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Städtischer Zeichensalat

Die Berliner*innen haben sich an den Anblick des enormen Baukörpers gewöhnt und vergessen, für was das Stadtschloss wirklich steht – als Wahrzeichen der virtuellen Welt

Seit dem Abdanken des Kaisers wurde in Berlin nichts mehr so schnell hochgezogen wie das Stadtschloss Foto: Tobias Seeliger/imago

Von Timo Feldhaus

Ich fahre mit dem Mietroller Unter den Linden herab und habe gute Laune. Die Sonne scheint kaltes Licht, die letzten Blätter liegen gelb, braun und riesig am Wegrand. Ich höre sie rascheln, denn ich fahre elektrisch. Herbst und Winter gibt’s schon immer, aber mit einem shared Elektroscooter durch die Jahreszeiten zu gleiten, das ist ein herrliches Gefühl. Einfach, weil es das vorher noch nie gab. Schnelle, günstige, saubere und gemeinschaftliche Fortbewegung durch technischen Fortschritt, dazu frische Luft – der Ausdruck einer irgendwie besseren Welt, obwohl es darauf eigentlich gar nicht ankommt, ob es nun besser ist, es ist eben durch die reinen Zuckungen des Jetzt gerahmt und allein das macht es gut.

Das Deutsche Historische Museum blitzt im Augenwinkel, ich überlege, ob es eigentlich echt ist oder ein Nachbau. Auf der anderen Straßenseite das riesige preußische Stadtschloss, das mit einer für Berlin seit dem Abdanken des Kaisers nicht mehr gesehenen Effizienz und Schnelligkeit hochgezogen wird. Und ich frage mich, ob das eigentlich einen Unterschied macht im Jahr 2018, ob ein Gebäude echt ist oder Kopie.

Dann fällt mein Blick an mir herunter und ich finde mich sehr schick. Gut geschnittene Qualitätskleidung hochpreisiger Labels, die ich beim Vintage Designer gekauft habe. Sie sind kombiniert mit einer Strickjacke und Hose von COS, dem minimalistischen, urbanen H&M-Unterlabel, das sich dadurch auszeichnet, dass sie die Entwürfe echter Designer klauen und günstig nachmachen. Oft sieht man den Unterschied von teurem Original und günstiger Kopie kaum. Heute wirken die Sachen von COS gut an mir, denn sie gehen in den hochwertigen, originalen Kleidungsstücken auf, das merke ich an den Augen der anderen. Ich funktioniere als originelle Zusammenballung von Zeichen. Jedenfalls für die Älteren und Mittelalten wie mich. Den Jüngeren sind diese Unterschiede piepegal.

Womöglich sehe ich aber auch einfach aus wie ein eingebildetes Ei, mit einem lächerlichen schwarzg-rünen Helm auf dem Kopf, das sich auf einem gefährlich leisen Gefährt und der Illusion einer italienischen Piazza durch die auf Sand gebaute preußische Tiefebene schlängelt. Auch die architektonischen Attrappen, an denen ich vorbeizische, sehen so echt und original aus, dass sie im städtischen Zeichensalat aufgehen beziehungsweise verschwinden. Die Straße Unter den Linden funktioniert wie mein Outfit: Für Architekturamateure und Normalflaneure ballen sich all diese Gebäude zusammen zu einer historischen Stadtlandschaft, die die Geschichtsträchtigkeit des Ortes markiert. So wie ich bei flüchtigem Blick als teuer angezogen durchgehe, obwohl genau die Hälfte von mir vom günstigen Kopisten kommt.

„Schlingel“, könnten Sie sagen, aber so sind wir nun mal. Im jetzt doch ganz schön kalten Fahrtwind begreife ich plötzlich, wie überlebt Begriffe wie Originalität und Authentizität 2018 sind. Es sind Zuschreibungen einer alten Welt, die nicht mehr viel bedeuten. Im Grunde so alt und vergangen wie Preußen selbst.

Die Rekonstruktion der Mitte von Berlin als hohenzollernsche Historienkammer funktioniert als Erlebnisraum genauso wie das echte und originale Venedig, wenn der Canale Grande seinen eleganten Verwesungsgeruch ans Ufer schwappen lässt. Es macht überhaupt keinen Unterschied.

Aber wird die Stadt langfristig wirklich ohne Aura-Schaden davonkommen? Wird diese Umgebung des Unechten ohne Effekt bleiben? Was für einen Eindruck wird das auf unseren Erfahrungsschatz haben, unser Denken und unsere Gefühle? Höhlt die Unoriginalität der Eindrücke nicht unsere Herzen aus? Ich glaube nicht.

Die Welt ist heute virtuell, das Stadtschloss ihr Wahrzeichen. Es repräsentiert eine Zeit, die Abschied nimmt von den der Idee eines Widerspruchs zwischen real und unreal.

Wird die Stadt langfristig ohne Aura-Schaden davonkommen?

Retromanie und Simulation

Im November habe ich den Potsdamer Platz angefahren. Da war die bis dato bebaut scheinende Ecke Potsdamer Straße/Leipziger Straße einfach leer. Weil dort nun endlich das Geld für die echte Ecke bereitgestellt wurde, um die letzte Baulücke am Platz zu schließen. Bis dahin stand da auch ein Haus. Nur von innen war es hohl. Es sah aus wie ein Haus, war aber eine Fassade, auf der riesige Werbeflächen für Telefone von Samsung und iPhone angebracht waren. Dass es gar kein echtes Haus war, sondern nur der schmucke Rahmen für eine riesige Werbefläche, hatte ich mit der Zeit offenbar einfach vergessen. Und so ist die Welt. Gesteuert durch Algorithmen, wahrgenommen durch Screens, verändert durch veränderte Sehgewohnheiten. Mehr Imagination als Realität, mehr und mehr Kulissenräume.

Ich verstehe die Kritik am Bau dieses Schlosses. Was für eine absurde Idee, so viel Geld in einen Neubau zu stecken, der eine Geschichte reparieren will, die nicht zu reparieren ist. Warum baut man statt Kulissen nicht etwas, was im Schaum der eigenen Zeit geboren ist? Warum ist das Schloss meinem Elektroscooter nicht ähnlicher?

Mit letztem Blick auf den Lustgarten, wo eine Gruppe Hütchenspieler hockt, die ganz für sich selbst die Simulation ihres Spiels aufführt, realisiere ich das Missverständnis in meinem Kopf. Das Schloss, an dessen Rohbau ich vorbeisause, ist nicht das Beste für die Stadt, aber es ist das, was wir verdienen: Ausdruck unserer Gegenwart, einer von Retromanie besessenen Gesellschaft, die sich ihre Ästhetik aus der Vergangenheit zusammenklaubt und es sich in einer sie langsam umschließenden Simulation gemütlich macht.

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