Martin Reeh über die Flüchtlingspoltik der Linkspartei: Eine Debatte ist überfällig
Unser Programm ist durchgerechnet“, heißt es vollmundig auf einem Werbeflyer der Linkspartei zu den Bundestagswahlen. 45 Milliarden Euro würde demnach eine Mindestsicherung kosten, die Hartz IV ersetzen soll, 6 Milliarden eine Verbesserung der Pflege, 16 Milliarden Euro eine Bekämpfung von Fluchtursachen und Integration. Gegenfinanzieren will man das alles etwa durch eine Vermögensteuer (85 Milliarden Euro) und eine Finanztransaktionssteuer (15 Milliarden Euro).
In Wirklichkeit dürfte man auch in der Linkspartei wissen, dass das Wahlprogramm alles andere als durchgerechnet war. Der Grund dafür findet sich im Abschnitt XI des Programms. „Die Linke steht für offene Grenzen für alle Menschen in einem Europa, das sich nicht abschottet.“ Wenn die Linkspartei aber potenziell alle Menschen aufnehmen möchte, die einen Aufenthalt in Deutschland erstreben, steigen zwangsläufig auch die staatlichen Kosten: für Wohnungsbau, Kitas, Sprachkurse, Sozialleistungen. Und zwar um eine unbekannte Summe, da die Anzahl der Menschen, die nach Deutschland zuwandern möchte, bei offenen Grenzen unbekannt sein muss.
Wie die Folgen offener Grenzen finanziert werden sollen, dazu sagt das Linkspartei-Programm nichts: durch noch höhere Vermögen- und Erbschaftsteuern? Durch mehr Verschuldung? Oder durch einen „Flüchtlings-Soli“, wie ihn einst Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow forderte?
Oskar Lafontaine liegt daher richtig, wenn er in der Linkspartei eine Debatte über die Flüchtlingspolitik der Partei einfordert. Vor allem im Osten sind ihr Wähler davongelaufen, weil sie das Gefühl hatten, dass für Flüchtlinge Geld da war, obwohl auch Landesregierungen mit Linkspartei-Beteiligungen jahrelang Sparprogramme mit Hinweis auf die knappen Kassen betrieben. Und solange sie nicht wissen, wer dafür zahlen soll, wenn mehr Flüchtlinge und Migranten kommen, werden sie auch kaum zur Linkspartei zurückfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen