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Im besten Sinne zeitgemäß

QUALITÄTSMARKE Die Deutsche Grammophon hat zuletzt eine Öffnung zum Pop und zu den elektronischen Genres durchlebt. Chef des Traditionslabels ist seit eineinhalb Jahren Clemens Trautmann. Ein Bürobesuch

von Andreas Hartmann

Es ist eigentlich Feierabendzeit, seine Mitarbeiter haben bereits geschlossen das Haus verlassen. Clemens Trautmann, Präsident der altehrwürdigen Plattenfirma Deutsche Grammophon, die seit ihrem Umzug aus Hamburg vor sechs Jahren ihren Sitz an der Oberbaumbrücke in Berlin hat, nimmt sich jetzt noch einmal so richtig Zeit. Zu später Stunde über die eigene Arbeit reflektieren, Musik hören, das macht ihm Spaß. Er hat eine HiFi-Anlage in seinem Büro stehen, feine Boxen, für die Dynamiken von klassischer Musik braucht man so etwas auch – und doch, sagt er, veranstalte er viel zu selten derartige Hör-Sessions in seinem Arbeitszimmer, von dem aus man einen prächtigen Blick direkt auf die Spree hat.

Er legt eine aktuelle Platte aus dem Programm der Deutschen Grammophon auf, Klavierstudien des amerikanischen Komponisten Philip Glass, neu interpretiert zu dessen achtzigstem Geburtstag von dem in Berlin lebenden isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson. Die Platte ist der Überraschungserfolg der Saison von der Plattenfirma mit dem berühmten verschnörkelten Logo in Gelb. Die auch schon mal die Grenzen zur Langeweile überschreitenden Etüden des Minimal-Music-Pioniers klingen hier ungemein dramatisch und so gar nicht sedativ. „Hören Sie nur die Raffinesse des Anschlags“, bricht es bald aus Trautmann heraus. Er sei nicht immer Philip-Glass-Fan gewesen, erklärt er, aber der Glass, wie ihn Víkingur Ólafsson darbietet, begeistere ihn.

Seit eineinhalb Jahren ist Clemens Trautmann nun Chef der ältesten Plattenfirma der Welt, die es seit fast 120 Jahren gibt. Er, selbst noch keine 40, ist eigentlich Profimusiker, hat Klarinette an der berühmten Juil­liard School in New York studiert und zusätzlich als Jurist promoviert. Vor seinem Job als Präsident der weltweit wohl bekanntesten Marke im Bereich Klassik hat er eine Weile in verschiedenen Funktionen bei Springer gearbeitet, zuletzt als Büroleiter des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner, der selbst etwas von klassischer Musik versteht.

Seine bisherige Karriere fasst wohl ganz gut das fingierte Cover des in Deutschland von Springer herausgegebenen Magazins „Rolling Stone“ zusammen, das Trautmann gerahmt bei sich im Büro stehen hat. Statt Bono oder Liam Gallagher ist auf diesem abgebildet: Der Jurist mit seiner Klarinette in der Hand. „Ein Abschiedsgeschenk meiner ehemaligen Kollegen“, kommentiert er.

Man will der Pop- und Techno-Generation Anschlüsse an die sogenannte E-Musik aufzeigen

Seine Aufgabe ist es, das Edellabel Deutsche Grammophon mit all seiner Historie und der ewigen Verbundenheit mit dem Taktstock-Giganten Herbert von Karajan durch unsichere Zeiten für die Klassikbranche zu bringen und es für die Zukunft zu rüsten. Auch Klassikhörer kaufen heute nicht mehr blind CDs mit dem gelben Wappen vorne drauf, sondern wollen ihre Musik auch als Downloads oder Streams nutzen. Selbst das gute alte Vinyl wird von Klassikfans wieder verlangt. Irgendetwas von Beethoven oder Mozart, auf dem Cover ein Foto von Anne-Sophie Mutter oder Anna Netrebko und dazu das Deutsche-Grammophon-Logo als Qualitätsgarant, das funktioniert zwar zuweilen noch auf dem CD-Markt, aber immer schlechter.

Clemens Trautmanns Job in den kommenden Jahren wird es nun aber nicht nur sein, das gewohnte, das traditionelle Repertoire der Deutschen Grammophon verstärkt über zeitgemäßere Medien als die CD zu verbreiten, sondern den Öffnungsprozess seiner Firma, der bereits begonnen hat, auch in der musikalischen Ausrichtung weiter zu moderieren. Die drei CD-Stapel, die er extra für das Gespräch in seinem Büro aufgetürmt hat, sind nicht ohne Grund drei, erklärt er. Der eine, der mit Abstand größte, besteht aus erwartbaren Bach-Haydn-Schubert-CDs und einem Album mit Werken des Neue-Musik-Komponisten Pierre Boulez. Der zweite, eher kleine, aus Grenzgängern wie etwa der „Vier Jahreszeiten“-Einspielung des Violinisten Daniel Hope, der klassischen Vivaldi mit dem Techno von Aphex Twin in Verbindung bringt. Und der dritte Stapel, etwa ein Viertel so hoch wie der Berg mit der traditionellen Deutschen-Grammophon-Ware, besteht aus CDs mit dem, was Trautmann „New Repertoire“ nennt. Dazu gehören Aufnahmen und Künstler, die für gehörig Aufmerksamkeit gesorgt haben in der letzten Zeit. Nicht so sehr bei den Klassikhörern, sondern in Popmagazinen. Und in Hollywood. Der in Berlin lebende Isländer Jóhann Jóhannsson etwa, der inzwischen zur Deutschen Grammophon gehört, hat den Soundtrack für den Alien-Blockbuster „Arrival“ geschrieben. Auch die elektroakustische Kammermusik von Max Richter, dem Aushängeschild der Deutschen Grammophon für ihr Klassik-Pop-Grenzgängertum, ist längst gefragt für die musikalische Ausgestaltung von Filmen. Die Piano-und-Gesang-Platte „Room 29“ des ehemaligen Sängers von The Pulp, Jarvis Cocker, zusammen mit Chilly Gonzales, ist überraschenderweise auf dem deutschen Klassiklabel erschienen und kürzlich hat Hans-Joachim Roedelius, dessen Sphärenelektronik in den Siebzigern noch Krautrock genannt wurde, seinen Einstand als Neo-Klassik-Musiker gegeben. Vielleicht schließt sich da gerade nebenbei noch ein Kreis. Karlheinz Stockhausen, der große Komponist der Avantgarde des 20. Jahrhunderts, war ja auch ein Deutsche-Grammophon-Künstler und wird gerne als Pate des Krautrock bezeichnet.

Schon seit einer ganzen Weile arbeitet das Berliner Klassik-Label daran, der Pop- und Techno-Generation Anschlüsse an die sogenannte E-Musik aufzuzeigen. Mit der „Yellow Lounge“ wurde eine Reihe entwickelt, klassische Musik in lässigem Club-Ambiente zu präsentieren, und in einer CD-Serie mit dem Titel „Re-Composed“ werden immer wieder große Namen aus dem Club- und Techno-Bereich damit beauftragt, klassische Musikstücke zu remixen. Doch beides mutete noch eher wie ein Kulturaustauschprogramm an, bei dem die Klassik den Pop trifft – mal sehen, was dann passiert.

Inzwischen wirkt das alles viel organischer. Der Ambient der italienischen Clubmusiker Tale of Us, die gerade ihr Debütalbum bei den Berlinern veröffentlicht haben, fühlt sich nicht an wie ein Fremdkörper im übrigen Programm, obwohl er auch zu einem Poplabel passen würde. Und wenn „Prehension“, das erste Deutsche-Grammophon-Album des holländischen Philip-Glass-Wiedergängers Joep Beving, der eher aussieht wie ein waldschratiger Folksänger als wie ein Konzertpianist, in dessen Heimat in den Popcharts landet (wie eben geschehen), verwundert das auch niemanden mehr.

Zu seicht, zu poppig, zu fern von der Deutschen-Grammophon-DNA darf sein Programm freilich auch nicht werden, weiß Clemens Trautmann. „Wir suchen glaubwürdige Künstler, die zu uns passen“, sagt er und gibt zu verstehen, dass man keinen Pianisten bei ihm zu befürchten hat, der demnächst Schubert zu Trance-Beats darbietet. Einfach um „im besten Sinne zeitgemäße Musik“ gehe es ihm. Die klinge dann vielleicht nicht so avantgardistisch, wie Adorno sich das gewünscht hätte, sei manchmal „einfach und reduziert“, aber eben möglichst nie banal, „nicht anbiedernd“ und vom Anspruch getragen, „auch über den Tag hinaus relevant zu sein“.

Trotz der neuen Wege, die die Deutsche Grammophon gerade beschreitet, soll niemand befürchten müssen, dass das Label mit all seiner Tradition bald nicht mehr wiederzuerkennen sein wird. Die Grenze zu Genres außerhalb der klassischen Musik solle „nicht beliebig verschoben werden“, sagt Clemens Trautmann und fügt hinzu: „Es geht nicht darum, das Verhältnis der drei CD-Stapel mit aller Macht umzudrehen.“

Tale Of Us: „Endless“ (Deutsche Grammophon/Universal) | Hans-Joachim Roedelius/Arnold Kasar: „Einfluss“ (Deutsche Grammophon/Universal) | Vikingur Olafsson: „Piano Works – Philipp Glass“ (Deutsche Grammophon/Universal)

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