE eine solche Kanon-typische Feigheit vor dem eigenen Versagen nicht. Es gibt ja auch Bemerkenswertes aus diesen zwölf Jahren, etwa Helmut Käutners 1940 gedrehter Film „Frau nach Maß“, eine „makellose Screwball Comedy“, wie Knepperges konstatiert.

Aus der Zeit, als Frau sich noch mittels Eheschließung von den Eltern zu emanzipieren suchte, stammt der Film von Erica Balqué, „Zu jung für die Liebe?“ (1961). Erica Balqué, Ehefrau und engste Mitarbeiterin von Helmut Käutner, und Beate Klöckner, in deren Erstling „Kopfschuss“ (1981) Barbara Rudnik ihre erste große Leinwandrolle hatte, sind neben Gina von Freiburg die einzigen Frauen der Liste. Tja, da wird dann auch SGE ganz konventionell. Bei Männern ist das anders. Der letzte Eintrag ist Peter Kerns „Knutschen, Kuscheln, Jubilieren“ (1998) über den Venedigtrip einer Clique älterer Schwuler. Anyhow: Reinschauen in den neuen Kanon des deutschen Unterhaltungsfilms, es lohnt sich.

„SigiGötz Entertainment. Die dreißigste Schrift“. „Endlich: Der Neue Kanon des Deutschen Films“. Nur 3,50 Euro. Zu bestellen unter www.sigigoetz-­entertainment.de

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