: Sing, damit der Sturm besänftigt werde
Oper Fimregisseur Wim Wenders inszenierte an der Staatsoper „Les Pêcheurs de Perles“, die berühmteste Oper Georges Bizets nach „Carmen“. Man kann sie bisexuell lesen. Daniel Barenboim dirigierte am Bling-Bling-Abend
von René Hamann
Man könnte sich auch zeilenlang darüber lustig machen. Über die ganze Oper und das ganze Gewese drum herum. Über den Bling-Bling-Faktor, das zur Premiere noch mal besonders aufgerüschte altbürgerliche Publikum; über die hier versammelten Kontostände, die den Rezensenten mehrere Leben lang gut durchfüttern könnten; über das geradezu albern Dramatische, das so einer Oper anhaftet. Für Gerontophobe ist das alles jedenfalls nichts.
Andererseits stand am Samstag eine ganz besondere Premiere der Staatsoper an, die ja aus baumaßnahmlichen Gründen seit sieben Jahren ins Schiller Theater ausweichen muss: „Les Pêcheurs de Perles“, die Perlenfischer, von Georges Bizet, uraufgeführt im Jahre 1863. Es ist dies die erste Oper, die der 1945 geborene Filmregisseur Wim Wenders inszenieren durfte. Und man kann sagen, er hat sich sichtlich Mühe gegeben, in vielerlei Hinsicht.
Denn so eine Oper ist ja immer auch ein Zeitsprung, ein eigenes, tradiertes Genre, es sei denn, man sprengt sie auf. Das hat sich der gute Wenders aber wohlweislich geschenkt. Es gab keinerlei Bruch in der Inszenierung – die Musik unter der Leitung von Daniel Barenboim hielt sich an die Partitur, das Szenenbild war sehr zurückgenommen, nahezu unfassbar schlicht, dafür hat sich Wenders auf Videoprojektionen gestützt, die er behände und behutsam mittels schöner Gazevorhänge einsetzte – ganz, um das eh schon sehr Träumerische des Settings um eine Ebene zu erweitern: das wogende Meer, die prächtige Sternennacht, Rückblenden in Großaufnahmen – das wirkte fast schon wie italienischer Neorealismus. Passte.
Die Handlung dieser frühen Bizet-Oper (der Welterfolg „Carmen“ sollte erst noch kommen, lässt sich an der einen oder anderen Stelle besonders musikalisch aber bereits erahnen) ist schnell erzählt: Ein aus der Zeit gefallenes Fischerdorf „irgendwo in den sieben Meeren“; der Fischerdorfkönig herzt einen alten Jugendfreund, der zurück in die Heimat gefunden hat. Die Ankunft einer Priesterin, ihrerseits mit einer Vergangenheit, der ein seltsames Zölibatsgelübde abverlangt wird, auf dessen Bruch nichts weniger als die Todesstrafe steht. Klar, was dann passiert: Rückkehrer Nadir (gespielt und gesungen von Francesco Demuro) und Priesterin Leïla (Olga Peretyatko-Mariotti) finden sich als Liebende wieder, im Dorf (hier als Fischerchor) entbrennt die Empörung, in Fischerdorfkönig Zurga (Gyula Orendt) die Eifersucht.
Eine etwas simple Konfliktstruktur, die man als solche natürlich gut kennt und die mit recht brachialer und wetterfühliger Dramatik gelöst wird. Ein klassisches Dreieck, in dem ein Kuss schon tödlich sein kann. Das kann man bisexuell lesen, wenn man möchte, man kann aber auch das ödipale Grundmuster erkennen. Wie dem auch sei: Erst kommt ein Sturm, dann kommt ein Feuer. Mehr sei hier nicht verraten.
Wobei die Bezüge ins Damals oder Jetzt nie recht klar werden. Welcher Zölibat ist gemeint? Wieso tragen die Protagonisten arabisch klingende Namen, beten aber eine indische Gottheit (Brahma) an? Was soll das Südseeflair, diese Fischerromantik, was hat das alles mit dem Heute zu tun? Ach so, ja: nichts. Es ist eine alte Oper mit alter Musik. Nur das Ding mit der Eifersucht, die Brüder, die sich wegen der Liebe einer Frau entzweien, das bleibt ewig aktuell.
Plot? Angenehm simpel
Zuweilen kommen dann schöne Sätze raus, die über die Obertitel lesbar werden (die Oper ist natürlich en français): „Vielleicht hast du Ruhe gefunden, doch vergessen wirst du nie“ heißt es zum Beispiel oder bei der Ankunft der Priesterin: „Sing, damit die Wut des Sturms von deiner sanften Stimme besänftigt werde!“ Und immer schön mit Ausrufezeichen. Praktisch ist auch, dass ein, zwei Sätze meist für mehrere gesungene Passagen und mithin für ganze Handlungselemente ausreichen.
In „Die Perlenfischer“, was eine eh „unterschätzte“ und also lang übersehene Oper ist, wird eine besondere Qualität der Oper an sich nachfühlbar. Es ließe sich prima dazu einschlafen: Das Meer hat etwas Beruhigendes, das Setting ist nächtlich; die Musik ist schön und schwelgerisch, die Handlung bleibt angenehm simpel. Chor und Sänger geben ihr Bestes – lediglich Olga Peretyatko-Mariotti hat kleine Passagen in ihrer Performance, wo die klangliche Nähe zu Autoalarmanlagen nicht mehr ganz abzustreiten ist.
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