Aktuelles aus der Gefahrenzone: Eine Frage der Rücklagen. Und des Rückgrats
Silke Burmester war sieben Jahre lang für die taz an der Medienfront im Einsatz. Mit G20 kommt das Übel nun vor ihre Haustür. Ein Grund, den Helm wieder aufzusetzen
Der G-kacken-Report
vonSilke Burmester
Ich bin ja gern fröhlich. Aktuell bin ich fassungslos. Und unglaublich sauer. Sollte ich aus der bürgerlichen Mitte rutschen und mich radikalisieren und später die Frage im Raum stehen: „Wie konnte es dazu kommen?“, dann soll klar sein, die Verantwortung trägt die Hamburger Polizei. Stellt sich über Recht und Gesetz und räumt ein vom Gericht genehmigtes Camp. Das sind türkische Zustände.
Gern würde ich den Campern sagen, kommt zu uns, hinter unserem Haus direkt an der gelben Zone dieses hanseatischen Irrsinns ist ein süßer kleiner Park, ihr könntet bei uns duschen und aufs Klo gehen. Aber es ist ja klar, kaum dass jemand sein Zelt dort aufschlägt, kommt die Hamburger Türkenpolente und holt das Reizgas raus.
Die Atmosphäre im Viertel wird langsam unangenehm. Die Polizeifahrzeuge fangen an, sich selbst im Weg zu stehen. Es ist, als habe man abgestellt, was sich im gesamten Bundesgebiet auftreiben ließ. Sogar Boote sind dabei. Ampelschaltungen gelten für diese Autos nicht. Ist die Fußgängerampel grün – was schert das die Beamten!?! Gleichfalls sind sie uninformiert, wie vor Tagen. Fragt man, wie lange die Grünanlage Planten & Blomen noch zugänglich sei, wissen die dort Postierten es nicht.
Bei Edeka in der Rindermarkthalle, dem Riesenbums für Lebensmittel, weist die Kassiererin darauf hin, dass am Donnerstag ab 17 Uhr geschlossen ist. Wegen der Demo. Der kleine Rewe-Supermarkt mitten im Karoviertel wird „natürlich geöffnet“ haben. „Wir müssen arbeiten. Zuzumachen können wir uns nicht leisten.“ Die Angst, Schauplatz des Krawalls zu werden, ist eine Frage der Rücklagen. Und des Rückgrats. Der schöne Buchladen mittendrin, der ein G20-Paket politischer Bücher zusammengestellt hat, die glücklich und klug machen sollen, will auf jeden Fall geöffnet bleiben, anstatt „in vorauseilendem Gehorsam den Schwanz einzuziehen“.
Ja, der Schwanz ist hier im Karoviertel manchmal nur ein Schwänzchen. Klar, es ist kaum mit Kundschaft zu rechnen, wenn alle Straßen gesperrt sind und Hundertschaften von Polizisten in Ameisenkostümen die Straßenzüge säumen, aber es sind wohl eher die „jungen“ Läden, die geschlossen bleiben. Die Alteingesessenen, so der Tenor, wollen vor Ort sein. Es geht dem Schwachsinn Alltag entgegenzuhalten. Und sich die Deutungshoheit über das Geschehen nicht nehmen zu lassen.
Weil ich manchmal etwas naiv bin, habe ich nicht verstanden, warum Edeka zumacht. „Die haben Angst, dass die Autonomen sich da verstecken, wenn es Krawall gibt“, weiß eine Nachbarin. Der Ort wäre super. 4.500 Quadratmeter. Autonome zwischen Eiern und Tiefkühltruhen. Die Polizei in ihren Insektenkostümen hinterher.
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