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„Konflikte sind ein Schatz fürs Leben“

Kiez Hipster und Hartzer – im legendären Kreuzberger Problem-Kiez „SO 36“ treffen Menschen unterschiedlichster Haltung und Herkunft genauso aufeinander wie Arm und Reich. Das erzeugt Reibungshitze

Christine Prußky
Maxi Artmann

ist Schatzmeisterin und ­Mitglied im Vorstand von Zoff Off. Sie möchte nicht streitlos durchs Leben gehen.

Mitten in SO 36 steht die Emmaus-Kirche. Und dort ist Zoff Off zu Hause, ein Verein ehrenamtlicher Mediatoren. Was machen die da? Ein Gespräch mit Maxi Artmann über Wege aus dem Krawall und den Wert von Konflikten.

taz: Frau Artmann, Sie sind im Vorstand von Zoff Off – einem Verein, in dem ehrenamtliche Mediatoren Menschen in Konflikten helfen, die sich eine Mediation sonst nicht leisten könnten. Wie entstand Zoff Off?

Maxi Artmann:Die Initialzündung gab Jörg Machel. Er ist Pfarrer der Emmaus-Kirchengemeinde in Kreuzberg und Absolvent des Studiengangs Mediation an der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Dort stellte er 2012 die Idee vor, ehrenamtlich Mediationen im Kreuzberger Kiez anzubieten. Es fanden sich auf den Schlag genügend Unterstützer, so dass die Idee weiterverfolgt werden konnte. In einem ganz wunderbaren Team haben wir ein gutes Jahr lang fast nur über das Konzept nachgedacht, diskutiert und so lange daran gefeilt, bis uns die Umsetzung schlüssig und machbar schien. Im Februar 2015 war es so weit: Wir konnten an die Öffentlichkeit gehen und erste Fälle annehmen. Mittlerweile haben wir gut 30 Fälle bearbeitet. Es funktioniert! Heute sind wir als gemeinnütziger Verein eingetragen.

Das klingt so, als könne man Streiten lernen. Sie sind als Mediatorin ja eine Expertin der Auseinandersetzung. Gehen Sie konfliktlos durchs Leben?

(lacht) Nein, natürlich nicht! Das wäre auch zu schade. Denn wir können in Streitsituationen ja so viel lernen. Selbst wenn man sich wie ich beruflich und wissenschaftlich mit Konflikten befasst hat, ist es für mich ganz persönlich immer wieder beeindruckend, was man aus Konflikten lernt. Man reift an ihnen, sie sind ein Schatz fürs eigene ­Leben.

Wie darf ich mir das vorstellen?

Bei einem Streit gerät die Kommunikation ins Stocken. Man hört sich nicht mehr wirklich zu, wiederholt die Positionen, ist genervt, fühlt sich ohnmächtig, wütend und verzweifelt. Mediationen bringen die Kommunikation wieder in Gang, indem sie klar strukturiert wird. Zunächst werden die Themen gesammelt, die zur Besprechung anstehen. In welcher Reihenfolge sie besprochen werden, bestimmen die Medianten. Wir Mediatoren achten darauf, dass kein Thema unter den Tisch fällt und alle gleichberechtigt zu Wort kommen. Alle dürfen und sollen ihre Interessen benennen – bei einer Mediation geht es also nicht um Positionen, sondern um Bedürfnisse. Sie stehen im Mittelpunkt. Wenn sie bekannt sind, ist der Boden für gegenseitiges Ver­stehen bereitet – und die Lösung zum Greifen nah.

Gibt es denn viele, die sich bei Ihnen engagieren wollen?

Oh, ja! Bei unseren monatlichen Plenumstreffen sind jedes Mal neue Gesichter dabei. Das ist großartig.

Muss ich auch zu den Plenumstreffen gehen, wenn ich selbst einen Konflikt habe, also Ihre Hilfe brauche?

Nein, Sie brauchen uns nur anzurufen. Es gibt eine Zoff-Off-Telefonnummer, unter der wir erreichbar sind. Und natürlich haben wir eine Mail-Adresse, info@zoffoff.de, die sich auch auf unserer Homepage finden lässt. Wer sich mit einem Konflikt bei uns meldet, braucht nichts weiter zu tun, als diesen grob zu schildern. Die Anonymität bleibt gewahrt. Den Namen und die Kontaktdaten derjenigen, die sich an uns wenden, bekommen nur die Mediatoren. Sie unterliegen wie alle Mediatoren auch der absoluten Schweigepflicht. Nichts, was in einer Mediation besprochen wird, dringt an Dritte.

Und das ist gebührenfrei?

Ja, wir bieten drei bis fünf Sitzungen kostenfrei an. Als gemeinnütziger Verein sind wir aber auf Spenden angewiesen und auf Sponsoren. Wir freuen uns über Zuwendungen unserer Medianten und aller, die Zoff Off finanziell unterstützen wollen.

Gibt es eine Qualitätssicherung bei Zoff Off?

Zunächst einmal ist es ja so, dass bei uns ausschließlich ausgebildete Mediatoren mitmachen dürfen. Wir arbeiten ehrenamtlich, aber professionell. Qualität ist uns sehr wichtig. So bieten wir unseren Mediatoren Fortbildungen und Supervisionen an, die stets gut genutzt werden. Die Arbeit der Medianten wird über Feedback-Bögen evaluiert, die wir an unsere Medianten schicken. Aus den Antworten können wir sehen, ob Medianten mit der Leistung zufrieden waren. Die Rückmeldungen sind sehr positiv. Das ist gut. Ganz unabhängig davon hat Zoff Off aber auch den Kontakt zur Viadrina bewahren können. Wissenschaftler von dort unterstützen uns freundlicherweise bei Bedarf mit begleitender Beratung. Christine Prußky

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