Rettungsboote im Mittelmeer: Flüchtlinge von Italien ausgebootet
Italien droht, Häfen für Rettungsschiffe zu sperren. Denn die Kommunen sind zunehmend unwillig, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.
Allein zwischen Montag und Mittwoch seien mehr als 12.000 Menschen in den Häfen Süditaliens und Siziliens eingetroffen, rechnet das Innenministerium vor, bis Ende Juni habe Italien schon knapp 80.000 Menschen, die von Libyen aus in See gestochen waren, aufgenommen.
„Italien könnte sich gezwungen sehen, aus Gründen der nationalen Sicherheit die Häfen für NGO-Schiffe zu blockieren“, erklärte der Botschafter des Landes bei der EU, Maurizio Massari, in einem Gespräch mit dem zuständigen EU-Kommissar Dimitri Avramopoulos.
Und Ministerpräsident Paolo Gentiloni legte mit Kritik an anderen Staaten der Europäischen Union nach: „Einige Länder müssen damit aufhören, bei diesem Problem wegzuschauen.“ Eine Position, die sich in zwei Worten zusammenfassen lässt. „Alleingelassen“ fühlt sich das Land, und deshalb stehe es nunmehr vor einer „untragbaren“ Situation.
73.000 Ankünfte
In der Tat steuert Italien auf ein neues Rekordjahr bei den Ankünften von Flüchtlingen und Migranten zu. 2016 waren 180.000 Menschen auf dem Seeweg von Libyen aus eingetroffen, der höchste je erreichte Wert. Dieses Jahr könnte er noch übertroffen werden. Bis zum 27. Juni zählte das Innenministerium 73.000 Ankünfte – 14 Prozent mehr als im Vorjahr. In den letzten Tagen sind noch mal einige Tausend hinzugekommen. Neben Nigeria sind mittlerweile Bangladesch, Guinea, die Elfenbeinküste, Gambia und Senegal die Hauptherkunftsländer.
Realistische Schätzungen laufen darauf hinaus, dass bis Jahresende bis zu 250.000 gezählt werden könnten – Flüchtlinge, die unterzubringen, zu verpflegen, zu betreuen wären. Ebendies ist der große Unterschied zur Lage noch vor zwei oder drei Jahren. Auch 2014 trafen 170.000 Personen ein – doch nur 53.000 von ihnen stellten in Italien selbst den Antrag auf Asyl oder humanitären Schutz. Der große Rest zog, einigermaßen unbehelligt von den Behörden, Richtung Norden weiter – nach Deutschland, Schweden, Österreich oder in die Niederlande.
Das entsprach zwar nicht den „Dublin-Regeln“, die die Erfassung und das Asylverfahren im europäischen Erstankunftsland vorsehen, doch Italien praktizierte seinerzeit unter der Hand die De-facto-Europäisierung seiner Flüchtlingspolitik.
Aufruf an die Pfarrgemeinden
Damit war es im Sommer 2015 vorbei, als Angela Merkel die Grenzen öffnete, mit dem Effekt, dass sie sich am Ende für viele schlossen – auch für die über die Italien-Route Kommenden. Die EU diskutierte seinerzeit ihre Flüchtlingspolitik neu. Griechenland und Italien wurde angeboten, dass ihnen an die 100.000 Flüchtlinge von anderen EU-Staaten abgenommen würden. Im Gegenzug mussten sich die beiden Länder zur lückenlosen Erfassung der bei ihnen Eintreffenden in den neu geschaffenen „Hotspots“, sprich in geschlossenen Erstaufnahmelagern, verpflichten. Tatsächlich nahmen andere Staaten Italien bisher aber nur gut 7.000 Flüchtlinge ab.
Zugleich ging die Zahl derer, die auf eigene Hand nach Norden weiterzogen, drastisch zurück, auch weil seit 2015 die Grenzkontrollen in Europa deutlich verstärkt wurden. Zu spüren bekommen das etwa die Flüchtlinge, die vom norditalienischen Städtchen Ventimiglia rüber wollen ins französische Menton. Vor einigen Tagen erst probierten es an die 100; die meisten von ihnen wurden von französischen Polizisten zurück über die Grenze geschafft.
Damit bleibt Italien anders als früher auf „seinen“ Flüchtlingen sitzen. Die Kommunen sind zunehmend unwillig, weitere Kontingente aufzunehmen. Schon bisher beteiligen sich nur 2.800 der etwa 8.000 Gemeinden an der Flüchtlingsunterbringung. Auch der Aufruf des Papstes an die Pfarrgemeinden des Landes, jeweils einige Menschen aufzunehmen, verhallte weitgehend ungehört.
Nicht nur Italiens Rechte, sondern auch die von Beppe Grillo gegründete Fünf-Sterne-Bewegung macht deshalb kommunal wie national Front gegen die weitere Aufnahme. Wie sehr sich der Wind im Land gedreht hat, bekamen die NGOs bei den Anhörungen im Verteidigungsausschuss des Senats zu spüren. Ob Moas, Sea-Watch, Jugend rettet, Ärzte ohne Grenzen, SOS Méditerranée: Sie alle saßen auf der Anklagebank.
NGOs wird die Arbeit erschwert
Zwar blieb am Ende nichts übrig von den Vorwürfen, sie unterhielten direkte Kontakte zu libyschen Schleppern, zwar haben auch Ermittlungen diverser italienischer Staatsanwaltschaften gegen die Retter nichts Gerichtsverwertbares zutage gefördert – doch wochenlang hatten die Anschuldigungen in der Presse gestanden.
Die jetzt von der Regierung in den Raum gestellte Sperrung der italienischen Häfen hätte wiederum ebendiesen Effekt: den NGOs ihre Arbeit zu erschweren. Denn kaum eines ihrer Schiffe läuft unter italienischer Flagge. Und jede einzelne Rettungsfahrt würde in Zukunft, wenn ihr Ziel denn Marseille oder Barcelona wäre, locker mehr als eine Woche dauern.
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