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Der IS überfällt die irakische Botschaft in Kabul

Afghanistan Ein lokaler Ableger des „Islamischen Staates“ (IS) verlegt sich nach Niederlagen in den Bergen auf Terrorismus in den Städten. Spezialeinheiten der Armee beenden die Besetzung der Botschaft. Diese hatte gerade erst die Befreiung Mossuls gefeiert

Aus Kabul Thomas Ruttig und Borhan Osman

Mehrere Bewaffnete haben am Montagmorgen die irakische Botschaft in der afghanischen Hauptstadt angegriffen und zeitweilig besetzt. Zunächst sprengten sie sich mit einer Autobombe den Weg in das Gebäude im Westkabuler Stadtteil Kolola Puschta frei. Am Nachmittag beendeten afghanische Spezialkräfte die Besetzung. Die drei verbliebenen Angreifer seien erschossen worden.

Laut Sicherheitskreisen in Kabul hatten sie sich in einem oberen Stockwerk verschanzt. Bisher gibt es Berichte von zwei Verletzten, einem afghanischen Polizisten und dem Reporter einer iranischen Nachrichtenagentur. Die Botschaftsmitarbeiter seien unverletzt evakuiert worden. Bei der Stärke der Autobombe muss allerdings mit mehr Opfern gerechnet werden.

Die Führung des sogenannten „Islamischen Staates“ übernahm über ihren Nachrichtenkanal Amaq die Verantwortung für den Angriff. Allerdings ist in dem nur zwei Zeilen langen Statement – auf Paschtu, um die afghanische Herkunft zu belegen – nur von zwei Angreifern die Rede. Das spricht eher dagegen, dass die IS-Zentrale und ihr afghanisch-pakistanischer Ablegers, der sich „Islamischer Staat-Khorasan-Provinz“ (ISKP) nennt, genaue Kenntnis von dem Angriff hatten. ISKP verfügt in Kabul über autonom agierende Terrorzellen. Der Angriff folgt zwei Wochen, nachdem Iraks Botschafter in Kabul eine Pressekonferenz zur Rückeroberung von Mossul abgehalten hatte. Kolola Puschta liegt außerhalb des sogenannten Botschaftsviertels, wo sich auch die am 31. Mai zerstörte deutsche Vertretung befindet, und wird von Geschäften und Wohngebieten dominiert. Die irakische Botschaft liegt dort in einer wenig bewachten Seitenstraße.

ISKP war in seiner Hochburg, der ostafghanischen Provinz Nangarhar, zuletzt erheblich unter Druck geraten. Die US-Militärführung hatte angekündigt, die Gruppe bis Ende 2017 vernichten zu wollen. Mitte April warfen US-Truppen eine als „Mutter aller Bomben“ bezeichneten Supersprengsatz auf einen Höhlenkomplex im Distrikt Atschin ab, in dem sich ISKP-Kämpfer verschanzt haben sollten, allerdings ohne große Wirkung.

Mitglieder der salafistischen Szene haben sich dem IS angeschlossen

Vor etwa drei Wochen wurde US-Angaben zufolge bei einem Luftschlag in Nangarhars Nachbarprovinz Kunar, deren Wälder ISKP und bewaffnete Gruppen als Rückzugsort nutzen, ISKP-Chef Abu Saeed getötet. Am Sonntag hieß es, dass dabei noch vier weitere ISKP-Führer ums Leben gekommen sein sollen. Abu Saeed hatte erst im Mai die Nachfolge seines Vorgängers Scheich Abdul Hasib angetreten. Im Juni zeigte ISKP, dass die Gruppe trotz Verlusten zu Gegenschlägen in der Lage war. Damals eroberte sie große Teile des Höhlenkomplexes und früheren Bin-Laden-Stützpunktes Tora Bora, ebenfalls in Nangarhar, von den afghanischen Taliban. Beide Gruppen betrachten sich als Konkurrenz und liefern sich immer wieder schwere Kämpfe.

Sowohl Hasib als auch Abu Saeed waren Pakistaner. Sie gehörten dem 1997 gegründeten pakistanischen Taliban-Dachverband TTP an, der über Rückzugsbasen in Afghanistan verfügt. Diese Verbindung erklärt auch, warum der relativ neue ISKP es so schnell geschafft hat, eine Logistik aufzubauen, um Schläge wie den gegen die irakische Botschaft in Kabul zu führen: Die Gruppe kann sich auf die seit Jahren etablierten Strukturen der TTP-Überläufer stützen. Zudem ist es möglich, dass Mitglieder der kleinen salafistischen Szene Afghanistans, die sich dem IS angeschlossen hatten, mit Kampferfahrung aus dem Irak zurückgekehrt sind.

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