Kolumne Air de Paris: Eine gewisse Einheit suggerieren

Im Januar 2015 gab es den Anschlag auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“. Zum Gedenken kommen alle wichtigen PolitikerInnen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo bei einer Gedenkminute vor dem ehemaligen Haus der Satirezeitschrift Charlie Hebdo.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo bei einer Gedenkminute vor dem ehemaligen Haus der Satirezeitschrift Charlie Hebdo Foto: Reuters

Vor genau einem Jahr saß ich zur selben Zeit am selben Platz, nur war alles ganz anders. Vor genau einem Jahr, am 7. Januar 2017, jährte sich der Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo zum zweiten Mal. Mein Büro liegt direkt über dem Punkt des Boulevard Richard Lenoir, an dem vor drei Jahren der Polizist Ahmed Merabet beim Versuch, die Kouachi-Brüder aufzuhalten, mit einem Kopfschuss getötet wurde. Deshalb wohne ich dieser Gedenkzeremonie jährlich aus nächster Nähe bei.

Im vergangenen Jahr wurde sie absolviert wie eine Pflicht: die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo stand neben dem damaligen Innenminister Bruno Le Roux, legte ihre Blumen ab, es wurde „In Gedenken an Ahmed Merabet“ vorgelesen und kurz geschwiegen und dann verschwanden alle ganz schnell, genauso wie sie gekommen waren. Man gedachte der Opfer ohne viel Tamtam, aber auch ohne viel Herz.

Jetzt sind wir im Jahr 2018 und es scheint, alles sei anders. Die Anschläge, dieses Erdbeben, das Frankreich so erschüttert hatte, dass man fürchtete, es könnte jede Sekunde auseinanderbrechen, sind aus der Gegenwart in eine Form von „naher Geschichte“ gerückt. Die Stimmung, die noch vor zwei Jahren so schwer war, dass jeder Zweite überlegte, das Land zu verlassen, ist leichter. Vielleicht sogar ein bisschen beflügelt.

Große Symbole und ein bisschen Tamtam

Frankreich hat einen neuen Präsidenten. Und der weiß, dass sein Land große Symbole und ein bisschen Tamtam sehr gut vertragen kann. Dass sich seine Mitbürger dadurch sogar, egal wie sehr sie darüber meckern mögen, ein wenig beruhigt fühlen, weil das mit der Monarchie für die meisten von ihnen trotz geköpftem König und Revolution nie so richtig vorbei war. Das mag man finden, wie man will, zumindest verändert es die Dinge. Auch den 7. Januar.

Schon vorab war bekannt, dass der Anschläge diesmal in Anwesenheit aller gedacht werden würde: Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte, Innenminister Gérard Collomb, Kulturministerin Françoise Nyssen und Regierungssprecher Benjamin Griveaux, alle würden kommen, um neben der immer verhassteren Anne Hidalgo zu stehen. Um eine gewisse Einheit zu suggerieren.

Von oben gesehen hat das ziemlich gut funktioniert. Schon gegen 10 Uhr standen am Sonntag eine Hand voll Zivilisten, ordentlich als Quadrat organisiert, vor der goldenen Plakette. Daneben ebenso organisiert ein paar Polizisten in Festuniform, begleitet von bewaffnetem Militär, das einen grimmig beäugte, wenn man sich zu weit aus dem Fenster beugte.

„Charlie Hebdo“

Punkt 10.30 Uhr fuhr die von zwei blau blinkenden Motorrädern angeführte Präsidialkolonne ein, man erkannte Brigitte an ihrem blonden Bob. Sie liefen rüber zu Charlie Hebdo und etwa dreißig Minuten später zu Ahmed Merabets Gedenktafel. Vertreter der Parteien legten Kränze ab, Hidalgo und Macron hielten lange inne, und dann, das gab es im vergangenen Jahr nicht, spielte man die „Marseillaise“.

„Was hat sich Frankreich verändert! Jetzt spielen sie auch noch die ,Marseillaise'!“, dachte man da, und guckte weiter, so wie die meisten Nachbarn, gespannt aus dem Fenster. Als alles vorbei war, rannten nicht alle schnell weg. Der Präsident und seine Gattin und alle anderen, sogar Manuel Valls, blieben da. Zuerst küssten die Macrons Zoulikha Aziri, die Mutter des Polizisten, dann standen sie unter dem grauen Himmel des 11. Arrondissements und plauderten, schüttelten Hände, nahmen den Charlie-Hebdo-Chefredakteur „Riss“ in den Arm.

Aber, aber, mag man jetzt sagen, das ist doch alles nur Form, was ist mit dem Inhalt? Die Präsenz von Emmanuel Macron und seinen Ministern an diesem Tag besagt, dass Frankreich im Gegensatz zum vergangenen Jahr von jemandem regiert wird, der nicht in der Hauptrolle von „Das Phantom der Republik“ spielt, sondern von jemandem, der einfach da ist, immer. Einer der sich zeigt und Dinge tut, statt monatelang zu hadern.

Für das neue Jahr ist das, bei aller inhaltlicher Kritisierbarkeit, eine gute Aussicht. In diesem Sinne: Bonne année!

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