Überwachung war rechtswidrig: Linke illegal ausgeforscht
Das BKA dachte Mitglieder der "militanten gruppe" an der Angel zu haben. Es hörte Telefone ab, filmte Hauseingänge, las E-Mails. Rechtswidrig – sagte jetzt der Bundesgerichtshof.
Jahrelang hat das Bundeskriminalamt (BKA) drei Berliner aus der linksradikalen Szene illegal überwacht. Die Beamten hörten Telefone und Handys ab, überwachten Kontodaten, filmten Hauseingänge, forschten E-Mails aus und brachten GPS-Peilsender an Autos an. Sie dachten, sie hätten ganz dicke Fische an der Angel: die vermeintlichen Gründer der linksextremen "militanten gruppe" (mg). Doch das Ermittlungsverfahren gegen Markus H., 49, Jonas F., 37, und Ernst-Joachim U., 62, wurde schon vor eineinhalb Jahren eingestellt. Nun hat der Bundesgerichtshof zudem die Überwachung der drei von 2001 bis 2006 als "rechtswidrig" bewertet. Der Beschluss stammt bereits vom März, ist allerdings erst jetzt öffentlich geworden.
Das Fazit des Bundesgerichtshofs fällt vernichtend aus. "Zu keinem Zeitpunkt" habe ein ausreichender Tatverdacht bestanden. Anders ausgedrückt: Die Terroristenjäger aus Wiesbaden und Karlsruhe sind weit übers Ziel hinausgeschossen. Von einer "Totalüberwachung" spricht Sönke Hilbrans, der Verteidiger eines der Betroffenen. "Sie wurden über Jahre zum Objekt von Bespitzelung gemacht."
Wie waren die drei überhaupt ins Visier der Fahnder geraten? Dem Verfassungsschutz waren sie spätestens seit 1990 als Aktivisten der autonomen, antiimperialistischen Szene bekannt, von 1998 an wurden "operative Maßnahmen" gegen sie durchgeführt. Zwei von ihnen gehörten dem "Solidaritätskomitee Ramos Vega" an - Vega ist ein ETA-Aktivist, der 1995 festgenommen und 1997 in Spanien verurteilt wurde. Später engagieren sich alle drei bei der linksradikalen Organisation Libertad, die sich für "politische Gefangene" einsetzt, wozu sie auch ehemalige RAF-Mitglieder zählt.
Der Anfang: Im Juni 2001 verschickt die bis dahin öffentlich unbekannte "militante gruppe (mg)" ein Drohschreiben an den Regierungsbeauftragten für die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern, den FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff. Beigelegt ist eine Kleinkaliberpatrone. "Auch Kugeln markieren einen Schlussstrich", steht neben der Forderung, 180 Milliarden D-Mark an Entschädigung zu zahlen.
Die Anschläge: In den Jahren danach wurden im Namen der "mg" zahlreiche Brandanschläge verübt, unter anderem auf Polizeifahrzeuge, Gerichte sowie Arbeits- und Finanzämter. In Bekennerschreiben geißelte die Gruppe Kriegseinsätze, Strafprozesse gegen Linke und die Diskriminierung von Flüchtlingen. Insgesamt hat sich die "mg" zu 25 Anschlägen bekannt, zumeist in Berlin und Umgebung, ein gutes Dutzend weitere werden ihr zugerechnet. Im Jahr 2007 entschied der Bundesgerichtshof, dass die "mg" aber nicht, wie von der Bundesanwaltschaft angenommen, als "terroristische", sondern nur als "kriminelle Vereinigung" einzustufen sei.
Die Verdächtigen: Den Behörden gelang es über Jahre hinweg nicht, Mitglieder der "mg" zu ermitteln. Zwölf Personen hatten sie im Verdacht, darunter auch den Stadtsoziologen Andrej Holm, gegen den bis heute ein Ermittlungsverfahren läuft.
Die Verurteilung: Nur im Fall von Florian L., Axel H. und Oliver R. hat es im vergangenen Herbst eine Verurteilung gegeben: wegen Mitgliedschaft in der "mg" und versuchter Brandstiftung auf Bundeswehr-Lkws in Brandenburg.
Die Auflösung: Schon im Sommer 2009 gab die Truppe ihre Auflösung bekannt: "Es gibt von nun an nur noch eine ex-(mg)."
Im Juni 2001 schrillen bei den Sicherheitsbehörden die Alarmglocken. Beim Regierungsbeauftragten für die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter, Otto Graf Lambsdorff, geht ein Brief ein, dem eine Patrone beigelegt ist. Unterzeichnet mit "militante gruppe". Der Verfassungsschutz glaubt Anhaltspunkte zu haben, dass Markus H., Jonas F. und Ernst-Joachim U. Gründungsmitglieder der "mg" sind, und gründet das auf Textanalysen von Positionspapieren aus Anfangszeiten der "mg" und Bekennerschreiben zu Anschlägen. Außerdem vermutet der Verfassungsschutz, U. habe unter dem Decknamen "Antonio" an einem "Runden Tisch der Militanten" teilgenommen, von dem später ein Gesprächsprotokoll öffentlich wird. Kurz darauf regt das BKA eine Überwachung der drei an, die der Generalbundesanwalt dann auch beantragt.
Brisant ist, dass das BKA selbst zuvor ein eigenes linguistisches Gutachten erstellen ließ, das zu einem völlig anderen Ergebnis kam als der Verfassungsschutz. So konnte der BKA-Sachverständige keine Autorenidentität zwischen den "mg"-Positionspapieren, den Bekennerschreiben und dem Protokoll vom "Runden Tisch der Militanten" feststellen. Im Antrag des Generalbundesanwalts an den Ermittlungsrichter wurde das Gegengutachten aber nicht erwähnt.
In der Folgezeit ließ sich der Verdacht gegen die drei in keiner Weise erhärten. Die Überwachungen "erbrachten bisher keine Erkenntnisse darüber, ob die Beschuldigten Mitglieder der ,militanten gruppe' sind", schrieb das BKA im Januar 2002. Es sei "unwahrscheinlich", mit den bisher weitestgehend ins Leere gelaufenen Maßnahmen "in näherer Zukunft bei dem gleichen Personenkreis Beweise für eine Tatbegehung zu erlangen", hieß es im November 2003. Trotzdem wurden die drei Männer jahrelang weiter überwacht.
Der Focus machte sie zwischenzeitlich gar zu mutmaßlichen "Anführern" der "mg" und berichtete genüsslich über ein zufälliges Zusammentreffen von einem der Männer mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder bei einem Nobelitaliener in Berlin. Sogar ein Foto soll dabei entstanden sein. Die Überschrift: "Familienfoto mit Kanzler".
Wie weit die Überwachung ging, geht aus dem Abschlussbericht des BKA vom 27. Mai 2008 hervor. So wurden auch Telefone in Wohngemeinschaften, Ferienhäusern und in Bäckereien abgehört, in denen die Observierten arbeiteten. Gespräche in einem vegetarischen Café wurden belauscht, Internetcafés per Video überwacht, und ein Auto wurde über 20 Monate per GPS-Sender nachverfolgt. Selbst private Details haben die Ermittler vermerkt: "Anzumerken bleibt, dass die Tochter des F. geboren wurde", heißt es dort etwa. Doch auch Gespräche mit anderen politischen Initiativen wurden belauscht, so mit einem Vertreter der "Opferperspektive", einer Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt.
Als die Polizei im Mai 2007 vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm eine deutschlandweite Razzia bei linken Aktivisten durchführt, werden auch die Wohnungen von Markus H., Jonas F. und Ernst-Joachim U. durchsucht. Auch hierbei fand sich nichts, was auf eine Mitgliedschaft in der "militanten gruppe" hindeutete oder gar darauf, dass sie deren Gründer waren.
Erst im September 2008 stellte die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein. Die verdeckten Maßnahmen hätten den Anfangsverdacht gegen die drei Männer nicht erhärtet. Der Bundesgerichtshof hat nun festgestellt: Es hat nie einen ausreichenden Tatverdacht gegeben.
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