: A rechte Retro-Koalition
Die Regierung Sebastian Kurz steht. ÖVP und FPÖ wollen Gesetze im Sozial-, Bildungs- und Arbeitsrechtsbereich zurückfahren. Zudem fällt ein Tabu: Polizei, Armee und Geheimdienste sind künftig in der Hand der Rechten vereint
Aus Wien Ralf Leonhard
Eine „stabile und starke Regierung“ für Österreich stellten Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) Samstagabend in Wien vor. So „stabil“, dass diese Koalition zwei Legislaturperioden, also zehn Jahre, halten soll. „Stark“ werden vor allem die beiden Parteichefs sein. Denn Kurz hat die Europaagenden ins Kanzleramt geholt und die FPÖ wird unter Innenminister Herbert Kickl und Verteidigungsminister Mario Kunasek alle bewaffneten uniformierten Kräfte unter sich haben.
Darunter fallen auch die Geheimdienste, die für die Verfolgung rechtsextremer Umtriebe zuständig sind. Man darf mutmaßen, dass deren Verfolgung zurückgefahren wird. Schon als die FPÖ ab 2000 mit der ÖVP koalierte, wurde der jährliche Rechtsextremismusbericht eingestellt.
Das 182-seitige Regierungsprogramm besteht aus fünf Kapiteln mit Überschriften wie „Ordnung und Sicherheit“ oder „Fairness und Gerechtigkeit“. Was man darunter versteht, werden vor allem Asylwerber zu spüren bekommen, denen das Bargeld abgenommen werden und die Grundversorgung nur in Form von Sachleistungen zustehen soll. Sie werden ihre Handys auswerten lassen müssen und „aufenthaltsverfestigende Maßnahmen“ sollen bis zum Abschluss des Asylverfahrens untersagt sein. Kinder, die nicht dem Unterricht folgen können, werden in Sprachklassen gesteckt, statt wie bisher während des Unterrichts integriert.
Norbert Hofer, der vor einem Jahr fast Bundespräsident geworden wäre, wird Infrastrukturminister. Außer Strache und ihm wird die FPÖ keine Burschenschafter ins Kabinett schicken. Die Deutschnationalen bilden zwar das intellektuelle Rückgrat der Partei, doch versucht man, seit es mit dem Regieren ernst wird, ihre Bedeutung kleinzureden.
Trotzdem wird das Regierungsprogramm – soweit bekannt – unter dem Generalmotto „Retro“ stehen. So wird das für kommenden Mai vorgesehene absolute Rauchverbot in Gaststuben, Bars und Kneipen gekippt. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, selbst ein starker Raucher, hat sich damit durchgesetzt.
Überhaupt erwecken die Verhandlungsführer Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache den Eindruck, als hätten sich endlich zwei gefunden, um das Land in die Vergangenheit zu führen.
Der Fortbestand des Gymnasiums als Schule der Bildungselite wird festgeschrieben, Schulversuche, die die frühe Trennung nach vier Klassen Grundschule überwinden sollten, werden eingestellt. Kinder, die vor der Einschulung nicht ausreichend Deutsch sprechen, werden separiert, Noten schon ab der ersten Klasse verpflichtend.
Ministerämter
Der Bundespräsident darf bei der Regierungsbildung gehörig mitmischen und etwa Minister ablehnen. So hatte Alexander Van der Bellen deponiert, zwei FPÖ-Männer nicht zu akzeptieren: den Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus und den EU-Parlamentarier Harald Vilimsky. Gudenus fiel mit aggressiven Sprüchen gegen Ausländer („Knüppel aus dem Sack“) auf, hat sich durch Anbiederung an den tschetschenischen Despoten Ramsan Kadyrow hervorgetan und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland verteidigt.
Heimatschutz und EU
Ein Ressort unter dem durch den Bürgerkrieg von 1934 historisch belasteten Namen „Heimatschutzministerium“ hat Van der Bellen abgelehnt. Auch die Ausgliederung der EU-Agenden aus dem FPÖ-geführten Außenamt geht auf seine Kappe. rld
Was die Gewerkschaften in den Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebervertretern bisher erfolgreich abwehren konnten, soll jetzt per Bundesgesetz verordnet werden: nämlich maximale Flexibilität am Arbeitsplatz, wo auch der Zwölfstundentag im Bedarfsfall Einzug halten wird – nicht gegen Überstundengeld, sondern auf Zeitausgleich. Die Gewerkschaften bereiten bereits Proteste vor.
Von den großen „Leuchtturmprojekten“, mit denen die Zustimmung im Volk schnell verfestigt werden soll, ist wenig zu sehen. Die Zusammenlegung der 26 Sozialversicherungsträger soll erst einmal mit den Ländern verhandelt werden. Auch das Versprechen, mit einer schlanken Regierung ein Zeichen zu setzen, wurde nicht eingelöst. Das Kabinett Kurz wird einen Posten mehr haben als das abtretende Kabinett Christian Kern.
Die von der FPÖ offensiv geforderte plebiszitäre Demokratie wird es so nicht geben. Man einigte sich auf so hohe Hürden, dass die befürchtete Dauermobilisierung durch die EU-kritische FPÖ mittels Plebisziten nicht stattfinden wird. Anliegen, die grund-, völker- und europarechtlichen Verpflichtungen widersprechen, bleiben ausgeschlossen. Auch über den Austritt aus der EU oder anderen internationalen Organisationen darf nicht abgestimmt werden.
Beide Parteichefs betonten, dass sie ihre Vorstellungen zu 75 Prozent im Regierungsprogramm wiederfänden. Ausdruck des guten Einvernehmens ist auch die Schaffung eines gemeinsamen Regierungssprechers, was der Diplomat Peter Launsky-Tieffenthal übernehmen wird. Am Montag werden die künftigen Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten vereidigt.
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