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Tolle Geschenke aus Ankara

Mit Meşale Tolu, Sharo Garip und David Britsch kamen wieder drei Deutsche frei – nicht ohne Gegenleistung

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Es wirkt wie eine türkische Weihnachts­offensive: Drei Freilassungen beziehungsweise Ausreiseerlaubnisse für monatelang inhaftierte oder festgehaltene deutsche Staatsbürger in einer Woche machen Hoffnung auf eine Wende in den zuletzt daniederliegenden deutsch-türkischen Beziehungen. Donnerstagnachmittag kam David Britsch, der im April in Antakya als Tourist an der türkisch-syrischen Grenze festgenommen worden war, frei. Seit Freitag ist er wieder bei seiner Familie in Schwerin.

Zuvor war am Montag die deutsche Journalistin Meşale Tolu aus der U-Haft entlassen worden, und am Dienstag erhielt der deutsche Soziologe Sharo Garip die Erlaubnis, die Türkei verlassen zu können, nachdem ihm fast zwei Jahre lang die Ausreise verweigert worden war. Obwohl Britschs Fall mit denen von Tolu und Garip nicht vergleichbar ist, scheint er doch auch Teil der derzeitigen türkischen Charmeoffensive zu sein. Britsch war nach eigenen Angaben auf einer Pilgerreise nach Jerusalem unterwegs und wollte von Antakya aus durch Syrien nach Israel. An der Grenze zu Syrien wurde er festgenommen, offenbar weil die türkische Polizei nicht glauben konnte, dass jemand tatsächlich zu Fuß durch das syrische Kriegsgebiet laufen wollte.

Sein langer Gefängnisaufenthalt war wohl dem deutsch-türkischen Zerwürfnis geschuldet, das seit dem Verfassungsreferendum in der Türkei im April auf einen Höhepunkt zugesteuert war. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel wertete Britschs Freilassung als ein „weiteres positives Signal“, das Hoffnung darauf mache, dass sich auch im Fall des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel etwas bewegen könnte. Erst kürzlich war die Isolationshaft von Deniz Yücel etwas gelockert worden, sodass er jetzt wenigstens zu einem Mithäftling Kontakt hat. Gabriel sagte, dass nun insgesamt sechs Deutsche aus der U-Haft entlassen worden seien beziehungsweise die Erlaubnis erhalten hätten, die Türkei zu verlassen.

Auch wenn die Bundesregierung einen Zusammenhang verneint – aus türkischer Sicht gibt es Gegenleistungen. So wurden die Ermittlungen gegen diverse Imame des Ditib-Moscheeverbandes eingestellt. Ihnen war vorgeworfen worden, Gemeindemitglieder im Auftrag Ankaras zu bespitzeln. Außerdem soll Bundeskanzlerin Angela Merkel dem türkischen Präsidenten telefonisch zugesagt haben, den Aufenthaltsort eines Imams der Gülen-Sekte ermitteln zu lassen. Die türkische Regierung hält ihn für einen Hauptverantwortlichen des Putschversuchs 2016.

Alles in allem ist das Bild nicht so eindeutig positiv, wie es auf den ersten Blick erscheint. Denn nach noch unbestätigten Meldungen soll es auch neue Verhaftungen deutsch-türkischer Staatsbürger gegeben haben. Alarmierend erscheint zudem, was Garo Paylan, Abgeordneter der kurdisch-linken Partei HDP, am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Ankara bekannt gab: Er habe Informationen über konkrete Pläne, türkische und kurdische Oppositionelle in Europa ermorden zu lassen. Die Killer seien türkische Nationalisten, die verdeckt mit staatlichen Strukturen zusammenhingen.

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