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Freundliches in der Autostadt

KUNST-BEWEGUNG Übers Auto gäbe es heute mehr denn je zu sagen. Eine Ausstellung über „Das Auto in der Kunst“ in der Kunsthalle Emden setzt vor allem auf Euphorie

von Jens Fischer

Neulich in Emden: Durch eine Lücke am zugeparkten Straßenrand schießt ein Pkw direkt auf den Fußweg. Ein Kind fällt zu Boden, der Vater versucht, schützend dazwischenzukommen, wird vom Wagen gerammt und zu Boden gerissen. Nur Zentimeter fehlen, und er läge unter den Reifen. In höchster Erregung steigt das Autofahrer aus und brüllt: „Wenn du einen Kratzer in meinen Lack gemacht hast, wirst du das büßen!“

Klingt ausgedacht, ist aber genau so passiert beim Bummel zur Ausstellung „Rasende Leidenschaft“ – als sollte vorab schon einmal deutlich werden, dass Autos nicht nur Fortbewegungsmittel sind. Sondern Fetische, Prestige- und Kultobjekte, Statussymbole, mit deren Hilfe sich so ein Fahrer Kraft, Potenz und Macht fantasiert, die eigene gesellschaftliche Stellung aufmotzt – oder auch mal ganz handfest Aggression auslebt.

Das Gefährt wurde zum Gefährten des Menschen; zum goldenen Kalb, um das weltweit nahezu alle sozialen Schichten und religiösen Gruppen tanzen. Andererseits ist der Lack dieser Imaginationsmaschine längst ab: Dank des maßlosen Verbrauchs nicht regenerativer Ressourcen, der irreparablen Schädigung von Mensch und Natur und der endlos wirkenden Zahl an Verkehrstoten. Trotzdem funktionieren weiterhin der Freiheitskick der Mobilität, die Macht über die Maschine, der Rausch der Geschwindigkeit und die Aufwertung des Fahrer-Ichs. Das Wissen, dass Autofahren uncool sein könnte, trifft auf das Gefühl, wie cool es doch ist.

Diese Ambivalenz thematisiert nun die Ausstellung in der – nach Wolfsburg – zweiten VW-Stadt. Wo täglich 1.200 Fahrzeuge vom Band laufen: Wie geht man dort mit den aktuellen Debatten um Emissionsleugner und das Kartell aus Politik, Industrie und automobilisierten Menschen um? Freundlich. VW ist Mit-Sponsor der Schau, kuratiert wurde sie von Annette Vogel, die auch die Kunstsammlung des ADAC betreut.

Im Foyer steht der letzte in Emden gebaute Käfer, 1978 war das. Werbematerialien sind ausgestellt, auch Fotos aus der Fertigung und VW-Bus-Urlaubsimpressionen. Viele Möglichkeiten werden da genutzt, die Volkswagen als Metaphern zu interpretieren: mal für das Wirtschaftswunder, mal für die Entspießerung der 60er. Thomas Bayrle geht in seinen „VW“-Arbeiten von 1969 etwas weiter: Er nimmt eine winzige Käfer-Zeichnung als Pixel, kopiert dieses tausendfach und puzzelt daraus eine große Käfer-Darstellung zusammen. Ein Bild wie ein Auto, beide bestehend aus ineinandergreifenden Details.

Wo sich Automobil- und Kunstgeschichte berühren, hakt die Ausstellung ein: Auf Werbeschwärmereien aus den 1890er- Jahren folgen expressionistische Ängste: Bedrohlich wie Monster rollen in Öl gemalte Oldtimersilhouetten mit Scheinwerferaugen auf den Betrachter zu; dazu Karikaturen aus dem Simplicissimus.

Während die Futuristen das Wunderwerk Auto und als rasante Fortschrittsikone vergöttern, rücken mit der Pop-Art auch die Kehrseiten ins Museumslicht: Andy Warhol nimmt die serielle Produktion der Autos zum Anlass für Serien von Siebdrucken. Don Eddy malt hyperrealistische Chromleisten, zeigt funkelnde Scheinwerfer und den kühlen Glanz spiegelnder Lackflächen – ein Luxusversprechen.

In den 1970er-Jahren werden die Darstellungen grauer: Schwarz-Weiß-Fotos von Unfällen, Smog, Ölkrise, überfüllte Straßen. Wolf Vostell ist mit der „Neuen Fahne der Bundesrepublik“ (1973) dabei: dem Foto eines Staus, geschmückt mit einem Pferdekieferknochen. Andere verwinden und komprimieren Autoschrott zu Skulpturen. Olaf Metzel druckt „Paul Virillo“ auf zusammengeknautschtes Metall, nach dem Geschwindigkeitsdenker und Beschleunigungsphilosophen: „Fahren, fahren, fahren …“ (2013) heißt die Arbeit.

Dass Autos kein Männerding sind, zeigt ein Foto von Martin Parr: Den phallischen Zapfhahn gelangweilt in der Hand, betankt ein weibliches Model seine Limousine. Wie sehr Autos ein Männerding sind, zeigt Sylvie Fleury: Ihr Anzug fürs Formel-1-Rennen ist für Männerblicke geschlitzt und innen geflammt. Heiße Sache. Ebenso ihr „Car wash“-Video (1999): Auf High Heels wäscht sie einen Straßenkreuzer, sexualisiert die eh schon erotisch aufgeladenen Rundungen des Chassis.

Und die Abgase? Gavin Turk hat Emissionspartikel auf weiße Leinwand gespritzt, so formschön, dass die Feinstaubthematik in unschuldigem Ästhetizismus erstickt.

Mensch und Auto – eine Beziehung mit Zukunft? Wie von Geisterhand bewegt sich neben dem Ausstellungsausgang ein Lenkrad. Michael Sailstorfer hat ihm die Kurvenfolge seines täglichen Heimwegs beigebracht. Schon sind wir beim Thema automatisches Fahren. Und wieder bei der Euphorie, die man sich nicht verbieten lassen möchte: Das ist der Grundton dieser Zeitreise durch die Mobilität.

„Rasende Leidenschaft. Das Auto in der Kunst“: bis 5. 11., Kunsthalle Emden

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