: Schwerer Brocken, leicht gemacht
Ausstellung 150 Jahre nach der Erstausgabe von Marx’„Das Kapital“ in Hamburg widmet das Museum der Arbeit dem Wälzer eine Schau. Die will das Werk nicht letztgültig einordnen, sondern zur Diskussion einladen
von Robert Matthies
Am Donnerstag machte das stürmische Wetter dem Höhenflug noch einen Strich durch die Rechnung: Der Kopf des Mannes, der all seine Arbeitskraft verausgabte, um Hegels Dialektik vom Kopf auf die Füße zu stellen – der lag nun selbst in sich zusammengefallen auf dem Sockelfuß im Hof des Museums der Arbeit, über dem er doch eigentlich in neun Metern Höhe schweben sollte.
Die Luft war zwar raus aus Hannes Langeders goldenem Heißluftballon in Form des berühmten Chemnitzer Karl-Marx-Monuments, der als Sinnbild auf die Ausstellung im Haus hinweisen soll, die sich dort nun Marxens Opus Magnum widmet: „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“. Dass die Luft längst auch raus ist aus der Diskussion um den historisch so schwerwiegenden Brocken, das will die Ausstellung nun aber gerade nicht sagen.
Noch viel stecke im „Kapital“, ist Kurator Mario Bäumer überzeugt, das frischen Wind bringen könne auch in aktuelle Debatten um Gegenwart und Zukunft des Kapitalismus. Dafür aber dürfe man eben nicht gleich erschlagen werden vom Umfang und Abstraktionsgrad der Marx’schen Studien.
So wie Langeder das 40 Tonnen schwere steinerne Originalmonument auf 80 Kilogramm mit heißer Luft gefüllte Ballonseide eindampft, hat sich die Ausstellung deshalb ausdrücklich nicht vorgenommen, einen umfassenden musealen Rückblick auf Entstehung und Wirkungsgeschichte des monumentalen Klassikers und damit eine letztgültige Einordnung und Bewertung zu bieten.
Stattdessen soll der Theorie-Brocken auf leichte Art für ein breites Publikum aufgeblättert werden, das das Buch nie gelesen hat, sagt Bäumer. Und so eben zum Nachdenken einladen, was es uns heute noch zu sagen hat.
Anlass für die Schau ist das 150. Jubiläum der Erstausgabe. Wahrscheinlich am 11. September 1867 erschien nämlich der erste von drei Bänden im Verlag des Hamburger Buchhändlers Otto Meißner. Das Manuskript der „ganzen ökonomischen Scheiße“, wie Marx sein ewig unfertiges Projekt im Brief an Friedrich Engels 16 Jahre zuvor noch nannte, brachte ihn im April desselben Jahres – drei Wochen vorm 49. Geburtstag und nach über 20 Jahren philosophisch-ökonomischer Studien – persönlich in die Hansestadt. Um dem Liberalen Meißner, mit dem er sich beim abendlichen „Kneipen“ dann ganz wunderbar verstand, „das Messer persönlich auf die Brust zu setzen“ und dafür zu sorgen, dass das Buch nun so schnell wie möglich gedruckt wird
Darüber kann man nun zum Auftakt der Ausstellung auch in Buchform mehr erfahren. Aufbauend auf der akribischen Vorarbeit seines Kollegen Michael Sommer hat der Historiker Jürgen Bönig Marx’fünf Hamburg-Aufenthalte erstmals umfassend rekonstruiert und in den zeitlichen Kontext eingeordnet („Karl Marx in Hamburg. Der Produktionsprozess des ‚Kapital‘, VSA, 184 S., 19,80 Euro).
Die Ausstellung selbst spannt – unterteilt in die fünf Kapitel „schreiben“, „publizieren“, „lesen“, „begreifen“ und „diskutieren“ – einen großen Bogen: von der Entstehungszeit des Werks im 19. Jahrhundert über die stürmische und widersprüchliche Rezeption im 20. Jahrhundert bis zu aktuellen Fragen von Produktion und Verteilung von Reichtum und Armut.
Ganz unvermittelt steht man da erst mal jener „ungeheuren Warensammlung“ gegenüber, als die, so schreibt es Marx im allerersten Satz des „Kapital“, der Reichtum der Gesellschaften, „in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht“, erscheine. Fein säuberlich stehen im ersten Raum unzählige weiße Konservendosen in Supermarkt-Regalen. „Salz“ oder „Tomate“ steht auf ihnen, aber auch Begriffe wie „Glück“, „Liebe“ oder „Wohnraum“.
Eine niedrigschwellige Einladung, auch ganz ohne Marx-Studium darüber nachzudenken, was aus all dem, was uns lieb und teuer ist, wird, sobald es zur Ware gemacht wird. Und auch gar nicht so weit weg vom Marx’schen Stil selbst: Auch dem ging es – mal dahingestellt, ob’s gelungen ist – darum, seine Erkenntnisse möglichst populär darzustellen: eben für die einfachen Arbeiter*innen verständlich.
Überhaupt nehmen solche künstlerischen Annäherungen den größten Raum in der Ausstellung ein – neben kleinen Räumen, in denen etwa nachgezeichnet wird, wie Marx sich das „Kapital“ von gesundheitlichen und finanziellen Problemen geplagt regelrecht abringt oder wie es um die ökonomische Situation Hamburgs zurzeit seiner Besuche bestellt war.
Vor allem das Kapitel „begreifen“ setzt auf solch sinnliche Erfahrbarkeit. Marx’Gleichung „1 Rock = 10 Pfd. Tee = 40 Pfd. Kaffee = 2 Unzen Gold = 1/2 Tonne Eisen“ etwa, mit der er im ersten „Kapital“-Band erklärt, dass das, was all diese unterschiedlichen Dinge vergleichbar macht, keine ihnen innewohnende Eigenschaft ist, sondern die in ihnen verkörperte „abstrakt menschliche Arbeit“ – die ist hier mal ganz konkret ausbuchstabiert: Auf einem Tisch liegen alle diese Dinge einfach nebeneinander.
Und Marx’These, dass die kapitalistische Produktionsweise unausweichlich an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gehen muss: Die kann man mit Türmen aus Holzklötzchen hier mal selbst nachbauen. Man mag einen solch leichten Umgang mit der Thematik für zu leichtfertig halten. Aber auch für solchen Widerspruch gibt es am Ende genug Raum: Fast weiß noch sind die Wände im letzten Raum, der der Diskussion gewidmet ist. Dort kann man eigene Gedanken auf Zetteln anpinnen. Und das, hofft Bäumer, wird schließlich ihr – fast kommunistisch! – gesellschaftlich angeeigneter Mehrwert sein.
„Das Kapital“: Museum der Arbeit, bis 4. März 2018, Mo 13–21 Uhr, Di–Sa 10-17 Uhr, So und Feiertage 10–18 Uhr
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