Krieg gegen die Kurden: Zwischen den Fronten

Sie haben gegen den „Islamischen Staat“ gesiegt. Nun ziehen Iraks Armee und verbündete Milizen in den Krieg gegen die Kurden.

Militärfahrzeuge vor einem Ölfeld

Irakische Militäreinheit bezieht Stellung vor einem Ölfeld in Kirkuk Foto: reuters

BASCHIKA taz | Unter Hochdruck schütten Bagger Erde auf, der Wall ist schon gut zwei Meter hoch. Unterhalb zieht sich ein tiefer Graben entlang. Aber der Erdwall soll noch höher werden. So will es General Behram Doski, Kommandant einer Einheit der Peschmerga, der Kämpfer des kurdischen Teilstaats im Nordirak. Zusammen mit mehr als zwanzig Peschmerga ist der Kommandant zur Inspektion gekommen. „Beeilt euch“, sagt Doski. „In zwei Tagen muss das fertig sein.“

Bis vor einem Jahr herrschten in dem flachen Land bei Baschika, einer Kleinstadt gut zwanzig Kilometer nordöstlich von Mossul, die finsteren Gesellen des „Islamischen Staats“ (IS). Mit US-Luftunterstützung und Waffen aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland, haben die Peschmerga den IS im November letzten Jahres geschlagen.

Doch jetzt markiert der Erdwall eine neue Frontlinie: zwischen Kurden und schiitischen Milizionären, die ebenfalls gegen den IS gekämpft haben. Auf den Häusern nördlich des Walls weht die Flagge Kurdistans, südlich davon die irakische und Fahnen mit den Bildnissen von schiitischen Heiligen.

Über Hunderte von Kilometern haben sich kurdische Kämpfer auf der einen, irakische Truppen und schiitische Milizen auf der anderen im Nordirak hinter ähnlichen Gräben, Wällen und Betonmauern eingegraben. Wie ein langer Bandwurm schlängelt sich die Befestigungsanlage von Sindschar nahe der irakisch-syrischen Grenze über Mossul und Kirkuk bis nach Dschalawla an der irakisch-iranischen Grenze. Dabei kam es südlich von Kirkuk über das Wochenende zu bewaffneten Zusammenstößen.

General Doski traut Bagdad nicht. Die Peschmerga hätten im Kampf gegen den IS 2.000 ihrer Männer verloren, 20.000 seien verletzt worden. „Das ist Kurdistan. Wir haben dafür mit unserem Blut bezahlt. Das geben wir nicht mehr her.“

Kein gutes Omen

Für Scheich Ali Kojek Hussein sind die scharfen Töne des Peschmerga-Kommandanten kein gutes Omen. Der 56-Jährige ist das religiöse und soziale Oberhaupt der Jesiden von Baschika und den umliegenden Dörfern. Zusammen mit Christen bildet die Minderheit, deren Glauben älter als der Islam ist, die Mehrheit der Einwohner in der Region.

In Pluderhosen sitzt Scheich Ali im Schneidersitz auf einem Teppich vor dem örtlichen Tempel der Jesiden. Drinnen brennen Öllampen als Zeichen für das ewige Licht. Arbeiter schleppen Sand und Steine an, um das Heiligtum, das der IS fast ganz zerstört hatte, wieder aufzubauen.

Scheich Ali , Jeside in Baschika

„Wir wollen Waffen, damit wir uns verteidigen können“

„Wir haben mit diesem Konflikt nichts zu tun“, sagt Scheich Ali über die Spannungen zwischen den Peschmerga und den Milizen. „Sie sind beide Muslime.“ Die Mehrheit der Kurden sind Sunniten, die irakischen Soldaten und Milizionäre sind vor allem Schiiten.

Nach dem Einmarsch der USA 2003 fassten die kurdischen Parteien und ihre Kämpfer erstmals in Baschika und weiteren umstrittenen Gebieten Fuß. Eine von den USA vermittelte Vereinbarung sorgte später für eine Machtteilung zwischen Erbil und Bagdad. Doch als der IS den Nordirak überrannte, brachten die Peschmerga einen Großteil der von ihnen beanspruchten Gebiete unter ihre Kontrolle.

„Wir haben die Peschmerga um Waffen gebeten. Wir Jesiden sind gute Kämpfer, wir hätten uns verteidigt“, sagt Scheich Ali. Doch die Kurden weigerten sich. Zwei Monate später ließen sie die Jesiden und Christen im Stich. Wie zuvor die irakische Armee suchten die Peschmerga vor dem zweiten IS-Ansturm das Weite.

Verschleppt und vergewaltigt

In den Sindschar-Bergen ermordeten die IS-Extremisten Hunderte von Jesiden. Sie vergewaltigten, verschleppten und versklavten mehrere tausend Frauen und Mädchen. In Baschika konnten die Jesiden und Christen noch rechtzeitig fliehen. Aber die Kämpfe gegen die Extremisten haben tiefe Spuren in der Kleinstadt hinterlassen.

Viele Häuser sind unter Artillerie- oder Bombenangriffen halb eingestürzt, andere ausgebrannt. Der Altar- und Gebetsraum der syrisch-katholischen Jungfrau-Maria-Kirche im Zentrum des Städtchens ist von Einschusslöchern und einer dicken Staubschicht überzogen. Gegenüber in der St.-Shimon-Kirche der syrisch-orthodoxen Christen hat die Gemeinde die Spuren der IS-Wüterei weitgehend beseitigt.

„Ich habe hart dafür gearbeitet, damit die Gläubigen zurückkehren“, sagt Pfarrer Daniel Behnam. Im Wechsel erfüllen der Tenor des Priesters und die hellen Stimmen von zwei Mädchen, die das auf Aramäisch gehaltene Gebet nachsprechen, das Kirchenschiff. Ein Zeichen der Hoffnung. Aber nur zehn Gläubige und eine Handvoll Kinder sind zum Nachmittagsgebet gekommen.

Von den einst 500 syrisch-orthodoxen Familien seien um die 300 zurückgekehrt, von den ehemals rund 100 syrisch-katholischen Familien etwa ein Drittel, sagt der Pfarrer. Unter den Jesiden, die unter den einst rund 35.000 Einwohnern des Ortes die Mehrheit bildeten, sieht es nach Auskunft von Scheich Ali ähnlich aus. Bagdad zahlt weiterhin die Löhne der öffentlich Bediensteten, doch mit der Verwaltung hapert es. Zwar gibt es einigermaßen Strom und Wasser, doch an zahlreichen Ecken verbreiten Abfallberge einen bestialischen Gestank.

In Dienst der Peschmerga

Viele der jüngeren Bewohner stehen im Dienst der Peschmerga und beziehen ihren Lohn aus Erbil. Auf diese Weise wollten sich die Kurden die Loyalität der Minderheit kaufen, meinen Kritiker. Für die Dienstleistungen fühle sich aber keine der Konfliktparteien zuständig, sagt Pfarrer Behnam.

Die Massaker des IS und der kampflose Rückzug der Peschmerga haben unter den Jesiden wie auch Christen tiefe Narben hinterlassen. Zehntausende sind nach Europa geflohen. Angesichts der Spannungen zwischen Erbil und Bagdad nach dem Referendum fragen sich viele Rückkehrer: Bleiben oder fliehen? „Wir wollen nicht gehen“, sagen sowohl der Pfarrer als auch der jesidische Scheich. „Wir schützen die Minderheiten viel besser als der Irak“, betonen Vertreter des kurdischen Teilstaats. Aber nach der bitteren Erfahrung der letzten Jahre trauen Jesiden und Christen den Versprechungen nicht.

„Sollten wir fliehen, suchen wir uns einen Ort, an dem wir eine Zukunft haben“, sagt Pfarrer Behnam. „Wenn wir wieder gehen müssen, wird es ein Abschied für immer. Dann gibt es kein Zurück mehr, dann ist es das Ende“, prognostiziert Scheich Ali. „Wir wollen internationalen Schutz und Waffen, damit wir uns verteidigen können“, fügt er hinzu. Dass der Westen darauf eingeht, ist unwahrscheinlich. Und so hängt das Schicksal der Minderheiten davon ab, ob sich die Kurden und Bagdad einigen.

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