Reisen in Mitelamerika: Schön ist Nicaragua

Eine symbolische Geschichte vom Aufbruch und Wandel des mittelamerikanischen Landes: die Erfolgsstory des Bierbrauers José Marcel Sánchez.

Ein Boot auf einem See

Auf dem Nicaragua-See Foto: Andreas Drouve

Alles beginnt vor vier Jahren in einer Küche. In der landläufigen Küche seines Elternhauses im Dorf Dolores, ein paar Kilometer von der Panamericana entfernt in Nicaraguas südwestlichem Inland. José Marcel Sánchez, damals 28 Jahre alt , ist kein Koch, der am Herd steht, sondern promovierter Mikrobiologe mit Lust auf Experimente. Dank eines Stipendiums hat er in Seattle studiert. Nach der Rückkehr in seine Heimat, eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, ist er auf dem harten Boden der Realität aufgeschlagen. Jobs sind Mangelware.

Einige Zeit hat er sich mit der Arbeit in einem Callcenter über Wasser gehalten, während ein Traum in ihm reift: Er will Handwerksbierbrauer werden, der erste im Land. Nachteil: Er hat von Hopfen und Malz keine Ahnung. Zumindest zwei Voraussetzungen brachte er mit, erzählt er in Rückschau: „Als Mikrobiologe kannte ich mich mit Formeln aus. Und ich mochte Craft Beer, das ich in Seattle kennengelernt hatte.“

In besagter Küche experimentiert er nach Quellenstudien und dem Learning-by-Doing-Prinzip so lange in der Herstellung von Bier, bis ihn die Resultate zufrieden stellt. Er überzeugt seinen Schwager von der Geschäftsidee, erkämpft sich bei der Bank einen Kredit als Start-up und gründet das Unternehmen „Moropotente“, was „potenter Maure“ bedeutet.

Eine augenzwinkernde Hommage an seinen Urgroßvater, der aus Südspanien stammte und wegen seinen dunklen Teints nur „der Maure“ genannt wurde und laut Sánchez „30 Kinder zeugte“. Dies, so ergänzt er lachend , „allerdings nicht mit der selben Frau.“

Inspiration für junge Leute

Die Produktivkraft hat Sánchez also also geerbt, obgleich auf anderem Gebiet. Im Schuppen hinter seinem Elternhaus baut er eine Zwei-Raum-Brauerei samt Labor und Warenlager auf. Er initiiert den Import von Maschinen und Ingredienzen, entwickelt mit Helfern den Prototyp einer Flaschenabfüllanlage. Restaurants und Kneipen avancieren zu ersten Kunden, er erhält den Nationalen Innovationspreis.

Mittlerweile ist sein Unternehmen umgezogen und gibt knapp drei Dutzend jungen Leuten aus der Gegend Beschäftigung. „Das hat sie vor der Emigration nach Costa Rica bewahrt“, sagt José Marcel, der die Abwanderungen zum ungeliebten Landesnachbarn kennt. „Wir haben ein Geschäftsmodell entwickelt, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Mehr als nur Bier zu produzieren, füllen wir Inspiration ab“, erklärt er etwas pathetisch.

Antonio Armas Ocón, Touristiker

„Vulkane und Seen, Naturparks, Strände: Im Tourismus liegt die Zukunft“

Inspiration, die dem einst revolutionären Nicaragua in der aktuellen Politik völlig abgeht. Auffällig sind die Plakate der Sandinistenregierung. Präsident Daniel Ortega rückt in Heldenmanier die Hand gen Himmel, daneben posiert seine Frau. „Nicaragua ist aktuell eine Diktatur von einem Ehepaar und deren Kindern“, hat auch der Dichter Ernesto Cardenal kürzlich in einem Interview über den Ortega-Clan gesagt und hinzufügt: „Was die Zukunft bringen wird, weiß ich nicht. Ich wünsche nur, dass diese Diktatur endet.“

Der Bierbrauer Sánchez hält sich beim Thema Politik bedeckt: „Jedes Volk bekommt die Regierung, das es verdient. Wenn es Probleme gibt, sind Regierung und Opposition gleichermaßen dafür verantwortlich.“ Frei von politischen Einflüssen, dafür „in einer Atmosphäre des Respekts und der Toleranz“, so Sánchez, habe er bewiesen, was sich mit Initiative, Beharrlichkeit und dem Glauben an sich und seine Ideen auf die Beine stellen lässt. Mittlerweile hat die monatliche Produktion seiner Handwerksbrauerei 10.000 Liter erreicht.

Der Kick

Sánchez hat vorgemacht, wie es geht. Er ist Symbol des Wandels und Aufbruchs in Nicaragua, in einem Land, das gerade dabei ist, sich einen Platz auf der touristischen Landkarte Mittelamerikas zu erkämpfen. „Im Tourismus liegt die Zukunft“, bekräftigt Antonio Armas Ocón, Vorsitzender der touristischen Vereinigung Antur. Er beziffert die Zahl der Besucher auf gegenwärtig 1,4 Millionen pro Jahr. Tendenz stark steigend. „Vulkane und Seen geben Potenzial, Naturparks, Strände, sehenswerte Kolonialstädte,“ sagt Ocón.

Die Craftbeer-Brauerei: „Moropotente“ (www.moropotente.com) pflegt auch ihren Facebook-Auftritt, wo sie es auf fast 40.000 Likes bringt.

Sandboarding: Buchungen über Vapues Tours/Vianica (www.vianica.com) oder Nicaraguan Trails (www.nicaraguantrails.com).

Nicaraguasee: Eine Bootstour ab Granada zu den Isletas de Granada kostet für eine einstündige Ausfahrt ab 20 US-Dollar (www.vianica.com).

Eine der schönsten ist León, die Stadt der Kirchen, angeführt von der zum Weltkulturerbe erhobenen Kathedrale, deren Dachbereiche betretbar sind. Allerdings nicht mit Schuhen, wie das handgeschriebene Schild am Zugang anmahnt. So bleibt nur, barfuß oder auf Socken an die Balustraden zu gehen, um die Blicke über die Ziegeldächer der Stadt hinweg bis zum Vulkan Cerro Negro schweifen zu lassen. In der Ferne buckelt sich der „Schwarze Berg“ in konischer Musterform. Fährt man dort hin, kann man den größten Kick Nicaraguas erleben: Sandboarding auf Vulkan­asche. Bevor’s in Schussfahrt Nicaragua Die Erfolgsstory des Bierbrauers José Marcel Sánchez ist eine symbolische Geschichte von Aufbruch und Wandel des darbenden Landesabwärts geht, gilt es, das etwa acht Kilo schwere Board eine Stunde lang selbst auf den Gipfel zu schleppen. Kein Tourveranstalter stellt Sherpas, sondern nur Guides und Zubehör, zu dem Schutzanzug und Schutzbrille zählen.

Das Board gleicht einer ausgemusterten Schranktür, die auf die Sperrmüllabfuhr wartet. Einzige Unterschiede: Das Brett trägt an der Unterseite Metallbeschläge, damit es besser gleitet, und obendrauf eine Kordel mit Handgriff. „Wenn ihr die Kordel wie einen Zügel beim Pferd anzieht, um es zum Stehen zu bringen, werdet ihr umso schneller“, warnt Begleiterin Marjiory und mahnt an, ganz hinten in aufrechter Haltung zu sitzen und mit beiden Füßen gleichzeitig zu bremsen. „Sonst kippt ihr um, und das kann üble Schürfwunden geben“, trichtert Marjiory ihren Schutzbefohlenen ein.

Steht man oben am Abgrund, der einer Dachschräge zur Ehre gereicht, rutscht das Herz in den Overall. „Alles nicht so schlimm“, glättet Marjiory die Wogen der Aufregung, während hinten der Pazifik glitzert. Dann geht’s ab in den Rausch der Tiefe. Es knirscht und knackt und staubt. Rundherum fliegen Lavapartikel weg. Ständig klackt es auf der Schutzbrille. Die Haltung verkrampft, der Magen ebenso. Pures Adrenalin. Auslauf, Ende der Gleitzeit. Ein Minutenerlebnis, unfallfrei. Das Gesicht ist geschwärzt. Das Haar fühlt sich an wie Stroh.

Suche nach dem Zeitgeist

Der Sandboarding-Trip auf Vulkanasche ist typisch und untypisch zugleich für Nicaragua. Untypisch, weil Nicaragua eigentlich von seiner Authentizität lebt. Typisch, weil mit dem Tourismus ein neuer Zeitgeist weht, der auf künstliche Outdoorspektakel setzt, bei der unverkennbar US-Einflüsse hineinwirken.

Viele sehen in Nicaraguas beliebtestem Pazifikstrandort San Juan del Sur und in der Kolonialstadt Granada bereits jetzt die Gefahr, dass sich „die Dinge amerikanisieren“, obgleich dieser Prozess sicher langsamer voranschreite als andernorts in Zentralamerika. Obgleich der Tourismus in Nicaragua eher in den Anfängen steckt, fallen hier und da bereits aufgestellte Trinkgeldboxen auf. Und stolze Preise, gemessen am Pro-Kopf-Einkommen, das im Schnitt unter 2.000 US-Dollar pro Jahr liegt.

Nahe Granada sind Bootsausflüge durch den Archipel der Isletas de Granada im Nicaraguasee auf zahlungswillige Ausländer zugeschnitten. Wer durch die Inselwelt tuckert, erlebt widersprüchliche Welten. Einerseits ärmliche Fischer auf Beutefang, Reiher, kürbisartig herabhängende Nester von Montezumastirnvögeln, unverfälschte Natur. Zum andern Inselchen mit stattlichen Anwesen der nationalen Geldelite.

Eines steht gerade zum Verkauf. „340.000 Dollar“, gibt Käpten Juan Carlos den Preis an seine Gästefracht weiter. Zurück in Granada, kippt der Schalter wieder auf den Modus Vergangenheit um. Auf den Hauptplatz, mit seinem Grün und der Kathedrale der schönste im Land, dringen plötzlich ungewöhnliche Töne, die man für ausgestorben gehalten hätte. Nein, es ist nicht das Hufgeklapper der Pferdekutschen.

Es ist ein „Tak, tak, tak“, das durch die Arkaden hallt. Die Neugier treibt zu den Urhebern. Die Türen stehen offen, dann hört und sieht man sie vor Regalen, die sich unter Aktenbergen biegen: Beamtinnen in einem Großraumbüro der Verwaltung. Jede klappert auf ihrer Schreibmaschine. Tak, tak, tak.

In der Zeitblase

Manches, so scheint es, hat sich in einer Zeitblase ins dritte Jahrtausend katapultiert. Maultier- und Eselfuhrwerke holpern selbst über die Panamericana, Ochsenkarren über Land. Altersschwache Linienbusse glaubte man bereits in Museen. Überall blüht ein bunter Straßenhandel. Und in den Tabakfabriken um das nördliche Städtchen Estelí ist alles Handarbeit geblieben. Jede Zigarre wird unter Frauen- und Manpower einzeln gerollt und geprüft.

Fest steht: Wer das landschaftlich schöne Nicaragua erleben will, sollte nicht zu lange warten. Der geplante Bau des Nicaragua-Kanals könnte zu gravierenden Umwälzungen und Veränderungen führen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.