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Essays aus dem Nachlass von Mark FisherDem Störenden folgen

In seinen letzten Essays sucht der britische Kulturtheoretiker Mark Fisher einen politischen Zugang zum Unzugänglichen.

„Modi“? „Formen“? „Affekte“? „Genres“? „Ästhetische Kategorien“? Foto: Imago / Westend61

Es ist das große Verdienst von Mark Fisher als Autor und Blogger über Jahre darauf insistiert zu haben, dass die große Traurigkeit seiner Generation und die damit verbundenen musikalischen und literarischen Melancholien politische Ursachen haben, ja mehr als das: so etwas wie eine verwandelte Politik sind. Dass seine eigene Depression so unerträglich wurde, dass er sich das Leben nahm, macht es schwer, über seine Ideen zu schreiben, ohne an deren existenzielle Dringlichkeit zu denken, ihre Funktion als mobilisierte Notwehr gegen die tödliche Zersetzung durch das „ursprüngliche Gefühl der Wertlosigkeit“, das die Klassengesellschaft bei ihren Opfern hinterlasse – und so als Rezensent jeden Abstand zu verlieren.

Doch das Persönliche steht bei seinem jetzt auf Deutsch posthum erschienen Buch, „Das Seltsame und das Gespenstische“ zunächst nicht so im Vordergrund. Es handelt sich um eine Sammlung von Essays zu Büchern, Filmen und Musik, die mit den beiden Kategorien in Zusammenhang steht, die im Original „Weird“ und „Eerie“ heißen.

Diese Originalbegriffe sind denn auch bei Weitem trennschärfer als die deutschen Übersetzungen. Das deutsche Seltsame umfasst ja auch kleinere Irritationen als das „Weirde“, etwa das Ungewöhnliche, Fremde und das deutsche Gespenstische wäre doch eher „spectral“ oder zum „ghost“ gehörig.

„Eerie“ wäre als erstes „unheimlich“, aber das wiederum geht nicht, denn das ist ja vergeben an Doktor Freud und heißt auf Englisch „uncanny“ – und für Fisher, der Freud nicht folgt, bildet es dennoch eher das Gemeinsame beider Begriffe, die er eher von ihrer Differenz her denken will: Das „Seltsame“ basiert auf Dingen, die nicht zusammengehören, das „Gespenstische“ auf dem, das nicht dazugehört – das könnte sehr leicht in einander übergehen. Aber gut, Kategorien aus der Alltagssprache sind immer verunreinigt, man muss sie halt definieren. Doch das geschieht eher halbherzig – das Nachwort von Christian Werthschulte ist da konziser.

In jeder Hinsicht ansteckend

Zunächst bleibt ein wenig unklar, was überhaupt von diesen Kategorien beschrieben und unterschieden werden soll: Mal sind sie „Modi“, aber auch „Formen“, dann „Affekte“, dann „Genres“ und auch schon mal „ästhetische Kategorien“, mal lassen sie sich in der Struktur eines Plots lokalisieren, eher selten in der Rezeption, also dort, wo man nach Affekten suchen würde. Sie werden auf Filme und Bücher angewandt, aber fast ausschließlich anhand von Plots und Narration identifiziert, ein Vergleich zwischen „The Shining“ von Stanley Kubrick und „The Shining“ von Stephen King schaut dann nur, welche Narrationselemente fehlen oder hinzugefügt wurden – filmischer Stil, Schreibweisen etc. interessieren nicht. Was etwa nervt, wenn Fassbinders „Welt am Draht“ nur als Plot referiert wird. Dafür allerdings ist Fisher immer sehr aufmerksam für alles Musikalische, gerade auch bei Filmen.

Doch gegen das Gefühl, dass hier jemand von Verlag oder Doktorvater gedrängt wurde, für eine Anthologie oder eine kumulative Dissertation schnell zwei Kategorien zu entwickeln, mit der sich ein lockeres Bündel von bereits Veröffentlichtem plausibel zur großen These hochjazzen lässt, liest man am besten einfach die Texte für sich. Das mühselige Auseinanderklamüsern von vermeintlichen Kennzeichen der einen Kategorie, die bei der anderen landen und vice versa hindert einen nur die inspirierten, dichten Schilderungen von Leserlebnissen zu genießen. Dass Fisher überwiegend deskriptiv vorgeht, stört dann kein bisschen: Wie er sich mit ansteckenden Enthusiasmus und Fan-Begeisterung detailreich durch die Werke von H. G. Wells bis Stanley Kubrick bohrt, ist in jeder Hinsicht ansteckend.

Vom Entferntesten aus zum Politischen, ohne banalisierende, vordergründige Ableitungen

Überraschendes entsteht dann nämlich doch auch durch das Beharren auf die einmal ausgerufenen Kategorien: Dass und wie Mark E. Smith und vor allem ein Album von The Fall („Grotesque [After the Gramme]“), den man doch eher als diesseitigen Exzentriker und Sozialskeptiker auf der Rechnung hat, in dieses britische Dämmerpandämonium gehört, wird z. T. auch durch seine Zuordnung und Nachbarschaften in diesem Band plausibel.

Götter oder keine

Man merkt immer wieder, dass Fisher den sogenannten Spekulativen Realisten nahestand, wenn er sich für das interessiert, was ganz außen ist, jenseits des menschlichen Bewusstseins. Statt, das nicht Dazugehörige und Nichtzusammengehörige von innen anzuschauen, will er aus der Perspektive des Außen auf das Innen schauen: also vom Alien aus auf den irritierten Rezipienten. Wie schon für einen der Chefdenker der Bewegung, Graham Harman, aber auch für Michel Houellebecq ist der Gewährsmann für diese Verbindung und Rundum-Lieblingskünstler der in der Tat zwar seltsame, aber nicht unbedingt gespenstische amerikanische Sonderling H. P. Lovecraft.

Fisher rechnet ihm hoch an, dass es keine Auflösung, dass er seine „Alten Wesen“ nicht in Götter verwandelt, sondern auf ihre totale Externalität besteht. Fragt sich allerdings, ob sie nicht ganz einfach negative, böse Götter sind – eben Aliens, ganz andere, die widerlich („blasphemisch“) stinken und reichlich übermenschliche, mithin göttliche Kräfte haben. Gegen Borges, den Fisher im Vorbeigehen „postmodern“ schmäht – die Postmodernen mögen die Spek-Realisten gar nicht – argumentiert er, dass Lovecrafts Fiktionen stets real wirken, während niemand glauben könne, die von Borges entwickelten Personen hätten je existiert.

Das Buch

Mark Fisher: „Das Seltsame und das Gespenstische“. Edition Tiamat, Berlin 2017, 176 Seiten, 18 Euro

Au contraire, würde ich da ja sagen. Tatsächlich haben ja einige von Borges’ Figuren sogar wirklich existiert, was von Cthulhu und Yog Sothoth wohl nicht einmal die glauben, die als Fishers Kronzeugen aus der British Library das „Necronomicon“ ausleihen wollen – welches bei Lovecraft immer vorkommt.

Trotzdem ist diese Spannweite an Fisher wahnsinnig anziehend, dass er vom Entferntesten aus zum Politischen zu kommen versucht, ohne banalisierende, vordergründige Ableitungen: Der empirische Lovecraft mit seiner nordamerikanisch-weißen Xenophobie interessiert ihn kaum. Fishers Projekt ist nicht einfach die Rationalität des Irrationalen, sondern dessen Angemessenheit, Wahrheit. Das eigentümliche Insistieren der spekulativen Realisten auf philosophische Weise Zugang zum Unzugänglichen zu erreichen, interessiert Fisher als einen grundlegend politischen Impuls, einen unerträglichen Ort zu verlassen und zugleich zu erfassen. Es ist ein Jammer, dass er dieses Vorhaben abgebrochen hat.

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