: „Ein hoch rationaler Mann“
Wahlkampf Exkanzler Gerhard Schröder doziert in Rotenburg über Wladimir Putin und Rosneft, die Weltpolitik – und den Fußballklub Hannover 96
Gerhard Schröder
Zunächst musste Schröder sich zum dritten Mal ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Schröder nutze die Szene für seine erste Pointe: „Das ist ja ein teurer Stift – kann ich den behalten?“, fragte er. Gelächter, Beifall. Die Frage, wie wichtig ihm das Geld bei dem anvisierten Rosneftaufsichtsratsposten ist, stellte sich danach nicht mehr.
Droht Hannover 96 der Bundesligaabstieg, will Klingbeil stattdessen zum Einstieg wissen. „Nein“, sagt Schröder, „weil die den richtigen Aufsichtsratsvorsitzenden ausgewählt haben.“ Der heißt Schröder. Was an den neuesten Gerüchten dran sei, Schröder solle sogar Aufsichtsratsvorsitzender bei Rosneft werden, erspart Klingbeil seinem Gast.
Stattdessen fragt er ganz allgemein nach Schröders Motiven. Schröder doziert: Rosneft sei der weltgrößte Erdölkonzern mit wichtigen Beziehungen zu Deutschland, ein internationaler Konzern – große Anteile hält zum Beispiel BP. 2016 konnte die Nachrichtenagentur Tass nach einem Gespräch von Rosneftchef Igor Sechin mit Russlands Präsident Wladimir Putin melden, dass das Emirat Katar und die Schweizer Firma Glencore 10,5 Milliarden Dollar zahlen wollten für die Übernahme von 19,5 Prozent an dem Staatskonzern. Derzeit sei die Mehrheit des 9-köpfigen Aufsichtsrates nicht russisch, erklärt Schröder. „Ich habe kein Problem damit und denke nicht daran, mir eines machen zu lassen.“ Und: „Ich werde das tun.“
Das ist sozusagen die private Seite des Jobangebots für den 73-Jährigen. Aber es gibt noch den Außenpolitiker Schröder. Es sei „aus ökonomischen und politischen Gründen nicht klug, Russland zu isolieren“, erklärt dieser. „Eine Dämonisierung Russlands hilft keinem. Einbindung kann allen helfen.“ Schon wegen der Energiesicherheit. Die vom Nahen Osten zu erwarten sei auf jeden Fall riskanter. Schröder sieht seine Rosneftkontakte im weltpolitischen Zusammenhang: „Mag sein, dass Amerika nicht an einem stabilem Russland interessiert ist, für uns in Europa, für Deutschland ist das anders.“ Angela Merkel habe 2003 „an der Seite der Amerikaner im Irak kämpfen“ wollen, das werde häufig vergessen. Er habe gesagt: „Die deutsche Außenpolitik wird in Berlin und nicht in Washington gemacht.“
Klingbeil liest eine Frage aus dem Saal vor: Gab es 1989 nicht eine Zusicherung an Moskau, dass der Bereich der Nato nicht nach Osten ausgeweitet würde? Ja, sagt er, aber nicht schriftlich. Und dann seien Polen, Tschechien und Ungarn souveräne Staaten geworden und hätten darum gebeten, in die Nato und in die EU aufgenommen zu werden. „Das hat der russischen Seite nicht gefallen. Aber wie sollen wir souveränen Staaten dieses Recht verweigern?“
Anders liege der Fall bei Georgien und der Ukraine, erklärt Schröder. Das seien Teile der ehemaligen Sowjetunion. Es sei nicht sinnvoll, „über deren Annäherung an EU und Nato zu reden ohne Gespräche mit Moskau zu führen“. Sein Weltbild ist da schlicht. Kein Wort darüber, dass Russland 1994 die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine garantiert hat. Kein Wort über die baltischen Staaten, die trotz Sowjetunionsgeschichte inzwischen zu EU und Nato gehören. Für die Ukraine skizziert Schröder einen Kompromiss: Niemand könne der Bevölkerung im Donbass zumuten, dass ihre innere Sicherheit von der Polizei aus Kiew geleistet werde. Die Ukraine müsse „ein gemeinsamer Staat bleiben, aber mit föderalen Kompetenzen, etwa bei den Polizeiaufgaben“.
Schröder sagt auch: „Verglichen mit Herrn Trump ist Wladimir Putin ein hoch rationaler Mann.“ Natürlich müsse man „nicht alles richtig finden, was da gemacht wird“. Ob Putin für ihn ein „lupenreiner Demokrat“ sei? Über dieses Stöckchen, das er oft vorgehalten bekomme, werde er auch heute nicht springen, sagt Schröder. 2014 hatte er diese Frage einmal bejaht.
Klaus Wolschner
Meinung + Diskussion
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen