Kolumne „Nach Geburt“: Wir teilen unsere Mittelmäßigkeit!

Druck durch „Attachment Parenting“-Ratgeber und -Blogs? Muss nicht sein. Sich die eigene Durchschnittlichkeit einzugestehen, hilft.

Ein als Bär verkleideter Mensch wirft eine Packung Windeln in einen Behälter

Es kann halt nicht jedes Elternteil so ein Superunterhalter sein wie Roary, das Maskottchen der Detroit Lions Foto: ap

Tochter eins sitzt auf dem Klo: „Papa, ich hab gekackat!“, brüllt sie Richtung Wohnzimmer.

Gut, denke ich, das Badezimmerfenster ist zwar gekippt, aber an diesen Ausruf sollten sich die Nachbarn gewöhnt haben.

„Es sind zwei Klopse!“, schallt es aus dem Bad.

„Ein Klops schwimmt im Wasser, der andere ist draußen.“

Ich schließe mal lieber das Fenster.

Für den anschließenden Akt des Arschabwi­schens musste ich die Lektüre eines Zeit-Online-Artikels unterbrechen.

Darin beklagt sich eine Mutter darüber, wie sehr ihr Versuch, die perfekte Attachment-Parenting-Mutter zu sein, sie in die Isolation getrieben habe, wie fertig sie nach mehreren Jahren Rund-um-die-Uhr-Kinderbetreuung gewesen sei.

Attachment Parenting ist – ganz kurz – ein Erziehungsansatz, in dem sich eben nicht das Kind dem Leben der Erwachsenen anzupassen hat, sondern sich dem Kind zugewandt wird und die Eltern versuchen, ihr Leben den Bedürfnissen des Kindes anzupassen.

So weit, so sinnvoll. Wirklich. Ich finde das gut.

Nur heißt Attachment Parenting in seiner modernen Form häufig aber auch: Ich bekomme ein Kind und lese ganz viele Bücher oder Artikel zum Thema Attachment Parenting und erzähle dann anderen Eltern, wie schön wir das doch umgesetzt haben. Und/oder ich blogge darüber. Fotos von Selbstgehäkeltem und kunstvoll geschnitztem Obst inklusive. Dazu gerne mal ein gesponserter Beitrag.

Das Leben mit Kind ist nicht beschissener als das vorherige. Es ist für viele aber auch nicht erfüllender. Unterm Strich: Note 3.

Aus dieser BloggerInnen-Ecke haben Zeit Online und die Autorin dann auch ordentlich auf die Fresse gekriegt. (Dass dieses Verächtlichmachen den eigenen pädagogischen Ansprüchen genügt, wundert mich immer wieder.)

Da ist er, der Druck.

Wie kommt man da raus? Ich versuch es mal wie unser Bundespräsident und mache mich ehrlich. Und halten Sie sich fest: Kinder zu haben ist insgesamt mittelmäßig. Und ich bin als Vater: mittelmäßig.

Kein Wochenende, das ich bisher mit den Kindern erlebt habe, war so perfekt wie einer dieser Wochenendzusammenfassungs-Blogbeiträge. Nachmittage auf Spielplätzen sind eben oft schlicht langweilig.

Man wäscht mehr, man putzt mehr, man ist mal genervt, mal nicht, mal ist es lustig, mal ärgerlich, mal sind die lieben Kleinen tatsächlich lieb, mal sind sie fies. Mal kommt man besser klar, mal schlechter.

Das Leben mit Kind ist nicht beschissener als das vorherige. Es ist für viele aber auch nicht erfüllender. Unterm Strich: Note 3.

Bei manchen mag es so sein, dass sie in ihren neuen Rollen komplett aufgehen. Dann sollen sie darüber bloggen und ihre besten Attachment-Parenting-Tipps verbreiten. Ist doch schön. Kann ich annehmen, kann ich aber auch bleiben lassen. Es war mir schon immer egal, wenn Menschen mir das gute Leben verkaufen wollten.

Also: Nehmen Sie aus dieser Kolumne mit, was Sie wollen. Aber nehmen Sie sie nicht als Vorbild. Sie ist höchstens mittelmäßig.

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Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.

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