Kolumne Liebeserklärung: Merkel ist eine Khaleesi
Man muss nicht mit Merkels Politik einverstanden sein, um zuzugeben: Ihre Art, Politik zu machen, ist derzeit die einzig würdige.
N ach der Wahl staunen wieder alle: Die gesamte Parteienlandschaft ist in Aufruhr, aber Merkel steht wie ein Felsen mitten in der Brandung. Wie schafft sie das? In den vergangenen Wochen fallen schon wieder abschätzige Bezeichnungen wie „Teflon“, „Pudding“ oder „Mutti“: Statt den Fehler bei sich selbst zu suchen, projizieren Beobachter auf Merkel.
Es ist aber auch nicht schwer, die einzige Erwachsene im Raum zu sein, wenn man von Hampelmännern wie der CSU, Wanklern wie der SPD, „Hat-Sich-Stets-Bemüht“-Politikern wie den Grünen, Opportunisten wie der FDP oder Daueroppositionellen wie den Linken umgeben ist. Es ist wie bei der Fernsehserie „Game of Thrones“: Während sich die halbe Welt um den Eisernen Thron balgt und die Zombie-Armee ihren Angriff beginnt, ist Merkel die fokussierte Drachenreiterin, die ihre künftige Hauptstadt nicht für den schnellen Sieg in Schutt und Asche legt. Sie ist eine Khaleesi.
Merkels Politik ist werteorientiert wie in der Flüchtlingskrise, aber sie erlaubt sich auch dazuzulernen wie bei der Abschaffung der Atomkraft. Sie agiert taktisch geschickt wie beim drohenden Grexit, gibt aber in entscheidenden Augenblicken auch ihr politisches Kapital aus, um unpopuläre Politik durchzusetzen wie nach Fukushina. Es stimmt auch nicht, dass sie alles dominiert: In der letzten Regierung hatten genügend Minister und auch die SPD gute Möglichkeiten sich zu profilieren. Merkel steht sogar beiseite und lässt die Opposition die mehrheitsfähige „Ehe für Alle“ durchsetzen, mit der sie nicht einverstanden ist.
Merkel quatscht nicht dauernd mit der Presse, und sie informiert sich auch nicht primär aus der Presse: Fast jeden zweiten Tag erhält sie eine neue, vom Kanzleramt bestellte Meinungsumfrage, die sie gründlich liest, wie der Spiegel berichtet. Dass ihre Sicht auf die Welt vom Werk des herausragenden Welthistorikers Jürgen Osterhammel informiert ist, spricht ebenfalls dafür, dass einen Blick für die großen Zusammenhänge hat.
An der Flüchtlingskrise sieht man vieles davon: Merkel nutzt ihre Macht, um eine unpopuläre und letztlich teure Entscheidung zu treffen und die Grenzen zu öffnen. Sie begründet das, völlig richtig, mit der menschenrechtlichen Verpflichtung, Notleidende aufzunehmen. Wenn die CSU nach einer Obergrenze schreit, lehnt sie das ab, denn Menschenrechte sind unteilbar. Aber: Sie findet eine außenpolitische Lösung mit dem Türkei-Deal, der die Flüchtlingszahlen reduziert, ohne ein Zugeständnis an die Rumpelstilzchen aus Bayern zu sein.
Der Türkei-Deal ist dennoch höchstproblematisch, ja: falsch, und die von der CDU vorangetriebenen Asylpakete ebenfalls. Aber Merkel ist ehrlich über ihre Motivationen und lässt sich vor allem an ihren Taten messen. Das ist das Gegenteil von dem, was zum Beispiel die AfD ist, die viel protzt und wenig kann. Ihre Standhaftigkeit fehlt aber – leider – auch im linken Lager.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“