: Parlamentarier wollen mitreden
Grossbritannien Theresa Mays Brexit-Gesetz nimmt erste Hürde. Aber die Abgeordneten sind aufsässig
Das Gesetz, das jetzt in die Ausschüsse verwiesen wird, hebt die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens förmlich auf und überträgt alle EU-Regeln und -Gesetze automatisch in britisches Recht. Es tritt am Tag des EU-Austritts in Kraft – nach jetzigem Zeitplan wäre das der 29. März 2019. Es soll Kontinuität in Recht und Verwaltung gewährleisten, indem alle geltenden Regeln automatisch in Kraft bleiben, es sei denn, sie werden ausdrücklich verändert.
Ein Votum gegen dieses Gesetz sei ein Votum für Chaos und Rechtsunsicherheit, erklärten Regierungsvertreter denn auch in der mehrtägigen Debatte. Die Oppositionsparteien haben aber grundlegende Probleme: Der Gesetzentwurf gewährt der Regierung die Vollmacht, für eine Dauer von zwei Jahren ab dem Brexit die bisherigen EU-Bestimmungen im Alleingang zu verändern, ohne Parlamentsvotum, mit Ausnahme von internationalen Verträgen, Steuer- und Menschenrechtsfragen.
Man könne doch nicht jedes Mal das Parlament fragen, wenn eine der 20.000 EU-Bestimmungen umgeschrieben wird, um beispielsweise die Bezugnahme auf EU-Institutionen durch eine auf britische Institutionen zu ersetzen, verteidigt sich die Regierung. Die Gegner machen geltend, dass der Gesetzestext viel weiter geht als das.
Labour – das den Brexit prinzipiell mitträgt – beschloss daher, das Gesetz ganz abzulehnen. Dies folgt auf eine Kehrtwende Labours während der Sommerferien, als ihr Brexit-Sprecher Keir Starmer per Zeitungsartikel bekanntgab, Labour unterstütze den Verbleib im europäischen Binnenmarkt nach dem Brexit. Bis dahin hatte Labour das Gegenteil gefordert, im Einklang mit den Tories. Aber seit dem Überraschungserfolg bei den Wahlen vom Juni setzt Labour auf klare Kante in der Opposition.
Dass jetzt im Parlament Labour dennoch uneiniger dastand als die seit den Wahlen öffentlich zerstrittenen Tories, war peinlich. Auch die disziplinierte Regierungsfraktion hat aber keineswegs der Regierung einen Blankoscheck erteilt. Spannend werden die Beratungen in den Ausschüssen, die im Oktober stattfinden sollen und für die nicht weniger als 136 Änderungsanträge eingebracht worden sind.
Die für die Regierung brisantesten Anträge kommen aus ihrer eigenen Partei. So will eine illustre Gruppe um den Vorsitzenden des Geheimdienstausschusses, Dominic Grieve, dass der EU-Austritt, und damit das neue Gesetz, nicht an einem „von einem Minister der Krone zu bestimmenden Tag“ in Kraft tritt, wie im Entwurf steht, sondern unter anderem „vorbehaltlich eines vorherigen Parlamentsbeschlusses zur Billigung der endgültigen Modalitäten des Austritts aus der EU“.
Solche Überlegungen zielen auf die Selbstbehauptung des Parlaments gegenüber der Regierung May. Nach dem juristischen Streit zu Jahresbeginn, ob das Parlament überhaupt über die Einleitung des Brexit zu befinden hat – ein Streit, den die Regierung vor dem obersten Gericht verlor –, folgt nun die nächste große institutionelle Auseinandersetzung. Und heute ist die Regierung viel schwächer. Dominic Johnson
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