: „Das Humboldt-Forum sollte viel proaktiver werden“
Die Diskussion um den Umgang mit ethnologischen Objekten hat das Humboldt Forum lange nicht zugelassen, sagt Katharina Schramm. Ein Interview über innovative Ausstellungspraktiken
„Preußisches Koloniales Erbe: Heilige Objekte und menschliche Überreste“:Auf der internationalen Konferenz am kommenden Wochenende (14./15.10.) befassen sich deutsche und afrikanische WissenschaftlerInnen und AktivistInnen mit der Frage der Herkunft und Zukunft von Museumsobjekten aus kolonialen Zusammenhängen – mit dem Fokus auf besonders sensiblem Material wie Kultobjekte und „human remains“. Veranstalter sind Berlin Postkolonial und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, die explizit den sonst kaum gehörten Stimmen aus den Herkunftsländern Raum geben wollen. Mehr Infos: www.berlin-postkolonial.de/
„Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ (ab 27.10. bis auf Weiteres):Die Ausstellung soll einen Vorgeschmack auf das Humboldt Forum geben: Rund 30 Skulpturen der – außereuropäischen – ethnologischen Sammlung werden ebenso vielen aus der – europäischen – Skulpturensammlung gegenüber gestellt. Die Ausstellung soll Fragen aufwerfen, heißt es vorab. Etwa: Warum wurden die einen Objekte als ethnologische Gegenstände und die anderen als Kunstwerke klassifiziert? (sum)
Interview Susanne Memarnia
taz: Frau Schramm, das Völkerkundemuseum, der Vorläufer des Ethnologischen Museums, war tief verstrickt in die Kolonialpolitik. So hat der damalige Direktorialassistent, Felix von Luschan, die Menschen der Kolonialausstellung vermessen und beforscht. Wozu?
Katharina Schramm: Physische Anthropologie und Ethnologie gehörten als koloniale Wissenschaften zusammen. Zum einen gab es einen regelrechten Typologisierungswahn, der sich ebenso auf ethnografische Objekte richtete, wie auf Schädel und lebendige Menschen. All dies wurde vermessen, klassifiziert und hierarchisch geordnet. Zum anderen ging man davon aus, die kolonisierten Kulturen würden „verschwinden“ und daher müssten ihre materiellen Zeugnisse umfassend zusammengetragen, ja „gerettet“ werden. Der Kulturanthropologe Renato Rosaldo hat das einmal „imperialistische Nostalgie“ genannt. Die ethnografischen Sammlungen und die Sammlungen menschlicher Gebeine (human remains), ebenso wie die anthropometrische Praxis der damaligen Rassewissenschaft – all das ist eng miteinander verschränkt und von Luschan war ein wichtiges Scharnier. Er hat Sammelanleitungen herausgegeben, die ethnografische Objekte ebenso umfassten wie human remains, und er hatte für seine wissenschaftliche Praxis Zugriff auf Menschen, die etwa im Rahmen der Kolonialausstellung nach Berlin kamen.
Ist all dies ausreichend aufgearbeitet?
Seit den 1990er Jahren gibt es einiges an englisch- und auch deutschsprachigen historischen Arbeiten, die sich explizit mit der Sammlungspraxis des Museums beschäftigen. Die Verschränkung kolonialer Herrschafts- und Wissenschaftspraxis wird hier en detail belegt. Aber das heißt eben: von außen! Innerhalb der Institution des Ethnologischen Museums wurde die Sammlungsgeschichte eher im Sinne einer Bestandsaufnahme angegangen. Eine aktive Auseinandersetzung nach dem Motto: Hier haben wir als Museum ein Problem, da müssen wir ran, gab es meines Erachtens nur vereinzelt. Und diese Verflechtungsgeschichte ist bisher kaum in die Repräsentation des Museums eingegangen.
Das könnte ja künftig im Humboldt Forum geschehen. Aber Kritiker, etwa vom Bündnis NoHumboldt21, sagen, eine kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte finde kaum statt. Was ist dran an der These, das sei alles „Raubkunst“?
Dieser Begriff ist natürlich provokant und greift im Detail nicht immer. Aber er macht eine dringliche Debatte auf. Es ist wichtig, sich mit der Provenienzfrage auseinander zu setzen – vor allem in Hinblick auf so spektakuläre Objekte wie etwa die Benin-Bronzen (1897 von Briten aus dem Königspalast von Benin City geplündert, Anm.d.Red.). Das war Kriegsbeute, die von Luschan für das Berliner Museum erworben hat. Damals gab es keinerlei Bedenken, dass die Bronzen im Rahmen einer „Strafexpedition“ angeeignet und nach Europa gebracht wurden. In den aktuellen Diskussionen wird aber immer auch gesagt, wir haben viele Schenkungen, da könne man nicht von „Raubkunst“ sprechen.
Stimmt ja auch, oder?
Natürlich ist das ein Unterschied, auch juristisch. Der Begriff „Raubkunst“ etwa impliziert Restitution, eine „Schenkung“ muss man dagegen nicht zurückgeben. Aber dabei gerät eben die grundsätzliche Verquickung von kolonialen Sammelpraktiken, kolonialer Herrschaft und dem, was heute im Museum ausgestellt wird, aus dem Blick. Denn natürlich sind auch die Schenkungen nicht in einem hierarchiefreien Raum gemacht worden. Manche „Schenkungen“ kamen unter Druck zustande. In jedem Fall war die Erwartungshaltung der Schenkenden eine von Gleich zu Gleich: Es war zum Beispiel nicht in der Absicht König Njoyas aus Kamerun, dass sein Perlenthron im Ethnologischen Museum landet.
Die Schenkung ging an den Kaiser!
Genau. Also: die reine Konzentration auf „Raubkunst“ birgt die Gefahr der Vorstellung, dass wir unsere Sammlungen „reinigen“ können, indem wir Objekte aus „Unrechtskontexten“ zurückgeben – und die anderen sind dann unproblematisch. Damit wird aber eine Trennschärfe suggeriert, die so nicht funktioniert.
Was sollte man mit Sachen machen, die zwar keine Raubkunst sind, aber aus kolonialen Zusammenhängen kommen?
Dazu gibt es mittlerweile international einige Projekte in Museen, die sehr genau und kleinteilig hinschauen, auch zusammen mit den Herkunftsländern. Es ist schwer, dazu einen pauschalen Vorschlag zu machen, so und so müssen wir jetzt damit umgehen. Man wird diese Probleme nicht los, indem man eine Lösung vorschlägt, sondern man muss überhaupt erst einmal ein Problembewusstsein schaffen. Und da müssen alle an einen Tisch. Dass es diese Art von Diskussionsbereitschaft lange nicht gegeben hat, ist Teil der absolut berechtigten Kritik vom Bündnis NoHumboldt21 und Berlin Postkolonial.
Man fragt sich ohnehin, wie heute ein „Völkerkunde-Museum“ aussehen kann.
Ich glaube, alle ethnologischen Museen, nicht nur in Berlin, führen diese Debatte: Wie kann ein zeitgenössisches ethnologisches Museum aussehen? Wie spiegelt ein Museum relevante sozial- und kulturanthropologische Themenfelder wie Dekolonisierung, Migration und Globalisierung? Und natürlich: Wie geht man mit den Objekten um? Welche Repräsentationsstrategien sind angemessen? In Museen spiegelt sich ja auch immer ein gewisser Zeitgeist in Bezug auf seine Ausstellungspraktiken. Die geografische Unterteilung in Kontinente, die es auch im Humboldt Forum wieder geben soll, erscheint dabei allerdings aus der Zeit gefallen, denn diese „Reise um die Welt“ kommt nun wirklich aus einer ganz verstaubten und eurozentristischen Kiste. Ich vermute, man wird noch versuchen, das aufzubrechen.
Katharina Schramm ,
45, ist Sozial- und Kulturanthropologin. An der FU leitete sie die Forschungsgruppe „Anthropologie globaler Ungleichheit“, ab diesem Wintersemester lehrt und forscht sie in Bayreuth.
Weil das so nicht mehr funktioniert?
Ja, so sieht die Welt heute nicht mehr aus. Dann gibt es den Ansatz, Objekte zu Kunstwerken zu erklären, wie es demnächst etwa in der Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ geschehen soll (siehe Kasten, Anm.d.Red.). Das ist ja auch eine In-Wert-Setzung, die man machen kann. Ich bin allerdings gespannt, wie es den Kurator*innen gelingen wird, diesen ästhetischen Ansatz wie geplant mit einer kritischen Objektgeschichte zu verknüpfen. Ich persönlich finde es für Museen zudem relevant darüber zu reflektieren, wie über Objekte Wissen generiert wird. Ich glaube, die Tendenz heute ist, all das zu mischen. Und dann gibt es ja auch noch die Kernidee ethnologischer Museen, mit Hilfe ausgestellter materieller Kultur etwas über „andere“ Lebensweisen zu erzählen. Aber man muss heute schon darüber nachdenken, wie dieses „Andere“ überhaupt konzipiert und repräsentiert wurde und wird.
Für Berlin Postkolonial ist es wichtig, die Perspektive der „Anderen“, der Herkunftsgesellschaften ins Museum zu bringen. Wie kann das gehen?
Diese Perspektiven sind ja sehr vielfältig. Berlin Postkolonial und dem Bündnis NoHumboldt21 geht es doch auch darum, überhaupt ein Bewusstsein zu schaffen, dass koloniale Beziehungen auch das Deutsch-Sein, das Berliner-Sein prägen. Man kann eben nicht sagen, „wir“ sind hier, die „anderen“ sitzen in Tansania oder sonst wo. Es gibt Aktivist*innen, die sind hier und fordern eine Stimme in der Debatte um das Museum, weil sie ebenfalls von dieser Geschichte betroffen sind. Also ist es wichtig, sie einzubeziehen. Zum zweiten müssen die Museen in konkreten Projekten gucken: Wo kommen Objekte her, was gibt es für ein lokales Wissen darüber und welche Beziehungen sind bis heute an die Objekte geknüpft? Wie kann man hier auf Augenhöhe zusammenarbeiten? Es gibt ein breites Spektrum, wie eine solche Zusammenarbeit mit Herkunftsgesellschaften aussehen kann, etwa in gemeinsamen Forschungsvorhaben, mit Ausstellungen in den „Heimatländern“, mit punktuellen Restitutionen und so fort. Aber dazu müssen die Forderungen aus den Herkunftsgesellschaften und von hier überhaupt gehört werden. Hier sollte das Humboldt Forum selbst in viel größerem Maße proaktiv werden. Wichtig ist dabei allerdings immer die Frage, unter welchen Prämissen und unter wessen Leitung findet eine Kollaboration statt, damit sie keine kosmetische Maßnahme bleibt.
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