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Ein Fall für zwei

Beim am Donnerstag beginnenden Bremer Sechstagerennen vertraut man auf Bewährtes, in Berlinwird dagegen mehr experimentiert. Ein Vergleich der letzten beiden deutschen Bahnradsportevents

Aus Bremen Ralf Lieske

Mittlerweile hat die Krise schon eine gewisse Tradition. Sechstagerennen werden in Deutschland seit 2010 nur noch an zwei Standorten ausgetragen: in Bremen und Berlin. Und der 60-jährige Reiner Schnorfeil hat bei beiden Veranstaltungen seine Hände im Spiel. Er lebt seit inzwischen 30 Jahren für den Bahnradsport. Begonnen hat er mit der Vermarktung der Sixdays in Bremen unter seinem Mentor, dem damaligen Stadthallendirektor Heinz Seesing. 1997 folgte er ihm in die Bundeshauptstadt zu den Six Day, wie das Sechstagerennen hier heißt. Ab 2009 war er für sechs Jahre in der Geschäftsführung. Dann hat die Londoner Madison Sports Group übernommen.

Schnorfeil kennt die Historie der beiden Veranstaltungsorte wie kaum ein anderer. In Berlin blickt man immerhin auf stolze 107 Jahre zurück. In der Hansestadt wird an diesem Donnerstag das 58. Rennen gestartet. Eine Tischlerkolonne baut jedes Jahr in nur wenigen Tagen eine der weltweit kleinsten Radrennbahnen in die Arena ein. Sie misst 166,6 Meter und hat eine besonders steile Kurvenerhöhung von 58 Grad.

In der Bundeshauptstadt wird das Rennen im Velodrom ausgetragen. Schnorfeil ist begeistert von dem exklusiven Radsporttempel. Er schwärmt von der Halle mit einer in 17 Metern Tiefe fest eingebauten 250 Meter langen Holzbahn. Sie ist aus sibirischer Fichte und hat eine Kurvenüberhöhung von 46 Grad. Außer den Six Day werden hier Wettkämpfe, wie zum Beispiel die Bahnradeuropameisterschaft, ausgetragen.

Heute berät Schnorfeil die Berliner Veranstalter. Er weiß, dass es nicht genug Elitebahnradprofis gibt, um alle sechs Tage jederzeit ein erstklassiges Programm an den Start zu bringen. Nachwuchsfahrer nutzen dann die Chance, vor großem Publikum fahren zu dürfen. Doch die Atempausen im hochkarätigen Sport überbrücken die Veranstalter durch Auftritte von Stars und Top-DJs oder mit neuen Ideen, wie beispielsweise dem sogenannten Jedermann-Rennen, bei dem Hobbysportler Ausscheidungsrennen fahren dürfen.

Die Strategie geht auf. In Berlin strömten in den vergangenen Jahren im Schnitt täglich bis zu 12.000 Besucher in die Halle. Valts Miltovics, der Geschäftsführer des Rennens, sagt: „So viele Besucher braucht die Veranstaltung auch mindestens, um sich finanziell zu tragen.“ Die Eintrittsgelder und Ausgaben für Essen und Getränke tragen etwa zwei Drittel der Kosten. Der Rest wird überwiegend durch die Sponsoren finanziert.

In Berlin ist man derzeit experimentierfreudig. 2017 hat der DJ mit der musikalischen Tradition gebrochen. Viele Besucher sind ferngeblieben. Obwohl Schnorfeil sagt, dass in Berlin der Radsport im Vordergrund steht, hat der Geschäftsführer Miltovics nicht vor, in der Nostalgie zu verharren. Mit der Verpflichtung von DJ Pete Trayner versucht Miltovics nun den schwierigen Spagat zwischen Tradition und Moderne besser hinzubekommen. Bei den Bremer Sixdays hingegen setzt der Veranstalter auf Bewährtes. So dürfen sich die Besucher auf Stars wie Mickie Krause oder die kultige Haus- und Hofkapelle „Wandervögel“ freuen.

Am Sportprogramm haben die Berliner Veranstalter gefeilt: An den ersten fünf Renntagen gibt es zwei Jagden mit 20 und 40 Minuten Dauer, am letzten Tag stattdessen eine einstündige schweißtreibende lange Jagd. Jeder einzelne Tag bekommt sein eigenes Thema beim Sport und Rahmenprogramm. So startet die Veranstaltung mit dem „Tag der Legenden“ bei dem Altstars wie Jens Veggerby oder Silvio Martinello gegeneinander antreten und den Zuschauer anschließend für eine Autogramm- und Selfiestunde zur Verfügung stehen.

Anders als Bremen ist die deutsche Hauptstadt indes mit Sportveranstaltungen übersättigt. Miltovics erhofft sich trotzdem hohe Besucherzahlen. So werden in Kooperation mit der Sportmetropole Kombitickets für die am 27. Januar stattfindende Indoor-Leichtathletikveranstaltung und den Six Day verkauft. Die Hanseaten hingegen setzten auf bombastische Entertainmenteffekte. Von der Decke der Bremer Arena sollen Raumfahrer schweben und den Startschuss feuert der ehemalige Astronaut Thomas Reiter ab.

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