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Drei Testläufe für den verdoppelten Nachhall

Die Staatsoper feierte die Rückkehr in ihr restauriertes Stammhaus Unter den Linden, das Friedrich der Große vor 275 Jahren eröffnet hat, mit einem Konzert und zwei Premieren

Von Niklaus Hablützel

Sieben Jahre hat die Sanierung gedauert, trotzdem ist sie ganz die Alte geblieben, die Staatsoper Unter den Linden, wie sie zwischen 1951 und 1955 im Auftrag des Magistrats für den Ostteil der Stadt aus den Kriegsruinen wiederaufgebaut worden war. Immer noch sind die Treppen und Umgänge vor den Rängen viel zu eng, die Garderoben im Keller viel zu klein. Die seligen Zeiten des Exils im eleganten und lichten Schillertheater an der Bismarckstraße sind vorbei, der Alltag der DDR hat uns wieder. Hier ist sie nie untergegangen, weil der nunmehr demokratisch gewählte Senat der wiedervereinigten Stadt es ausdrücklich so wollte. Wenn man ausweglos im Gedränge steht, hat man viel Zeit, sich über verwelkte Girlanden und Strahlenscheiben in Gold auf mattweißem Marmor zu wundern, die das ZK der Partei offenbar für Zeichen gehobener Kultur hielt.

Es lässt sich nicht mehr ändern, die Chance einer zeitgemäßen Sanierung des Hauses ist verspielt. Von außen ist eine sehr schöne, in mutmaßlich originalem Hellrosa verputzte Rekonstruktion eines historischen Gebäudes zu sehen, im Innern die Restauration des schlechten Geschmacks herrschender Klassen aller Systeme. Daran müssen wir uns gewöhnen, und wir werden es können, weil sich eines nun wirklich dramatisch verbessert hat. Der große Saal klingt wundervoll. Dafür sorgt ein seltsam verbogenes, gewaltiges Gitterband unter der um vier Meter angehobenen Decke, das den zuvor viel zu kurzen Nachhall fast verdoppelt.

Daniel Barenboim, Chefdirigent der Staatskapelle auf Lebenszeit, jedenfalls ist glücklich. Norbert Lammert, der von allen Fraktionen hochgeschätzte Präsident des letzten Bundestages, erinnerte an die Kulturpolitik Friedrichs des Großen, die weitaus wegweisender gewesen sei als seine Kriege. Dann betraten die Männer und Frauen der Staatskapelle die Bühne, nach ihnen der Maestro und nahmen das neue alte Haus zum ersten Mal ernsthaft in Betrieb – der peinliche Staatsakt am 3. Oktober sei ihnen verziehen.

Sie fühlten sich wohl, dennoch sei das Jubiläumskonzert an diesem Donnerstag, dem 7. Dezember 2017, genau 275 Jahre nach der Eröffnung, nur ein „Test“, wird Barenboim am Ende sagen, um die bizarre Programmfolge zu erläutern. Am Anfang stand das leichtfüßig vorbeihuschende „Scherzo“ aus der Musik zum „Sommernachtstraum“ von Felix MendelssohnBartholdy, gefolgt von den extrem verdichteten Klangwelten der „Notations“ von Pierre Boulez und am Ende das schauerlich pompöse Tongemälde „Ein Heldenleben“ von Richard Strauß.

Den Test hat der Saal glänzend bestanden. Alles war zu hören, in fein ausgewogener Balance aller Instrumente dieses einmaligen Orchesters. Barenboim muss in der Aufführung keine Kommandos mehr geben, die mitunter über hundert Musiker und Musikerinnen haben gelernt, ein Werk gemeinsam zu interpretieren, das sie ganz und gar verstehen, an welcher Stelle auch immer ihr individueller Beitrag erforderlich ist. Barenboim hilft ihnen dabei nur mit seinen Gesten, den Taktstock meistens nach unten gerichtet, sie spielen befreit, er hört zu, lächelt dankbar, wenn es besonders gut gelingt.

Alles war zu hören, in ausgewogener Balance aller Instrumentedieses einmaligen Orchesters

Das ist das Herz der Staatsoper Unter den Linden: Ein Kollektiv freier Künstlerinnen und Künstler, die sich keinem Star unterwerfen müssen. Sie arbeiten gemeinsam an einem Kunstwerk, das nur existiert, solange sie spielen. Es ist nicht immer perfekt, aber immer lebendig und spontan und eben ihr Werk, nicht das Werk des Chefs. Das Herz schlägt für den leichten Mendelssohn ebenso wie für den ungeheuer schweren, beim bloßen Zuhören nicht mehr entwirrbaren Boulez. Sogar Strauß war erträglich. Gute Musik wurde aus seinem „Heldenleben“ auch jetzt nicht, aber es machte Spaß zu hören, wie gut sie gespielt werden kann.

Ein wenig Spott lag dabei in Barenboims Gesten und Mimik, als wolle er sich lustig machen über den schlechten Geschmack der Restauratoren. Wer so was mag, liebt wahrscheinlich auch Strauß. Am andern Tag ging der Testbetrieb weiter. Jetzt war die Bühne dran. Achim Freyer hatte den Auftrag erhalten, „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck zu inszenieren, und Achim Freyer kann gar nichts falsch machen. Er hat seinen eigenen Stil zwischen bildender Popkunst und Kaspertheater gefunden.

So ist es auch jetzt. Unter nachtschwarzem Bühnenhimmel mit leuchtenden Sternchen kriechen und tanzen allerlei Tiere, Geräte und Gespenster um zwei Kinder herum, die in überlebensgroßen Riesenmasken stecken. Hilflos komisch zappeln sie mit ihren dünnen Ärmchen und schaffen es dann doch, die gleich in mehrere Puppen aufgespaltene Hexe in den Ofen zu stoßen.

Danach kracht es großartig. Auch die Bühnentechnik hat den Test bestanden. Nur gab es keine Oper zu sehen. Das liegt daran, dass Freyers Märchenfiguren beinahe jedem Stück eine neue, oft beglückend reizvolle Dimension hinzufügen, aber niemals einem Stück, das selbst ein Märchen ist. Dann geht dem Bühnenzauber die Luft aus und übrig bleibt die sinnlose Verdoppelung des Textbuchs.

Sex und Macht ohne Moral

Natürlich hat die Staatskapelle unter ihrem früheren Solohornisten und Kapellmeister Sebastian Weigle sehr gut gespielt und bewährte Stimmen des Ensembles haben sehr gut gesungen. Nur zu sehen waren sie nicht, daher war am Samstag ein dritter Testlauf nötig: Sängerinnen und Sänger ohne Kulissen.

So nämlich hat die junge Regisseurin Eva-Maria Höckmayr „L’incoronazione di Poppea“ inszeniert, uraufgeführt in Venedig 1642 und für die neue Berliner Aufführung vom Schweizer Barockspezialisten Diego Fasolis eingerichtet mit Musik von Claudio Monteverdi und einem halben Dutzend anderer Komponisten des 16. Jahrhunderts. Die Bühne besteht aus einer einzigen, hinten nach oben gebogenen Platte. Die ungefähr zwanzig Personen dieses Dramas um den römischen Kaiser Nero und seine machthungrige Mätresse Poppea sind immer zu sehen. Die Kostümbildnerin Julia Rösler hat sie in Gewänder des venezianischen Adels aus der Entstehungszeit des Werks gekleidet, die Regisseurin entblättert die steife Pracht buchstäblich. Die Verkleidungen fallen ab, zu sehen sind Sex und Macht in jeder nur denkbaren Verknüpfung jenseits jeder Moral. Dazu ist keine nackte Haut nötig, wohl aber die präzise Zeichnung der Charaktere.

Ganz große Oper ist der neuen Staatsoper damit gelungen, vor allem weil Fasolis seine Kompilation frühbarocker Musik gar nicht historisch hören lassen will. Nichts davon ist vergangen, die Berliner Akademie für Alte Musik spielt eine Musik, die ihren Reiz so nur heute entfalten kann. Der Countertenor Max Emanuel Cencic und die Sopranistin Anna Prohaska singen dazu den puren Pop.

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