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Aus taz FUTURZWEIDie linke Sklerose

Kommentar von Harald Welzer

Was zum Teufel ist heute eigentlich noch „progressiv“? Die Linke jedenfalls nicht, findet Harald Welzer. Wir müssen wieder nach vorne denken.

Wo ist links und wo führt es hin? Wir müssen uns diese Fragen neu stellen Foto: photocase.de/David Dieschburg

D ie Rechte verzeichnet im Augenblick bekanntlich starke Geländegewinne. Da ist es ungünstig, dass niemand so richtig weiß, was eine „Linke“ als politische Antagonistin heute eigentlich noch ist. Deshalb fällt die Reaktion auf die Renaissance der Rechten auch ganz unangemessen aus – nämlich in der Regel sozialpädagogisch.

Gerade so, als handele es sich bei der Absicht, den liberalen demokratischen Rechtsstaat zu zerstören, um eine Art irrtümlicher Trotzhaltung, der man mit viel Verständnis und gutem Zureden schon beikommen könne. Und dahinter steckt die ganz und gar irreale Vorstellung, selbst noch Teil einer hegemonialen Kultur zu sein, die vage als links, linksliberal, hilfsweise auch als progressiv bezeichnet wird, ohne dass noch jemand wüsste, was mit all dem eigentlich gemeint sein soll.

Machen wir es mal grundsätzlich: Ist man im 21. Jahrhundert noch links, wenn einen der okösoziale Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nicht interessiert? Ist man links, wenn einen der gerade vor aller Augen ablaufende digitale Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nicht interessiert? Ist man links, wenn man das historische Subjekt noch dort sucht, wo klassische Lohnarbeit verrichtet wird? Und ist man linksliberal, wenn einen die manifesten Angriffe auf die offene Gesellschaft nicht beunruhigen?

Einfach nur progressiv ist aggressiv

Und was bitte soll „progressiv“ anderes sein als das Äquivalent zum gleichermaßen inhaltsleeren Begriff der „Innovation“? Ohne irgendeine Referenz auf etwas zu Erreichendes kann man wohl kaum sagen, ob jemand progressiv oder regressiv oder einfach nur aggressiv ist.

Machen wir es mal grundsätzlich: Ist man im 21. Jahrhundert noch links, wenn einen der okösoziale Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nicht interessiert?

Ach ja! Da gibt es ja noch die heroische Variante. Widerstand gegen die Rechten, sie auf Buchmesseständen und bei Univeranstaltungen auspfeifen und so. Ist super, hilft ihnen aber, sich als angegriffen, diffamiert, ausgegrenzt usw. zu stilisieren.

Und hat seinen Grund vielleicht auch nur darin, dass man selbst keine Idee hat, wie denn eine politische Haltung und Ästhetik des Zukünftigen aussehen, die geeignet wären, das zivilisatorische Projekt der Moderne so weiterzubauen, dass man durch das 21. Jahrhundert kommt, mit einem überlebenstauglichen Naturverhältnis und einem globalen Gerechtigkeitsregime. Ohne double-speech. Ohne Zynismus. Ohne als Durchblickertum verkleidete Wendehalsigkeit, Typ FAZ-Feuilleton.

Also muss darüber gesprochen werden, wo heute vorn ist. Und vorn kann nur dort sein, wo die zentralen Bedingungen der Gegenwart der Ausgangspunkt des politischen Denkens und Handelns sind. Als da wären: ein überlebensuntaugliches Naturverhältnis mit rasant steigenden Zerstörungswirkungen, eine dynamische Form radikaler sozialer Ungleichheit, die Rückkehr eines aggressiven Nationalismus, eine unglaublich schnell zunehmende Vereinzelung der Menschen durch digitale Kommunikation, und überhaupt die Digitalisierung als sich aggressiv durchsetzende Konstante gesellschaftlichen und wirtschaftlichen und überwachungstechnischen Handelns.

Die Dynamik der Anderen

Merken Sie was? Genau: Alle diese Bedingungen sind durch eine ausgeprägte Dynamik gekennzeichnet, während das politische Denken auf der, tja, ähm, also irgendwie linken Seite das Gegenteil charakterisiert: nämlich Starrheit. Man könnte auch sagen Sklerose.

taz.FUTURZWEI

Wer keine Visionen hat, soll zum Arzt gehen! Wie sehen Ideen für zukunftsfähige Politik im 21. Jahrhundert aus? Wie ein überlebenstaugliches Naturverhältnis und ein globales Gerechtigkeitsregime? Utopien sind der Schwerpunkt der neuen Ausgabe von taz.FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik. Mit Beiträgen von Wolf Lotter, Anke Domscheit-Berg, Arno Frank, Bibiana Beglau und vielen mehr.

Deutlicher als in diesem Gegensatz kann gar nicht werden, dass es auf geradezu spektakuläre Weise versäumt worden ist, das Projekt der Moderne und der offenen Gesellschaft für das 21. Jahrhundert weiterzudenken. Man hat den erreichten zivilisatorischen Standard der europäischen Nachkriegsgesellschaften offenbar für gegeben und damit dauerhaft gehalten, weshalb man sich darauf beschränken konnte, im komfortablen Innenraum dieses Standards schön kritisch zu sein.

Aber Kritik bedeutet auch, die Voraussetzungen zu sichern, unter denen Handlungsspielräume für die ökosoziale Transformation der modernen Gesellschaften existieren – denn wenn die Demokratie erst einmal futsch ist, gibt es die nicht mehr. Und dann aber: Nach vorn denken, soziale und moralische Intelligenz gegen die technische und marktliche aufbieten und einsetzen und umsetzen und dann mal sehen, wie es weitergeht.

Scheiß auf die Rechten. Unser Problem ist, dass wir uns zu wenig Utopie zumuten, die wir aber brauchen, um Menschen auf dem zivilisatorischen Pfad zu halten, die verwirrt, müde, überfordert und abgelenkt sind. Es gibt viel zu tun. Bieten wir’s an.

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9 Kommentare

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  • Ich bin nicht links. Ich bin antiautoritär.

  • Lieber Harald Welzer, wer einsitegs von Geländegewinnen, für wen forever, schreibt, gibt ungewollt Anlass zum Missverständnis, in die Rethorik gesellschaftlichen Militarismus zu verfallen, ist entweder von den Zeitläuften schon selber hinter die Fichte geführt oder sucht andere hinter dieselbe zu führen, sich am Boulevard Geländer Drill und Thrill frei flotierend allgemeiner Empörung entlang vor Kühnheit zitternd in Kriegsmanöverszenarien zu begeben.

     

    Die Urkatastrophe Linken Engagements seit Marx- und Engels 1848er Zeiten manifestiert die sich nicht darin, dass stets beim Umbau der Gesellschaft nur an Partizipation der Zivilgesellschaft als ein Ganzes am kommenden Mehrwert gedacht, die Sklaven- , Leibeigenschaft zwar aufgehoben, die Sklaven- Leibeigenen aber entschädigungslos, ihrer angestammten Privilegien, Grund und Boden zur Selbstversorgung, Diputate, Unterkunft, Verpflegung, Altenteil enteignet, freigesetzt wurden, die Elendsquartiere industreiller Ballungsgebiete als Lohnabhängigen Reservat zu behausen, statt eine Vorstellung davon zu entwickeln, welche Wirtschaftsmacht zum Wohle aller Bürger*nnen von der Begründung und Durchsetzung einer Versöhnungs- , Lastenausgelichs- , Entschädigungsökonomie weltweit an Wachstiumskraft ausgeht?

     

    Dabei gibt es die doch schon längst von Fall zu Fall allerdings bisher erst nach monströs organisierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Amerikanischer Bürgerkrieg, Erster Weltkireg, militarisierte Oktoberrevolution, Zweiter Weltkrieg, der Holocaust als europaweit identitätsstiftend massenmörderischem Raubkriegunternehmen an eigenen Bevölkerungsteilen, bei dem selbst jene die zunächst Opfer waren in hohen Teilen zu willigen Komplizen der NS-Völker- und Zeugenvernichtungsmaschine wurden.

    Warum nicht das ganz anders als bisher nach Menschheitsverbrechen endlich in ökonomischer Voraussicht schaffen, im Geist der Versöhnung, des Ausgleichs inneren, äußeren Friedens zu Wohl und Gedeih aller Zivilgesellschaft?

  • Ok. Mal anders gewendet.

     

    Dann gehen wir doch mal dahin - wo grad vorne ist -

    An die Schnittstellen der angeführten Bedingungen -

    Wo die brutalen sozialen Verwerfungen/vulgo Armut und dieeindustriell produzierten größten Schadstoffbelastungen mit ungebrochener

    Dynamik am Start sind.

    kurz - Da wo´s grad "besonders weh tut" - gell!

     

    Anders gefragt -

    Wo sind denn das - ja genau -

    1. Bertrand-Russell-Hartz IV- Flaschensammler&Tafel-Tribunal

    &

    2. Bertrand-Russell-Diesel-Betrüger-Tribunal ?

     

    Veranstalter FUTURZWEI de e-taz aka Harald Welzer Peter Unfried et al.

     

    Wo ihr - den Schröder Fischer Hartz Müntefering Riester Merkels et al

    &

    Den Zetsche Müller Stadler Krüger Winterkorn Wiedeking Wißmann - aber auch den Kretschmann Kuhn ff...wg Beihilfe&Anstiftung ....

    Rest jeweils bitte selbst einsetzen ....Danke.

     

    Ja denen - bzw wg Nichterscheinens ihren Charaktermasken -

    Ins Gesicht mal sagt - daß sie asozale Charakterschweine der Sorte sind -

    Vor denen uns - unsere Mütter den Umgang verboten - & unsere Väter&Lehrer gewarnt haben.

    &

    Zweiter Schritt nach vorne: Wie denn diese Verwerfungen wieder in sozial & umweltverträgliche Bahnen gelenkt werden können.

    (& wie es bis zur Taschenpfändung bei den Herrschaftsgezeiten ausschaut)

    &

    Vor allem - durch wen - da diese Versager & Betrüger dafür nun mal ersichtlich nicht in Frage kommen. Gellewelle.

     

    Soweit mal. Nehme Änderungsvorschläge&Anregungen gern entgegen.

    Besser direkt an ~> FUTURZWEI & Co. & dero Superperformer.

    Die Geistesheroen der taz.

    Dank im Voraus.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Herr Welzer, dann bieten wir es doch an! Gründen wir eine Partei, die die genannten Probleme mit der konkreten Utopie angeht. Ich bin dabei.

     

    Die Frage ist doch folgende: Können wir es von irgendeiner der drei Parteien SPD, Grüne oder Linke erwarten, dass sie so eine Politikmodell anbietet? Ich beantwortet diese Frage mittlerweile mit 'Nein, jedenfalls nicht in der notwendigen Zeit'. Ich erwarte auch bis zur nächsten Wahl, 2021, wenn alles 'normal' verläuft, keine entscheidenden strukturellen Veränderungen in diesen Parteien, durch die die bestehenden regressiven Seilschaften entmachtet werden könnten.

     

    Können Initiativen oder Kleinstparteien, die in einer strategischen Ausrichtung mit demokratischen Entscheidungsverfahren experimentieren, eine Alternative bereitstellen. die genügend Macht akkumulieren kann, um den kurzfristig taktisch zu bewältigenden Aufgaben gerecht zu werden? Auch das beantworte ich mit derselben Antwort: 'Nein, jedenfalls nicht in der notwendigen Zeit'. Dazu sind diese basisdemokratischen Initiativen viel zu wenig am politischen Erfolg orientiert, die Prozeduralität nimmt dann Identitätscharakter an, wie bei glitzerkollektiv.de.

     

    Bieten wir es also an! Oder was meinen Sie, Herr Welzer, mit diesem Satz? Hoffen Sie darauf, dass allein Ihre Appelle etwas bewirken?

    Appelle allein haben dem Terror der Strukturlosigkeit nichts entgegen zu setzen. Ist das also der Versuch, andere in die Verantwortung zu nehmen oder ist es das Gegenteil: der Versuch, eben gar nichts konkretes anzubieten und dadurch die eigene hochdotierte akademische Kritikerposition langfristig zu konsolidieren?

     

    Ratschläge sind auch Schläge, Herr Welzer. Bieten wir es also an! Unter studierten Philosophen gesagt: Verwechseln wir nicht das Wort mit dem Ding. Tun wir doch nicht so, als sei ein Appell schon die Tat. Je länger es bei Appellen bleibt, umso unglaubwürdiger werden diese.

     

    Sie können mich hier kontaktieren oder die taz nach meiner Email fragen. Sie können diese gern haben.

  • Vllt - werter Herr Harald Welzer -

     

    Wäre es nicht angebracht – vorab mal zu klären -

    Was genau Sie - nachdem sie alles begrifflich Althergebrachte - Richtung Tonne befördert haben -

    Was Sie Genau unter "vorne" zu verstehen belieben?

     

    Stutzte ich doch gleich ob des "nach vorne denken" - Wat issen nu ditte?

    Wohl etwas denken - jenseits/darüberhinaus von – falschneudeutsch - "angedacht"?;))

     

    Aber ob jot kölsch - Däh! ~>

    "....Also muss darüber gesprochen werden, wo heute vorn ist. Und vorn kann nur dort sein, wo die zentralen Bedingungen der Gegenwart der Ausgangspunkt des politischen Denkens und Handelns sind. Als da wären: ein überlebensuntaugliches Naturverhältnis mit rasant steigenden Zerstörungswirkungen, eine dynamische Form radikaler sozialer Ungleichheit, die Rückkehr eines aggressiven Nationalismus, eine unglaublich schnell zunehmende Vereinzelung der Menschen durch digitale Kommunikation, und überhaupt die Digitalisierung als sich aggressiv durchsetzende Konstante gesellschaftlichen und wirtschaftlichen und überwachungstechnischen Handelns...."

     

    Aha - Also vorne ist da wo diese Bedingungen sind.

    Also nicht denken - sondern konstatieren - feststellen!

    Mit Gottfried Benn "erkenne die Lage"

     

    & däh - erneut was anderes ~>

    Genau. " Die Dynamik der Anderen

    Merken Sie was? Genau: Alle diese Bedingungen sind durch eine ausgeprägte Dynamik gekennzeichnet...."

    &

    Ok. Das ist sicher angesagt - "das Projekt der Moderne und der offenen Gesellschaft für das 21. Jahrhundert weiterzudenken..."

    &

    So wird dann auch wieder - klar nach vorne - gedacht. - fein ~>

    "..Nach vorn denken, soziale und moralische Intelligenz gegen die technische und marktliche aufbieten und einsetzen und umsetzen und dann mal sehen, wie es weitergeht..."

    &?

    Genau - Schaugmer mal.

     

    ff - jau Fazit!

    • @Lowandorder:

      ff :- Fazit ~>

       

      kurz - ´ne ganz schön dünne FlädleBegriffsNudelsuppe - wohlfeil serviert. Gellewelle.

      Zumal ich keine Sekunde glaube - daß es so etwas wie technische - gar marktliche Intelligenz gibt - wäre es doch schön zu erfahren - wie genau & mit welchen Handlungsinstrumenten Sie mittels Ihrer beschworenen sozialen und moralischen Intelligenz den bei allem Menschenwerk unabweisbaren Dynamiken dieser von Ihnen angezogenen Technik/Markt-Bedingungen beikommen – sie gleichsam sozial und moralisch transformieren wollen.

      Das Projekt der Moderne - ist u.a. ein technisch geprägtes. Punkt.

      &

      Da beginnen - mit! nicht! gegen! - die Mühen der Ebene

      &

      Das wird nicht in irgendwelchen bemüht philosophisch-intellüllen Wolkenkuckucksheimen - praktisch handhabbaren sozial&umweltverträglichen Lösungen zugeführt. Nein.

      &

      Die hier inne taz gradezu angehimmelten Kretsche & Co. zeigen -

      Wie´s ganz sicher nicht - sondern in die Hose geht.

      Salopp. "Da dampft doch der Diesel - aus jedem Knopfloch."

      Futurum Zwei - das ist doch ne ausgemachte Kichernummer.

      Alpträume von Superperformern - mit nix auf Tasche!

      Nej tak.

       

      So geht das

      &

      Ihr Lamento - wie gehabt - für die Galerie.

      Das ja.

  • Find ich gut, kann man, muss man so sehen.

    Es reicht nicht zu warten und zu schauen was die anderen tun und dann da rumnörgeln und vor diesen Gefahren warnen oder gewarnt zu haben. Hinterher es vorher besser gewusst zu haben. Kann jeder und das ganz beliebig.

    Themen aufrufen, korrektes Vorgehen beschreiben und zur Diskussion stellen, idealerweise vormachen.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Tom Farmer:

      ...klar, die 'Anderen' nörgeln nicht, die machen einfach weiter wie bisher, siehe z.B. Merkel.

      "Idealerweise vormachen", nu, wer regiert denn im Bund, in den Länder? Doch nicht "die Linken".

      Und jetzt erklären Sie mir mal, wie "die Linken" z.B. Altersarmut bekämpfen sollen, wenn die Gesetze und Regeln, nach denen gehandelt wird, von anderen gemacht werden.

  • Links: die Überzeugung, dass das menschliche Bewußstsein die Umstände, unter denen es selbst geprägt wird verändern kann durch die Vorgabe des Denkhorizonts/ der Utopie