piwik no script img

Kein Medienzugang für Zschäpe-Urteil

EMÖGG Ein neues Gesetz erlaubt Fernseh­übertragungen von Gerichtsurteilsverkündungen. Für den NSU-Prozess gilt das allerdings nicht

Eigentlich war der NSU-Prozess Anlass, die Medienberichterstattung aus Gerichtssälen zu erleichtern. Doch das neue Gesetz wird leerlaufen, wenn im Herbst das Oberlandesgericht (OLG) München sein Urteil über Beate Zschäpe verkündet.

Vor vier Jahren beginnt das NSU-Verfahren mit einem klaren Befund: Fünfzig Plätze für Medienvertreter werden in entscheidenden Prozessphasen kaum genügen. Immerhin haben sich Hunderte Journalisten angemeldet. Viele Rechtspolitiker rufen nach gesetzlicher Abhilfe. Vier Jahre später, am 22. Juni dieses Jahres, beschließt der Bundestag schließlich das „Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren“ (EMöGG).

Es sieht drei Neuerungen vor: Urteile von Bundesgerichten dürfen im Fernsehen übertragen werden. Gerichtsverfahren von „herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung“ dürfen in voller Länge akustisch aufgezeichnet werden. Und für Journalisten kann bei großem Andrang ein Prozess akustisch in einen zusätzlichen Arbeitsraum übertragen werden. Doch keine einzige dieser Neuerungen wird zum Tragen kommen, wenn das OLG München im Herbst sein Urteil im NSU-Verfahren spricht.

Auch künftig darf das Urteil eines Amts-, Landes- oder Oberlandesgerichts nicht im Fernsehen übertragen werden – egal wie groß das öffentliche Interesse ist. Der Gesetzgeber befürchtet, dass in der mündlichen Begründung eines erstinstanzlichen Urteils zu viele persönliche Details genannt werden. Sollten Zschäpe oder andere Prozessbeteiligte dann den Bundesgerichtshof anrufen, könnte erst dessen Urteil im Fernsehen gezeigt werden. Denn in der Revision geht es nicht mehr um einzelne Beweise, sondern nur noch um Rechtsfragen.

Dass der NSU-Prozess von historischer Bedeutung ist, steht zwar außer Frage. Künftig dürfte bei solchen Prozessen nicht nur das Urteil, sondern die gesamte Verhandlung aufgenommen werden – wenn es das Gericht anordnet. Die Öffentlichkeit hat davon aber zunächst keinen Nutzen. Denn die Aufnahmen verschwinden für mindestens dreißig Jahre im Archiv und dürfen bis dahin allenfalls von Forschern angesehen werden.

Größere Relevanz könnte für Journalisten die Möglichkeit haben, das Prozessgeschehen in einen separaten Arbeitsraum zu übertragen, falls der Andrang der Medienleute zu groß ist. Während der ersten Plädoyers im NSU-Prozess fanden zwar noch alle Platz, doch beim Urteil werden sicher mehr als fünfzig Journalisten mitschreiben wollen.

Aber auch die Hoffnung auf eine „erweiterte Saalöffentlichkeit“ wird wohl enttäuscht werden. Denn das im Bundestag beschlossene neue Gesetz ist noch gar nicht in Kraft. Es muss am 22. September erst noch in den Bundesrat. Und ab Veröffentlichung im Gesetzblatt gilt noch eine halbjährige Übergangsfrist, damit die Gerichte Zeit haben, Arbeitsräume mit entsprechender Technik einzurichten. So viel Verzögerung werden wohl auch Zschäpes Anwälte nicht mehr verursachen. Christian Rath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen