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Im Schatten der Krankheit

Wenigstens drei Millionen Kinder in Deutschland haben psychisch kranke Eltern. „Wir sind hier!“ heißt ein neuer Dokumentarfilm darüber, wie es ist, so zu leben

Von Ella Klees

Tabuthemen gibt es so manche. Wirklich schlimm wird es, wenn Menschen darunter leiden müssen, dass über etwas nicht gesprochen wird, nicht gesprochen werden darf. Beim Thema psychische Krankheiten etwa leiden nicht nur die, die selbst erkrankt sind, sondern auch die Menschen um sie herum – und ganz besonders ihre Kinder. Schon weil sich ein psychisch erkrankter Elternteil vielleicht nicht genug um das eigene Kind kümmern kann, muss es schneller erwachsen werden als Gleichaltrige, muss sich etwa kümmern um den Haushalt und Geschwister – und vielleicht die Eltern selbst.

Ein Effekt: Ein Kind, das mit solchen nicht ihm gemäßen Belastungen lebt, isoliert sich dadurch – allein wird es mit so einer Situation aber erst recht nicht zurechtkommen. In Deutschland sind etwa drei bis vier Millionen Kinder betroffen, die Dunkelziffer ist deutlich größer – schon weil nicht alle erkrankten Eltern auch in Behandlung sind.

Die neunjährige Pauline, der zwölfjährige Timo, Kristina, 13, Dominic, 15, und Melanie, die schon 37 Jahre alt ist: Sie alle haben Erfahrungen damit, wie es ist, wenn ein Elternteil an einer psychischen Krankheit leidet. Und sie sind Protagonisten von „Wir sind hier“, einer 45-Minuten-Dokumentation der Berliner Filmemacherin Andrea Rothenburg. Im Film sprechen sie über ihre Erlebnisse – und machen anderen Kindern Mut, trotz allem ihr Leben zu leben.

Dafür wollen und brauchen Kinder Hilfe. Ein Projekt, das hier anzusetzen versucht, ist die Beratungsstelle „Wellengang.Hamburg“ des Jugendhilfeträgers „Aladin“, der Gruppen für solche Kinder anbietet. Als die dortige Projektleiterin Louise Larbanoix – inzwischen auch Koproduzentin des Films – nach realitätsnahem Bildmaterial zum Thema suchte, stellte sich heraus: So was gibt es kaum. Auch deshalb entstand „Wir sind hier!“.

Die Dokumentation besteht aus Interviews, durchbrochen von Szenen – keine belastenden, nein, die Dokumentation will am Ende eine positive Botschaft vermitteln und ist ja auch für Kinder gedacht. Die Protagonisten sprechen über Erlebnisse, Menschen und Dinge, die ihnen in der Situation geholfen haben.

Auch den Kindern im Film, das wird klar, ist die Kindheit genommen worden, oder wenigstens ein Teil davon: Melanie musste sich mehr um ihre Mutter kümmern, als es andersherum passierte, und durfte etwa auf Klassenfahrten nicht mitfahren. Kinder in so einer Situation schieben sich häufig selbst die Schuld zu, leben im Schatten der Erkrankung. Sie wurden nur noch gefragt: „Und, wie geht es deiner Mutter?“ und nicht mehr: „Wie geht es dir?“. Doch die Kinder sind mutig, wollen gesehen werden und sagen: „Wir sind hier!“

Der Film richtet sich einerseits an Kinder und Jugendliche, andererseits an Erwachsene. Betroffenen Kindern will er zeigen: Ihr seid nicht allein – und nicht nur das Befinden eurer Eltern ist wichtig, euer eigenes ist es auch! Er ermutigt dazu, über die eigenen Gefühle zu sprechen und über die Erkrankung der Eltern zu sprechen – und nicht davor zurückzuschrecken, sich Hilfe von außen zu holen. Erwachsene soll er aufmerksam machen auf die Problematik.

Ein Ziel der Filmemacherinnen ist es, dass die Dokumentation in Schulen gezeigt wird – und psychische Krankheiten als Thema in die Lehrpläne aufgenommen werden. Ab dem kommenden Monat ist „Wir sind hier!“ auf DVD erhältlich, er soll auf Kinoveranstaltungen und Fachtagen gezeigt werden. Im Februar gibt es einige Kino-Termine in Bad Segeberg und Kiel, kommende Woche gibt es erst mal eine „richtige“ Premiere in Hamburg.

So, 28. Januar 2018, 11 Uhr, Hamburg, Zeise-Kino, anschließend Diskussion

Infos und Termine: www.psychiatrie-filme.de/Wir_sind_hier%21.html

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