: Der „gärige Haufen“
RECHTS AUSSEN Die AfD will sich heute als Fraktion im Bundestag konstituieren. Überlagert wird das vom Ausstieg ihrer Bundeschefin Frauke Petry. Offen bleibt, ob ihr weitere Abgeordnete folgen. Chaos jedenfalls herrscht schon jetzt
Aus Berlin Sabine am Orde und Konrad Litschko
Im Raum 3.101 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, direkt an der Spree im Berliner Regierungsviertel, wird am Dienstag die Bundestagsfraktion der AfD zusammenkommen. 94 Abgeordnete gehören formal dazu, 12,6 Prozent holte die Partei. Es ist eine Zäsur, erstmals werden Rechtspopulisten im Bundestag sitzen. Und es dürfte gleich hoch hergehen.
Denn bereits am Montag verlor die Fraktion eines ihrer prominentesten Gesichter: Frauke Petry. Die AfD-Bundeschefin verkündete am Morgen ihren Rückzug – auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den restlichen Parteioberen. Nach reiflicher Überlegung werde sie nicht in die AfD-Fraktion gehen, sagte sie vor laufenden Kameras. Später schob Petry eine Erklärung nach. Seit geraumer Zeit wandele sich die AfD zu einem „gärigen Haufen“, wie Spitzenkandidat Alexander Gauland es immer nennt, mit „schrillen und abseitigen Äußerungen“. Sie aber wolle für eine konservative Realpolitik eintreten, die bis 2021 auch koalitionsfähig sei. Dafür werde sie nun als „Einzelabgeordnete“ eintreten.
Es ist ein Affront auf offener Bühne. Mit starren Blicken hörten Petrys Ko-Chef Jörg Meuthen, Gauland und die zweite Spitzenkandidatin, Alice Weidel, zu. Zwar kannten alle drei die seit Monaten wabernden Gerüchte, Petry könnte sich gemeinsam mit ihrem Mann, NRW-Fraktionschef Marcus Pretzell, und ihren Anhängern abspalten und die Mandate mitnehmen. Doch der Zeitpunkt, noch vor der ersten Fraktionssitzung, hatte sie sichtlich überrascht. „Das ist mit uns nicht abgesprochen“, sagte Meuthen umgehend, nachdem Petry den Saal verlassen hatte.
Am Tag danach gibt sich Karsten Hilse cool. Überrascht habe ihn sein Wahlsieg nicht wirklich, sagt der 53-jährige Bautzner und Polizist. Er habe schließlich seit anderthalb Jahren auf der Straße gestanden und mit den Leuten gesprochen. Rund 250 Helfer hätten ihn dabei angeblich unterstützt. „Und jetzt fahren wir die Ernte ein.“ Seit 30 Jahren ist Hilse Polizist, wenige Jahre nach dem Berufseinstieg schützte er bei den Pogromen in Hoyerswerda die Heime für Asylbewerber und Vertragsarbeiter. Dass Hilse heute in genau der Partei ist, die solche Stimmungen wieder anfacht, bestreitet er. Der dreifache Vater spricht lieber von einem starken Staat. „Garagen werden bei uns ausgeräumt, ganze Kuhherden abtransportiert.“ Hilse glaubt: Organisierte Banden aus Osteuropa steckten dahinter, es brauche wieder Grenzkontrollen. Und er behauptete auch schon mal, 90 Prozent aller Polizisten würden AfD wählen. Damit luchste Hilse der CDU das Direktmandat in Bautzen ab – das die Christdemokraten dort seit dem Mauerfall hielten. Hilse wählte früher selbst die CDU, dann wurde ihm die Partei zu mittig. In Bautzen gehe es vielen so, behauptet er. Auch deshalb der Wahlsieg. „Viele denken hier sehr konservativ. Und das ist gut.“ (ko)
Damit erreicht der Führungsstreit in der AfD einen neuen Höhepunkt. Das Verhältnis in der Parteispitze ist seit Langem zerrüttet, Petry zunehmend isoliert. Seit dem Machtkampf um den Ausschluss von Björn Höcke hat Petry massiv an Einfluss verloren. Ihr Auftritt zeigt: Es könnten chaotische Jahre mit dieser AfD-Fraktion im Bundestag werden. Petry hatte sich auf ihren Coup wohl lange vorbereitet, engste Vertraute waren eingeweiht. Schon im Wahlkampf ging Petry auf Distanz zu Gauland und Weidel. Indes: Um eine eigene Fraktion zu bilden, sind 36 Abgeordnete nötig. Dass es Petry gelingen werde, 35 Parlamentarier auf ihre Seite zu ziehen, sei „sehr, sehr unwahrscheinlich“, sagt der Vorsitzende der Berliner AfD-Fraktion, Georg Pazderski. Er hatte früher den Ruf, mit Petry auf einer Linie zu sein.
Auch für Martin Renner, NRW-Ko-Chef und neuer Bundestagsabgeordneter, wäre eine Abspaltung „irrelevant“. Bundesweit habe die Gruppe um Petry und Pretzell „nicht mehr als zehn Prozent der Funktionsträger und Parteimitglieder hinter sich“.
Tatsächlich folgt am Montag vorerst niemand Petry. Auch ihr Heimatverband Sachsen reagiert reserviert – trotz fulminanten Wahlerfolgs. Stärkste Kraft wurde die AfD hier, ganz knapp vor der CDU. Auch alle drei Direktmandatsgewinner der Rechtspopulisten kommen aus dem Land – neben Petry selbst der Polizist Karsten Hilse und der Maler Tino Chrupalla (siehe rechts außen).Es werde sich noch etwas tun, heißt es von einem Petry-Vertrauten. Die Bundeschefin hat in dem Landesverband allerdings inzwischen zahlreiche Widersacher. Und auch Chrupalla und Hilse lehnen am Montag einen Fraktionsaustritt ab. „Ich kenne niemanden, der Frau Petry folgen will“, sagt Hilse.
André Poggenburg, Bundesvorstand der AfD, über Frauke Petry
Und die Bundesspitze keilt zurück. Weidel fordert Petry auf, die Partei zu verlassen. Ihr Schritt sei „an Verantwortungslosigkeit kaum zu überbieten“. Auch Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg, ein Höcke-Vertrauter, appelliert: „Ich bitte Sie, Ihren Schritt konsequent durchzuziehen und die Partei auch zu verlassen.“ Und Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz wünscht ihr „gute Reise“.
Selbst Petry-Anhänger in der neuen Fraktion sind überrascht. Der Ausstieg greife allem vor, heißt es dort. Noch sei ja unklar, wie der künftige Vorstand aussehe. Sehr präsent ist allen Beteiligten noch das Schicksal des AfD-Gründers Bernd Lucke, der mit seiner Parteiabspaltung 2015 in der Versenkung verschwand.
Erst kürzlich hatten Petry-Anhänger die „Alternative Mitte“ gegründet. Sie soll ein Gegengewicht zum „Flügel“ und der „Patriotischen Plattform“ bilden, die Gauland und Höcke nahestehen und Mehrheiten für sie organisieren. Doch auch Dirk Driesang, Mitglied im Bundesvorstand und einer der Gründer der „Alternativen Mitte“, wurde von Petrys Schritt überrascht. Er sei „enttäuscht“, sagt er. Sein Ziel sei die Einheit der Partei, nicht deren Spaltung. „Wir wollen uns für eine ausgewogene Zusammensetzung der Parteispitze einsetzen“, so Driesang. Dazu könne auch der Höcke-Flügel gehören, nur dominant werden dürfe er nicht.
Ganz im Osten Sachsens wohnt Tino Chrupalla, unweit von Görlitz, kurz vor der polnischen Grenze, in Weißwasser. Hier holte der Malermeister, 41 Jahre und dreifacher Vater, eines von drei AfD-Direktmandaten. Weißwasser war schon zuvor eine Hochburg der AfD. Chrupalla selbst war regelmäßiger Pegida-Gänger, seit anderthalb Jahren erst ist er in der AfD. Auch er wettert über die Grenzkriminalität und einen „beängstigenden Linksruck“ im Land. Chrupallas Spezialthema: die Russlandsanktionen. Er will sie abschaffen. Der ganze Landkreis leide darunter, vor allem die Metallbranche. Gehe es so weiter, werde seine Region zum „Armutsgebiet Europas“. Chrupalla verdrängt mit seinem Wahlsieg einen CDU-Promi aus dem Bundestag: CDU-Fraktionsvize Michael Kretschmer, auch sächsischer Generalsekretär. (ko)
Nun läuft alles auf Gauland und Weidel als Fraktionsvorsitzende hinaus. Gauland genießt breites Vertrauen in der Partei – und verkündete am Montag, er werde den Posten nur mit der einst als Liberalen eingepreisten Weidel übernehmen. Dass danach Ruhe einkehrt, ist eher unwahrscheinlich. Zu politisch divers ist die mit nun 93 Abgeordneten überraschend große Fraktion – vom innerhalb der AfD als gemäßigt geltenden Leif-Erik Holm aus Mecklenburg-Vorpommern bis zum Rechtsaußen Stephan Brandner.
Wie Spaltung richtig geht, zeigt am Montag die AfD-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Vier der 18 Abgeordneten erklären dort ihren Abgang und die Gründung einer neuen Fraktion: „Bürger für Mecklenburg-Vorpommern“. Schon kurz vor der Bundestagswahl waren entsprechende Gerüchte laut geworden – und wurden offiziell vehement bestritten. Nun erklärt Abspalterchef Bernhardt Wildt, die Fraktion sei seit Langem „zerrüttet“ gewesen. Der Ausstieg sei aber keine „konzertierte Aktion“ mit Frauke Petry.Meinung + Diskussion
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