das portrait
: Naser Orić, Ex-Kom-mandant von Sre-brenica, muss bald wieder vor Gericht

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Der Staatsgerichtshof Bosnien und Herzegowina in Sarajevo hat am Montag eine der schillerndsten Figuren des Krieges 1992–95 von allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Diskussion um die Taten von Naser Orić, Ex-Kommandeur der bosnischen Verteidiger der von serbischen Truppen belagerten Enklave Srebrenica im Osten des Landes, ist damit aber nicht beendet. Zwar rief Orić nach dem Urteil: „Die Gerechtigkeit hat gesiegt!“ Doch auch ihm ist bewusst, dass die Anklage in Berufung gehen und er bald wieder vor Gericht stehen wird.

Das liegt nicht nur an der widersprüchlichen Persönlichkeit des ehemaligen jugoslawischen Polizeioffiziers und Bodyguards von Serbiens Präsident Slobodan Milošević, sondern vor allem daran, dass Orić in den Fokus der Auseinandersetzung um Kriegsverbrechen und Kriegsschuld im Bosnienkrieg geraten ist.

Die Ermordung von mehr als 8.000 muslimischen Männern durch die Truppen des serbischen Generals Ratko Mladić 1995 in Srebrenica gehört zu den schlimmsten Kriegsverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg. Als Kommandeur der Verteidiger der ab 1992 verzweifelt ums Überleben kämpfenden Bevölkerung der Enklave strömen Orić zunächst einmal die Sympathien aller jener zu, die zu erfassen vermögen, was die Belagerung für die von Artilleriegranaten und Hunger geplagten 50.000 Menschen bedeutete.

Dass er wegen seiner organisatorischen und militärischen Fähigkeiten von diesen Menschen und fast allen Bosniaken, wie sich die bosnischen Muslime heute nennen, als Kriegsheld gefeiert wird, ist verständlich. Die meisten Überlebenden sehen ihm sogar nach, dass er in Srebrenica eine selbstherrliche Diktatur errichtet hatte. Doch dass unter seiner Herrschaft serbische Zivilisten zu Tode gequält wurden, bleibt seine moralische Verantwortung – auch wenn es nur eine Handvoll waren. Das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat ihn in erster Instanz 2006 zu zwei Jahren Haft verurteilt. 2008 aber hat ihn das Berufungsgericht freigesprochen, weil seine Verantwortung juristisch nicht nachgewiesen werden konnte. Die unmittelbaren Täter waren Zivilisten, nicht Mitglieder der Polizei.

Im Verfahren in Sarajevo ging es um andere Anklagepunkte: Orić soll 1992 direkt an der Tötung von drei Kriegsgefangenen in den Dörfern Zalazje, Lolići und Kunjerac beteiligt gewesen sein. Im Verlauf des Prozess stellte sich jedoch heraus, dass die Angaben des Hauptbelastungszeugen nicht zu halten waren.

Für die serbische Seite stellt Orić’ erneuter Freispruch eine herbe Niederlage dar. Sie versucht sich vom großen Kriegsverbrechen von 1995 dadurch zu entlasten, dass sie den Verteidigern von Srebrenica ebenfalls Kriegsverbrechen nachweist. Die Rede ist von 3.500 angeblich getöteten Serben in der Region um die Enklave. Im November wird das UN-Tribunal zwar endgültig über den General Mladić urteilen – doch auch das wird die Diskussion über Schuld und Sühne in Srebrenica nicht be­enden. Erich Rathfelder