Altersprüfung bei Flüchtlingen: Schweden streitet über die Methoden

Eine Kommune zeigt Flüchtlinge wegen Sozialbetrugs an, weil sie älter als angegeben sein sollen. Die Art der Altersprüfung ist umstritten.

Drei Zahnabgüsse liegen auf einem Tisch

Was sagt das Gebiss aus? In Schweden beinhaltet die Altersprüfung Röntgenaufnahmen der Zähne Foto: dpa

STOCKHOLM taz | Johan Abrahamsson kann die Aufregung nicht verstehen: „Die Betrügereien müssen ein Ende haben“, sagt der Gemeinderatsvorsitzende der westschwedischen Stadt Mariestad. Abrahamsson hat in der vergangenen Woche Strafanzeige gegen zwei Asylsuchende gestellt, die als unbegleitete Minderjährige nach Mariestad gekommen waren. Eine medizinische Altersuntersuchung hatte nun zum Ergebnis, dass sie womöglich volljährig sind. Damit hätten sie öffentliche Leistungen erhalten, die ihnen eigentlich nicht zustanden.

Doch deshalb eine Strafanzeige stellen? Immerhin sind die Alterseinschätzungen auch in Schweden höchst umstritten. Der den konservativen „Moderaten“ angehörende Kommunalpolitiker heize Fremdenfeindlichkeit und Misstrauen in der Bevölkerung an, wirft ihm die sozialdemokratische Opposition im Gemeinderat vor. Und auch die politischen Partner der Konservativen distanzieren sich von Abrahamssons Schritt.

Die Möglichkeit einer medizinischen Altersbestimmung war in Schweden im Frühjahr 2017 eingeführt worden. Das Alter ist in einem Asylverfahren ein wichtiger Faktor. Wer jünger als 18 Jahre ist, erhält umfassendere Unterstützung und wird in Schweden beispielsweise in speziellen Wohneinrichtungen für Jugendliche untergebracht. Kann ein Asylsuchender nicht belegen, jünger als 18 zu sein, soll sich die Flüchtlingsbehörde „Migrationsverket“ selbst ein Urteil bilden.

„Mehr Rechtssicherheit“ war das Hauptargument, mit dem die rot-grüne Regierung in Stockholm die Einführung der medizinischen Altersbestimmung begründete. Sie beinhaltet eine Röntgenuntersuchung der Weisheitszähne sowie eine Magnetresonanztomographie-Untersuchung der Kniegelenke. Allerdings räumt auch die zuständige rechtsmedizinische Behörde „Rättsmedicinalverket“ (RMV) ein: „Es gibt bis heute keine medizinische Untersuchung, mit der das exakte Alter einer Person festgestellt werden kann.“ Es gehe lediglich um eine „Einschätzung des Alters“.

Anwaltsverbandsvorsitzende: „Sie werden erpresst“

Formal ist die Untersuchung freiwillig. Hat das „Migrationsverket“ aber Zweifel, ob jemand unter 18 Jahren alt ist, und diese Person verweigert die Altersbestimmung, muss sie damit rechnen, als Erwachsener eingestuft zu werden. „Sie werden erpresst“, kritisiert deshalb Anne Ramberg, Vorsitzende des Anwaltsverbands.

Bislang wurden rund 10.000 Untersuchungen durchgeführt. In vier von fünf Fällen wurde das Alter zunächst auf über 18 Jahre hochgesetzt. Hilfsorganisationen finanzierten Asylsuchenden aber Untersuchungen von unabhängigen Instituten, um so Zweitmeinungen einzuholen. Diese Institute stuften ihrerseits wiederum die Hälfte der Alterskorrekturen als fehlerhaft ein.

Auch aus der Ärzteschaft kommt Kritik: Ein Aufruf bezeichnet die medizinischen Methoden als „völlig ungeeignet“ und wirft dem RMV vor, damit seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Wenn die fragwürdigen Altersbestimmungen trotz aller berechtigter Kritik weitergingen, sagt etwa Sten Dreborg, Medizinprofessor an der Uni Uppsala, dann nur, weil sie Regierung und Flüchtlingsbehörde ein Alibi für ihre Entscheidungen lieferten.

Auch mehrere Rechtsmediziner verweigern mittlerweile Aufträge für Altersdiagnosen, internationale ExpertInnen stellen vor allem die Eignung der Kniegelenkuntersuchungen in Frage. Alters­einschätzungen bei weiblichen Flüchtlingen wurden im Dezember wegen zu großer Methodenunsicherheit erst einmal ganz gestoppt.

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