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Reichsbürgerinnen angeklagt

Zwei Reichsbürgerinnen aus dem Harz stehen vor Gericht. Eine 68-Jährige und ihre 30-jährige Tochter sollen einen Polizisten bei einem Einsatz mit säurehaltigem Badreiniger besprüht und verletzt haben. Den Männern stehen die 20 Prozent Frauen der Szene in nichts nach

Von Reimar Paul

Sie sollen einen Polizisten so heftig mit säurehaltigem Sanitärreiniger bespritzt und dann getreten haben, dass dieser schwere Verletzungen erlitt: Wegen dieses Vorwurfs müssen sich zwei zur sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ gezählte Frauen aus dem niedersächsischen Harz-Ort Barbis vor dem Amtsgericht Herzberg verantworten. Der Prozess begann gestern, ein Urteil fiel aber noch nicht.

Die Staatsanwaltschaft Göttingen legt der 68-Jährigen und ihrer 30 Jahre alten Tochter gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last. Die jüngere Frau soll laut Anklage im Juni 2015 im Wohnhaus der Mutter den Polizeibeamten mit der Flüssigkeit überschüttet haben. Der Beamte erlitt dabei so schwere Verätzungen an den Augen, dass er stationär im Krankenhaus behandelt werden musste. Zudem sollen beide Frauen den Polizisten massiv attackiert haben. Auch ein Mitarbeiter des Landkreises Osterode wurde verletzt.

Zu dem Polizeieinsatz im Haus der 68-Jährigen war es gekommen, weil der Bezirksschornsteinfeger um Hilfe gebeten hatte: Die Mutter, die seit Jahren mit den Behörden im Streit liegt, hatte laut Staatsanwaltschaft mehrfach eine Inspektion der Heizungsanlage verweigert, weshalb die Anlage offiziell stillgelegt werden sollte. Für den Termin im Juni 2015 hatte der Bezirksschornsteinfeger deshalb die Polizei um Hilfe gebeten.

Das Verfahren war zunächst für Anfang Mai anberaumt. Es platzte dann aber, weil die beiden Angeklagten nicht zur Verhandlung erschienen. Um Ähnliches zu verhindern, hatte die Polizei die Frauen am Dienstag abgeholt und in Gewahrsam genommen, sie mussten die Nacht vor dem Prozess in getrennten Zellen verbringen. Zu den Anklagepunkten äußerten sich die Frauen gestern nicht. Das Verfahren wird am 24. Oktober fortgesetzt.

In den vergangenen Monaten hatte die Polizei in ganz Deutschland Wohnungen von mutmaßlichen „Reichsbürgern“ durchsucht und dabei unter anderem zahlreiche Waffen beschlagnahmt. Betroffen waren fast ausschließlich Männer. Die Rechtsextremismusexpertin Susann Bischof aus Jena geht dabei von einem Frauenanteil von immerhin etwa 20 Prozent in der „Reichsbürgerbewegung“ aus. Dies entspreche etwa der Mitgliedschaft in extrem rechten Parteien, sagte die Wissenschaftlerin gestern der taz. In einigen neo-nazistischen Kameradschaften liege der Frauenanteil noch darunter.

Nach Bischofs Angaben gebe es bislang keine Studien, die sich explizit mit dem Frauenbild von Reichsbürgerinnen selbst oder mit dem im ReichsbürgerInnen-Milieu propagierten Frauenbild auseinandersetzen: „Die Reichsbürgerin gibt es so wenig wie den Reichsbürger“, sagt sie. Im Milieu träten die unterschiedlichen Frauen mit allen typisch reichsbürgerlichen Aktionsformen in Erscheinung. Sie seien also ebenso wie Männer an der Gründung von „Königreichen“ beteiligt, sie leiteten „Ministerien“ in Schein-Regierungen, fielen bei den Behörden durch Vielschreiberei auf oder propagierten in Videos und Blogs die Ideologien der Szene.

Frauen sind wie Männer an der Gründung von „Königreichen“ beteiligt, sie leiten „Ministerien“ in Schein-Regierungen, fallen bei den Behörden durch Vielschreiberei auf oder propagieren die Ideologien der Szene

Grundsätzlich werde im Milieu ein „überwiegend sehr konservatives Geschlechter- und Familienbild“ geteilt, sagte Bischof. Die Kritik etwa an einer sexueller Aufklärung, die vielfältige Geschlechterbilder und Sexualitäten widerspiegele, am sogenannten „Gender-Wahn“ und an der „Frühsexualisierung“ sei dabei ein „Scharnierthema“ zur extremen, neuen und konservativen Rechten. „Generell kann man auf Grundlage der Forschungen vermuten, dass nicht das Frauenbild ausschlaggebend ist für ein Engagement in dem Milieu, sondern dass es die im Milieu kursierenden Ideologien und die ‚praktischen Handlungsanweisungen‘ sind“, erklärte die Wissenschaftlerin.

„Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Stattdessen behaupten sie, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort – je nach Ideologie entweder in den Grenzen des Deutschen Kaiserreichs oder in denen von 1937. Daher sprechen sie dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab. Und sie weigern sich, unter anderem Steuern und Bußgelder zu zahlen oder Gerichtbeschlüsse und Verwaltungsentscheidungen zu befolgen. Der Szene zugeordnet werden auch die sogenannten „Selbstverwalter“. Sie meinen, durch einseitige Erklärungen aus der Bundesrepublik und ihrer Gesetzgebung „austreten“ zu können, beziehen sich dabei aber nicht unbedingt auf das Deutsche Reich.

Die „Reichsbürgerbewegung“ entstand in den 1980er-Jahren und tritt seit 2010 verstärkt in Erscheinung, seit 2013 auch mit Gewaltbereitschaft. Das Bundeskriminalamt rechnet der Bewegung rund 13.000 Personen zu, 800 davon gelten als Rechtsextremisten. Rund 13.000 Straftaten werden „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ seit deren Erfassung angelastet, davon 750 Gewaltdelikte.

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