: Heiraten mit Hindernissen
ÄMTERMit mehr Personal sollen Berlins ohnehin überlastete Standesämter auf die „Ehe für alle“ vorbereitet werden, verkündet die Innenverwaltung. Aber noch ist vieles unklar
von Susanne Memarnia
Knapp einen Monat vor Einführung der „Ehe für alle“ am 1. Oktober ist vieles unklar. Etwa die Frage, wie sich das neue Gesetz auf die ohnehin überlasteten Standesämter auswirken wird. Oder wann die Software des Personenstandsregisters so weit sein wird, dass darin nicht mehr ein Mann und eine Frau eingetragen werden muss.
Am Dienstag trug die Innenverwaltung zur weiteren Verwirrung bei: Staatssekretärin Sabine Smentek (SPD) verkündete, die Kapazität der Standesbeamten in Berlin würde von bislang 120 auf zunächst 150 erhöht. „Je nach Entwicklung der Wartezeiten werden wir nachsteuern“, versprach sie zudem.
Klar ist: Berlins Standesämter haben jetzt schon viel zu tun. Die 120 Standesbeamten haben laut Smentek 2016 rund 13.500 Ehen geschlossen, 44.000 Geburten und 36.000 Sterbeurkunden eingetragen. Und weil Geburten und Tode vorrangig behandelt werden, beträgt die Wartezeit bei der Terminvergabe im Standesamt für die Anmeldung einer Eheschließung/Lebenspartnerschaft in manchen Bezirken – etwa Pankow und Mitte – derzeit drei bis vier Monate.
Da könnten zusätzliche Standesbeamte helfen. Aber sind die angekündigten 30 Leute wirklich zusätzlich? Laut Smentek handelt es sich hierbei um Verwaltungsangestellte, die nun in einem zweiwöchigen Schnellkurs zu Standesbeamten ausgebildet werden würden. Normalerweise dauert die Ausbildung ein halbes Jahr.
Auf taz-Anfrage beim Bezirk Mitte, ob dies ausreichen wird, erklärte die zuständige Bezirksstadträtin Sandra Obermeyer (parteilos, für die Linke): „Das wird auf alle Fälle nicht reichen.“ Die 30 seien ja kein zusätzliches Personal, sondern ohnehin vorgesehen gewesen für die Fortbildung, die nun einfach schneller gehe als zuvor. Davon abgesehen sei sie auch skeptisch, ob die Schnellausbildung wirklich sinnvoll sei: „Das Personenstandsrecht ist sehr kompliziert geworden in den letzten Jahren.“ Zudem gebe es immer mehr komplizierte Fälle, etwa Ehekandidaten mit ausländischem Pass. Da brauche man umfassend ausgebildete Standesbeamte, so Obermeyer.
Sie erinnerte zudem daran, „dass die Standesämter nicht erst seit gestern in der Krise sind“. Bereits vor dem neuen Ehegesetz hätten die Bezirke in Krisensitzungen beraten und ausgerechnet, dass sie einen Mehrbedarf an 22 Standesbeamten hätten. „Diese Forderung ist der Senatsinnenverwaltung bekannt“, so Obermeyer – sie sei aber leider nicht im Entwurf für den neuen Doppelhaushalt berücksichtigt worden.
Zusätzlich verkompliziert sich die Sache dadurch, dass niemand weiß, ob das neue Gesetz nun viele zum Heiraten animiert – und wie viele homosexuelle Paare ihre bestehende Eingetragene Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln wollen. Laut Smentek gibt es keine Hinweise aus den Bezirken, dass das Interesse zu heiraten durch das Gesetz sprunghaft gestiegen ist. Aber in Berlin seien bislang rund 10.000 Eingetragene Lebenspartnerschaften geschlossen worden, „und wir gehen davon aus, dass wir mit 10.000 Umschreibungen rechnen müssen“.
Der Bundestag hat am 30. Juni entschieden, dass schwule und lesbische Paare künftig heiraten dürfen. Mit der „Ehe für alle“ können gleichgeschlechtliche Paare, für die bislang nur eine Eingetragene Lebenspartnerschaft möglich war, dann auch gemeinsam Kinder adoptieren. Künftig heißt es im Gesetz: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“ Eingetragene Lebenspartnerschaften können nach der neuen Regelung in Ehen umgewandelt werden. Dazu müssen die Partner persönlich eine Erklärung beim Standesamt abgeben. (dpa)
Die Frage ist, ob diese Paare alle schon am 2. Oktober auf der Matte stehen – der 1. Oktober ist ein Sonntag. Obermeyer in Mitte hofft, dass sich viele noch ein wenig Zeit mit der Umschreibung lassen – „zumal das mit der Software ja wohl noch etwas dauern wird“.
Laut Smentek könnte es in der Tat noch bis zu einem Jahr dauern, bis die Software der Standesämter angepasst werden kann. Das Bundesinnenministerium habe bei der schnellen Verabschiedung des Gesetzes „handwerklich nicht sauber“ gearbeitet und vergessen, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, damit das Personenstandsregister so geändert werden kann, dass auch zwei Männer oder zwei Frauen als verheiratet eingetragen werden können.
Immerhin: Auf der Urkunde nach der Trauung steht nichts von Mann oder Frau – sondern von Ehegatten.
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