: Wieder einmal doch nicht
ÜBERWACHUNG Seit Jahren versucht die Bundesregierung erfolglos, die Vorrats-datenspeicherung einzuführen. Am Samstag sollte es richtig losgehen: Pustekuchen!
Aus Berlin Martin Kaul
Ob aus diesem Gesetz wohl jemals etwas wird? Der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung, längst gesetzlich geregelt, droht ein neuer Todesstoß. Der Grund: Die Bundesnetzagentur, die im Auftrag der Bundesregierung die anlasslose Massendatenspeicherung von Verkehrsdaten bei Unternehmen überprüfen und umsetzen sollte, hat kapituliert.
Am Mittwoch erteilte die Behörde den Unternehmen, die das Gesetz, das kommenden Samstag voll in Kraft treten sollte, eigentlich umsetzen müssten, einen Freibrief, bis auf Weiteres auf die Datenspeicherung zu verzichten. Auf ihrer Homepage teilte die Netzagentur mit, dass sie keine Bußgeldverfahren gegen Unternehmen einleiten werde, die sich nicht an der Datensammlung beteiligen. Übersetzt: Die Vorratsdatenspeicherung muss bis auf Weiteres nicht umgesetzt werden.
Das ist erneut ein schwerer Schlag für Ermittlungsbehörden, Innenpolitiker und die Bundesregierung, die seit Jahren erfolglos versuchen, eine rechtskonforme Sammlung von Telefon- und Internetdaten aller BürgerInnen umzusetzen. Das Gesetz sieht vor, dass Telefon- und Internetanbieter vorsorglich sämtliche Verbindungsdaten, die beim Telefonieren und Surfen anfallen, vorübergehend speichern müssen für den Fall, dass Ermittler einmal darauf zugreifen wollen. Bei Bürgerrechtlern, Datenschützern und den Unternehmen, für die die Umsetzung teuer ist, stößt dies seit jeher auf Kritik.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht ein erstes Gesetz bereits im Jahr 2010 verworfen hatte, wagte die schwarz-rote Koalition 2015 damit einen nächsten Anlauf, gegen den erneut Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht vorliegen.
Vergangene Woche hatte nun das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster ein Unternehmen von der Pflicht freigesprochen, die Daten zu sammeln – und in der Begründung auf die geltende Europarechtslage hingewiesen. Nach Auffassung des Gerichts verstößt die deutsche Rechtslage nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Dezember 2016 gegen europäische Datenschutzrichtlinien.
Daraufhin zog die Netzagentur, die dem SPD-geführten Wirtschaftsministerium unterstellt ist, nun die Notbremse: Damit räumt die Behörde, die für die Umsetzung zuständig ist, ein, dass sie nicht von der Rechtmäßigkeit überzeugt ist oder zumindest kein weiteres Risiko eingehen will.
Das zuständige Bundesjustizministerium wollte die Entscheidung nicht kommentieren. Minister Heiko Maas (SPD), einst entschiedener Gegner des Vorhabens, hatte nach langem Hin und Her 2015 schließlich einem neuen Anlauf zugestimmt. Damals sagte er der taz: „Ich habe die Chance gesehen, jetzt mit der Union eine grundrechtsverträgliche Form der Vorratsdatenspeicherung auszuhandeln, die den strengen Vorgaben der Gerichte gerecht wird und auch den parteiinternen Hürden auf Grundlage des SPD-Parteitagsbeschlusses. Ich finde: Das ist alles gut gelungen.“
Davon müssen sich er und sein CDU-Kollege, Innenminister Thomas de Maizière, von dem stets der stärkste Druck ausging, erneut verabschieden. Bürgerrechtler und Unternehmen begrüßten die Entscheidung der Bundesnetzagentur am Mittwoch.
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