piwik no script img

Der Zionskirchüberfallvom 17. Oktober 1987 und die Zäsur, die er markiert

Vor 30 Jahren überfielen rechte Skinheads ein Konzert von Die Firma und Elementof Crime in Ostberlin. Dass die DDR ein Naziproblem hatte, war inoffiziell bekannt,wurde nun aber offenbar. Selbst die Staatsmedien konnten das nicht mehr leugnen

Element of Crime, Berlin (Ost), Zionskirche, 17. 10.1987 Foto: Erik Weiss

Von Robert Mießner

Es gehörte viel dazu, wenn ein ehemaliger Punk die DDR-Staatsorgane zum Eingreifen aufforderte, und doch ist es passiert. Am diesigen Abend des 17. Oktober 1987 steht Henryk Gericke, Autor inoffizieller Zeitschriften und im Brotberuf Drucker, am Zionskirchplatz in Berlin-Mitte und ruft der Volkspolizei zu: „Tut etwas, tut doch etwas!“ Sein in der Nachbarschaft wohnender Freund, der Musiker und Maler Ronald Lippok, ergreift die Initiative und nimmt ihn zu sich nach oben.

Was war geschehen? Für den Tag, ein Sonnabend, war in der Zionskirche ein Konzert der Ostberliner Politpunkband Die Firma und der Westberliner Wavemelancholiker Element of Crime angesetzt gewesen. Der Auftritt ging vor über tausend Konzertbesuchern so weit über die Bühne, die in diesem Fall der Altarraum war, er endete im Angriff von 30 rechten Skinheads.

Sie waren von einer Geburtstagsparty in der Kneipe „Sputnik“ an der Greifswalder Straße gekommen. Am Vorabend hatten sie in einer Auseinandersetzung mit alternativen Jugendlichen vor dem Haus der Jungen Talente in der Klosterstraße einstecken müssen, jetzt sollten sie austeilen. Parolen wie „Skinhead Power!“, „Ihr Judenschweine!“, „Sieg Heil!“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen“ waren durch die Dunkelheit gehallt, die Angreifer mit Stöcken und Metallketten gekommen. Es gab Blut, es gab Verletzte.

In der DDR, sagen Diskogänger, Tresenhänger und Zugreisende rückblickend, saß die Faust locker – diese Brutalität war aber neu, wie sich Ronald Lippok erinnert. Die Volkspolizei griff in die Schlägereien nicht ein. Dafür stand in den Hauseingängen um den Zionskirchplatz die Staatssicherheit. Aus einer der Türen sollte Gericke einen Nachbarn, nur wenige Jahre älter als er, kommen sehen. Der kurze, entlarvende Blickkontakt war erschreckend und gespenstisch. Als sich Gericke aus seinem Zufluchtsort bei den Lippoks auf den Nachhauseweg macht, läuft in der trüben Dämmerung neben ihm ein einzelner, massiver Skinhead. In der Hand trägt er einen Ziegelstein; er umfasst ihn an der Stirnseite. Die ersten seiner Kumpane sind zu diesem Zeitpunkt verhaftet.

Am Montag darauf werden im SED-Zentralorgan Neues Deutschland die „Bauern mit hohem Ertrag ihr Wort eingelöst“ und die Mailänder Scala im Berliner Schauspielhaus „ein glanzvolles musikalisches Gastspiel“ gegeben haben. Als Lutz Schramm, Moderator der Independent-Sendung „Parocktikum“ im Jugendradio der DDR, zehn Tage später „Nazi Punks Fuck Off!“ von den Dead Kennedys spielt, dürften die meisten seiner Zuhörer gewusst haben, warum gerade jetzt; doch dürften die DDR-Bürger, die nicht vor Ort oder subkulturell verdrahtet waren, von dem Überfall auf die Zionskirche zuerst aus den Westmedien erfahren haben. Mit den Taten des 17. Oktober 1987 wurde klar, was sich bereits in den Jahren zuvor angekündigt hatte: Die DDR, in ihrem Selbstverständnis ein antifaschistischer Staat, hatte ein Neonazi-Problem.

Der Autor und Radiomoderator Ronald Galenza berichtet in seinem Text „Glatzen & Bomberjacken. Skinheads in der DDR“ aus der vorangegangenen Zeit: „Am 20. April 1986 versammelten sich ca. 15 Jugendliche im Thälmann-Park in Steinfurth/Wolfen, um den Hitler-Geburtstag zu feiern. Bei einem Lagerfeuer wurde auf den ‚Führer‘ angestoßen und die faschistische Wehrmacht verherrlicht. Die Jugendlichen sangen das ‚Deutschlandlied‘ und entboten sich den Führergruß. Im Oktober 1986 wurden fünf Jugendliche vom Kreisgericht Cottbus-Stadt zu je sechs Monaten Haft verurteilt. Sie hatten Ausländer geschlagen und beleidigt und faschistische Parolen propagiert. Im November 1987 wird in Oranienburg bei Berlin eine Gruppe junger Faschos festgenommen. Monatelang hatten sie in Zügen, in Gaststätten, Jugendklubs, Bahnhöfen und auf offener Straße Menschen überfallen und geschlagen.“

Nach dem Zionskirchüberfall häufen sich die Vorfälle. Sie hatten einen Vorlauf. Galenza weiter: „In der DDR datierte man den Beginn des strafrechtlich relevanten Neonazismus und verwandter Aktivitäten offiziell auf 1981.“ Offiziell, wohlgemerkt. Rassismus und Antisemitismus gehörten seit Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in den Fußballstadien der Republik zum Repertoire. Dass der in der späten DDR obligatorische Wehrkundeunterricht 1978 eingeführt wurde, ist mehr als ein zeitliches Zusammentreffen.

Dirk Teschner, Redakteur der linksoppositionellen Zeitschrift telegraph, protokolliert, was Fans des 1. FC Union zur Melodie eines bekannten DAF-Songs zu hören bekamen: „Fußball in der Mauerstadt, Union spielt jetzt hinter Stacheldraht / was Neues in der DDR / der BFC ist jetzt der Herr / Zyklon B für Scheiß Union / in jedem Stadion ein Spion / selbst Ordner sind in der Partei / Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei“. Wie er als 15-Jähriger im Familienkreis darauf aufmerksam machte, daran erinnert sich der Stadiongänger Henryk Gericke in Andreas K. Richters und Tom Frankes Dokumentarfilm „Die Nationale Front. Neonazis in der DDR“. Und wie er Unglauben erntete.

Mielke und die „Skiheads und Gruffits“

Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, saß gerne auf der BFC-Tribüne, der Club war sein Verein. Mielke selbst ist in die Geschichte eingegangen als einer, der kenntnisreich von „Skiheads und Gruffits“ sprach. Man kann darüber im Nachhinein lachen. Lustig war es nicht.

Die Haftstrafen zwischen ein und zwei Jahren hält selbst die DDR-Presse für zu mild

Zur Geschichte gehört, dass das Zionskirchkonzert klandestin organisiert, die Party der Skinheads hingegen vom Rat des Stadtbezirks abgesegnet war. Und dass die Angreifer Gegenwehr bekamen. Unabhängige Antifa-Gruppen bildeten sich (siehe das Interview von Peter Nowak mit dem Aktivisten Dietmar Wolf in der taz vom 9. Oktober).

Der Zionskirchüberfall gerät in der späten DDR zum Kristallisationspunkt, zur Zäsur. Er wird Diskussionsstoff auf Schulhöfen und in Pausenräumen. Als die Schläger im Dezember 1987 zu Gefängnisstrafen zwischen einem und zwei Jahren wegen „Rowdytums“ verurteilt werden, hält selbst die DDR-Presse das für zu wenig. Und es hagelt Leserbriefe. Der Staat flüchtet sich in Aktionismus, sein Generalstaatsanwalt verfügt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Der Hauptangeklagte Ronny B. erhält vier Jahre, seine Mitangeklagten zweieinhalb Jahre, ein Jahr und acht Monate sowie anderthalb Jahre. Erich Honecker, der unter den Nazis zehn Jahre gesessen hatte, zeichnet ab.

In den Monaten danach können die DDR-Medien nicht anders, als über das Bestehen einer rechten Szene zu berichten. Dass sie hausgemacht ist und nicht, wie suggeriert wird, aus den Einflüsterungen des Klassenfeinds entstanden ist, davon ist selten die Rede. Ein Jahr später dann, am 13. September 1988, berichtet die taz auf einer ganzen Seite über die DDR-Rechten. „20 Prozent von uns würden Hitler gut finden“, meint einer von ihnen unumwunden im Interview. Es dauert noch ein Jahr, bis Ursachenforschung betrieben wird, in einem Film des Defa-Regisseurs Roland Steiner, uraufgeführt am 5. November 1989 auf dem Dokumentarfilmfestival Leipzig. Erich Honecker ist da bereits zurückgetreten, vier Tage später fällt die Mauer. Steiners Titel: „Unsere Kinder“.

Daran zu erinnern, ist kein nachgetragener Antikommunismus. Eher sollte zu denken geben, wenn Jürgen Elsässer dieser Tage der DDR zum Nationalfeiertag gratuliert. Sie sei der deutschere der beiden Staaten gewesen, meint der ehemalige Linksabbieger und jetzige Rechtsparker Elsässer. Er könnte recht haben. Doch das ist kein Kompliment.

Am Fr., 13. 10., wird in der Zionskirche ab 18 Uhr die Film-Doku „Nazis in der DDR: Der Fall Zionskirche“ gezeigt, im Anschluss gibt es eine Diskussion mit Element-of-Crime-Mitgliedern. Am Sa., 14. 10., findet ab 18 Uhr ein Punkkonzert mit The Movement, Hans Am Felsen und Max.Antikrist statt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen