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Kultur, die kosten müsste

Haushalt Die Theater der Stadt Frankfurt fallen in sich zusammen. Und – egal wofür sich die Stadtparlamentarier entscheiden: Jede Lösung wird verdammt teuer

von Christoph Schmidt-Lunau

Einen ordentlich Schreck hat in Frankfurt am Main Anfang Juli ein Gutachten ausgelöst. Die längst fällige Sanierung von Schauspiel, Oper und Kammerspiel würde demnach um die 900 Millionen Euro kosten. Und zwar egal, ob der Bestand saniert, abgerissen und neu gebaut wird oder ob die Bühnen komplett umziehen. Diese Rechnung haben Fachleute in einer Machbarkeitsstudie aufgemacht.

Lange galt eine Grundsanierung der bestehenden „Doppelanlage“ am bisherigen innerstädtischen Standort als ausgemacht. Doch ein Desaster wie die Sanierung der Oper in Köln wollten die Verantwortlichen unbedingt vermeiden. Dort wurden für die Sanierung der Oper bislang mehr als 300 Millionen Euro ausgegeben, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. Noch im Juli wollte der Technische Betriebsleiter Bernd Streitberger nicht einmal eine Garantie für die aktuelle Schätzung der Gesamtkosten von 570 Millionen Euro abgeben: „Theoretisch kann einem auch der Himmel auf den Kopf fallen,“ sagte er bei einer Pressekonferenz.

Deshalb also hat Frankfurt nun seine Machbarkeitsstudie. Deren Ergebnis übertrifft die schlimmsten Erwartungen. In vier Jahren haben Experten den maroden Bestand dokumentiert und drei Varianten für einen Neuanfang durchgespielt. Ihr Fazit: Eine Sanierung wäre fast genauso teuer wie Abriss und Neubau – und sie würde sogar länger dauern.

Zur Zeit vereint der Gebäudekomplex an der Neuen Mainzer Straße die drei Bühnen von Oper, Schauspiel und Kammerspiel mit insgesamt 2.300 Plätzen. Fast 1.200 Menschen haben hier ihren Arbeitsplatz. Teile des Gebäudes sind 115 Jahre alt, andere, wie die Werkstätten und der Bühnenturm der Oper, sind erst nach dem Krieg entstanden. Wenn nichts passiert, könnte für das „Opernhaus des Jahres 2015“ und für das renommierte Schauspiel schon bald der letzte Vorhang fallen.

Noch halten Feuerwehr, Bauaufsicht und Personalrat still, auch wenn die Mängel im Brand- und Arbeitsschutz eigentlich unhaltbar sind. Wie marode ist die Doppelanlage zwischen den Bankentürmen wirklich?

Max Schubert, Bauleiter des Hauses, führt an einem heißen Tag im August JournalistInnen durch das verwinkelte Gebäude. Er steht vor dem Einspielraum der Bassisten. Schubert reicht mit seinen einsneunzig fast an den Rauchmelder vor der Stahltür. An Decken und Wänden verlaufen Rohre und Leitungen. In dem winzigen Raum ohne Tageslicht und Frischluftzufuhr lehnt ein Kontrabass an der Wand. Hier spielen sich die Bassisten des Orchesters vor ihren Auftritten ein.

Auf dem Weg zum Orchestergraben geht es erst drei Stufen nach unten, dann drei nach oben und schließlich wieder zwei nach unten. Im Orchestergraben selbst laufen an diesem Tag Trockenmaschinen. Es gab mal wieder einen ­Wasserschaden. Bei Wagner-Opern drängen sich hier bis zu 130 MusikerInnen. „Es geht ­irgendwie immer“, sagt Schubert.

„Wir zahlen zurzeit pro Jahr eine Million Euro für die ­Anmietung externer ­Lagerräume, ­Probebühnen und für die ­Unterbringung künstlerischer Gäste“

Opern-Verwaltungsdirektorin Anita Wilde

Für den Orchestergraben wird der ehemalige Keller des alten Schauspielhauses von 1903 genutzt. Der Zuschauerraum der Oper steht auf dessen Fundament. Aus den Fugen der Backsteine rieselt Sand. Wollte man das Gebäude aufstocken, um zusätzlichen Raum zu gewinnen, müssten die neuen Lasten auf zusätzliche Fundamente gegründet werden. Auch das gilt als eine Ursache für die hohen Sanierungskosten.

Schauspiel, Oper und deren Bühnenturm befinden sich auf unterschiedlichen Niveaus. Wer von A nach B will, muss sich in den Keller oder in den fünften Stock begeben. Die Gänge unter der Bühne des Kammerspiels sind gerade mal einen Meter sechzig hoch; SchauspielerInnen und BühnenarbeiterInnen sind daran gewöhnt, die Köpfe einzuziehen. An den Übergängen der Gebäudeteile finden sich Dehnungsfugen. Zwischen Bühnenturm und Schauspielhaus klafft ein Spalt. „Die Statiker haben uns versichert, da fällt nichts zusammen“, erklärt Schubert gelassen.

Vom Treppenhaus kann man durch eine Stahltür in einen Raum hinter die Außenmauer der Fünfzigerjahre klettern. Dort ist das allerletzte Stück der 115 Jahre alten Fassade des früheren Schauspielhauses sichtbar. Zwei Spitzgiebel- und ein Rundbogenfenster, gekrönt von den Köpfen von Shakespeare, Molière und Calderón, aus hellem Sandstein gemeißelt, im Stil des Kaiserbarocks. „Bei der Errichtung der Doppelanlagen in den Fünfzigern war man nicht zimperlich“, stellt Schubert lakonisch fest.

Der schwarz-rot-grüne Magistrat von Frankfurt hat nun erst einmal eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Fachleute aus Oper, Schauspiel und Stadtverwaltung sollen einen Ausweg aus dem 900-Millionen-Loch finden und prüfen: Muss eine neue Probebühne sein, oder bleibt es bei den ausgelagerten Probebühnen? Müssen Wohnungen für Gastmusiker entstehen? „Alles Luxus“, sagen KritikerInnen zum Raumprogramm der Machbarkeitsstudie.

„Wir zahlen zurzeit pro Jahr eine Millionen Euro für die Anmietung externer Lagerräume, Probebühnen und für die Unterbringung künstlerischer Gäste“, widerspricht Opern-Verwaltungsdriketorin Anita Wilde. Auch Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig, SPD, weist im Gespräch mit der taz den Vorwurf einer Wünsch-dir-was-Planung zurück. Der Zuwachs der Bruttogeschossfläche von jetzt rund 40.000 auf mehr als 50.000 Quadratmeter sei im Wesentlichen den Anforderungen an die geltenden Regeln für Arbeits- und Brandschutz geschuldet, versichert sie.

Die ehemalige Kulturjournalistin ist erst seit einem Jahr im Amt. Sie hat vorgeschlagen, das Schauspiel für die Bauphase in einem Mehrzweckgebäude auf dem geplanten Kulturcampus im Stadtteil Bockenheim unterzubringen. Doch das geeignete Grundstück gehört nicht der Stadt und der „Kulturcampus“ existiert bislang nur als Idee. Es gibt weder einen Etat noch eine konkrete Planung.

Die FDP hat vorgeschlagen, den Neubau durch einen privaten Investor bauen zu lassen, der im Gegenzug an diesem attraktiven Standort in einem Wolkenkratzer lukrative Gewerbe- und Wohnflächen schaffen könnte. Die wichtigste Kulturinstitution der Stadt im Basement eines privaten Towers? Das ist für die Mehrheit im Frankfurter Römer unvorstellbar. Dass die Stadtparlamentarier allerdings fast eine Milliarde Euro für Oper und Schauspiel freigeben, scheint ebenso ausgeschlossen.

Jan Schneider, CDU-Kreisvorsitzender und Baudezernent, erregte bereits den Unmut der Kulturlobby, als er eine tabulose Diskussion forderte. Eine Trennung von Oper und Schauspiel sowie alternative Standorte müssten erwogen werden. Er will nicht für ein Mainoper-Desaster verantwortlich sein.

Der Baudezernent, auch er erst seit einem Jahr im Amt, erinnert an die Ankündigung der Rechtspopulisten im Frankfurter Römer: „Sie fordern eine Rekonstruktion des alten Schauspielhauses von 1903 und drohen sonst mit einem Bürgerentscheid gegen die Neubaupläne.“ Der neue Hoffnungsträger der Frankfurter CDU mahnt: „Die größte Herausforderung ist es, einen Konsens der Stadtgesellschaft für diese in jedem Fall gewaltige Kulturinvestition zu erreichen.“

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