: Wenn sich die Digital Natives Gitarren umschnallen
Beim Release-Release-Festival zur Veröffentlichung der zweiten „Keine Bewegung“-Compilation gibt es im Festsaal Kreuzberg smarten Indie-Pop, Garage-Rock, Post-Punk und folkige Schunkelnummern
Von Stephanie Grimm
Wenn Popmusik zur sozialen oder gar politischen Bewegung werden will, begeben sich die Beteiligten schnell auf dünnes Ei; schnell kann das peinlich oder plakativ werden, zumindest aber geht munteres Gedankenspiel meist verloren. So gesehen, ist man sicher gut beraten, eine Bestandsaufnahme des subkulturellen Status quo „Keine Bewegung“ zu nennen. Zugleich ist eine Stärke der Popmusik, dass sie immer auch Sozialkommentar ist, allein schon das bringt die Dinge ja in Bewegung.
„Es ist ein Titel, der mit sich selbst streitet“, erklärte Henning Mues einst in einem Interview. Zusammen mit Tammo Kasper steckt er hinter dem Hamburger Musiklabel Euphorie, bei dem man nicht nur Musik veröffentlicht, sondern auch Künstler managt, Partyreihen veranstaltet, Musiker miteinander ins Gespräch bringt, kurzum: viel dafür tut, dass aus den fragmentierten, in Nischen werkelnden Subszenen doch so etwas wie eine Bewegung wird. Zusammen mit dem Berliner Label Staatsakt, sowieso einem Garanten für smarte Popmusik, haben Euphorie 2014 erstmals einen mit Herzblut kompilierten Gegenwarts-Sampler mit eben diesem Titel herausgebracht. Vor einigen Wochen erschien dann die Neuauflage – weil seither viel passiert ist – gleich als Doppelvinyl.
Ebenfalls „Keine Bewegung“ nennt sich die musikalisch bunte Sause, die nun im Festsaal Kreuzberg stattfindet. Dort wird die Coming-of-Age-Songwriterin Ilgen Nur zu erleben sein, sowie die Garage-Rock-Band Odd Couple und natürlich Schnipo Schranke mit ihren abgerockten Indie-Chansons. Deren Geschichte ist schließlich eng mit dem Erfolg des Samplers verbunden. Ihr Song „Pisse“ erzählte auf so tragikomische Weise vom Schlussmachen, dass die neue Band 2014 auf diversen Bestenlisten landete, aber eben nur auf diesem Sampler käuflich erhältlich war.
Es wird im Festsaal auch Auftritte geben, die mit dem Sampler nichts zu tun haben: etwa vom Duo Lea Porcelain mit ihrer Mischung aus Krautrock, Elektronik und Post-Punk. Und dann spielt noch die Kölner Band Neufundland, die nach Einschätzung des Veranstalters Ran Huber „da weitermacht, wo Von Wegen Lisbeth mit ihrem Debütalbum aufgehört haben: Tanzbarer Indiepop mit intelligenten Texten“. Huber ist seinerseits seit fast zwei Jahrzehnten mit seiner Ein-Mann-Konzertagentur AmStart so etwas wie das Trüffelschwein der Berliner Subkultur und hat die Band eingeladen.
Dass an dem Abend auch Künstler auftreten, die nicht auf dem Sampler zu finden sind, ist durchaus programmatisch zu verstehen. „‚Keine Bewegung‘ ist ein offenes Konzept“, erklärt Maurice Summen, Labelchef von Staatsakt im Gespräch. Darüber hinaus kommt er ziemlich ins Schwärmen, darüber, was doch so alles in Bewegung ist: „Ich bin komplett begeistert von dem, was da heranwächst“ – auch außerhalb der Szenen von Hamburg, Köln und Berlin.
So freut sich Summen besonders über das, was im Ruhrgebiet gerade entsteht, die Folkwang-Kunsthochschule ist da zentraler Bezugspunkt. „Über die Gegend hätte man einen eigenen Sampler machen könne, da ist richtig viel los.“ Unter anderem die (übrigens aus Essen stammenden) Düsseldorf Düsterboys, auf dem Sampler vertreten sind sie mit der folkigen Schunkelnummer „Teneriffa“.
Auf der Bühne des Festsaals werden sie mit ihrem zweiten Projekt, International Music, stehen. Auch in andere Städte sind Staatsakt und Euphorie gut vernetzt, über Labelkünstler wie den umtriebigen Musiker und Produzenten Max Rieger („Die Nerven“/„All diese Gewalt“), der das Stuttgarter Post-Punk-Revival mit anschubste und jetzt in Leipzig lebt. Oder die Post-Punk-Band Friends of Gas aus München. Summen freut sich, dass es zwischen den Leuten einen regen Kontakt gibt, über Szenegrenzen hinweg.
„Ich habe den Eindruck, dass auch die Generation der Digital Natives, die sich da wieder die Gitarre umschnallt, Anknüpfungspunkte in der Slacker-Mentalität der Generation X findet. Auf jeden Fall sucht und findet man Alternativen zu dem, was in Digitalien stattfindet. Ich nehme in der Szene eine angenehme Gleichgültigkeit gegenüber der digitalen Beschleunigung wahr.“
Lieber lasse man aufleben, was man als ältere Menschen an den achtziger und neunziger Jahren mochte: Man hängt zusammen ab, in halblegalen Räumen, Galerien, Orten eben, die erst einmal „keiner kommerziellen Logik“ folgen“. Dort wird dann Musik gemacht, oft mit klassischem Instrumentarium: Bass, Gitarre, Schlagzeug. „Da dockt man klanglich automatisch am Post-Punk der achtziger Jahre an“, so Summen. Doch bei näherer Betrachtung ist es nicht nur musikalisch divers, was sich bei „Keine Bewegung“ wiederfindet, sondern auch, was da thematisch verhandelt wird. Man könnte zusammenfassen: Indierock ist wieder verstärkt Gesellschaftskommentar, nicht mehr nur die Nabelschau postadoleszenten Leids, zu dem er über die Zeit wurde.
Summen sieht eine weitere Parallele zu den neunziger Jahren: nämlich, dass sich die Popmusik repolitisiert. Weil es einen erstarkenden rechten Flügel gibt, müsse man sich wieder stärker positionieren. „Die Nullerjahre waren ja von einem starken Hedonismus geprägt. Alles schien selbstverständlich, alles schien gesagt. Plötzlich merkt man: Ach nee, gar nichts hat sich erledigt, es spitzt sich eher zu.“ Und fügt hinzu: „Vielleicht geht es doch wieder darum, Werte zu definieren.“
Man muss es ja nicht unbedingt Bewegung nennen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen