Mohammed Amin al-Husseini trifft Soldaten der islamischen Freiwilligenlegion anlässlich der Eröffnung des Islamischen Zentralinstituts im „Haus der Flieger“, Berlin 1942 Foto: Heinrich Hoffmann/ullstein bild

Der Antisemit braucht keine Juden

MedienAm Mittwoch wird das Erste die Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf die Juden in Europa“ zeigen. Der Film hat Mängel, stellt aber das Wesentliche richtig dar: Antisemitismus in Gestalt von Antizionismus und Verschwörungstheorie

von Ulrich Gutmair

Das Erste wird am Mittwochabend die TV-Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ zeigen. Anschließend soll die Gesprächsrunde bei Sandra Maischberger darüber diskutieren. „Dabei werden auch die vom WDR beanstandeten handwerklichen Mängel der Dokumentation berücksichtigt“, hieß es bei der ARD.

Die von Arte und WDR bestellte und dann nicht gesendete Dokumentation „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf die Juden in Europa“ hat in der Tat Mängel. Die Filmemacher beschäftigen sich mit zu vielen Themen, verlassen sich zu stark auf ihre Inter­view­partner und bleiben an manchen Stellen an der Oberfläche. Sie lassen auf israelischer Seite keine Historiker und Experten zu Wort kommen, sondern Leute, die mal mehr, mal weniger fundiert ihre Meinung zum Nahostkonflikt formulieren und dabei auch widerlegte historische Mythen wiederholen.

Auch hätten die Autoren So­phie Hafner und Joachim Schroe­der auf Polemik verzichten und stattdessen so nüchtern und präzise wie möglich beschreiben, zitieren und argumentieren sollen.

Dennoch haben die Filmemacher den Kern der Sache korrekt dargestellt: Sie zeigen, dass der Antisemitismus ein Weltbild bereitstellt, das Menschen aus sehr unterschiedlichen Gruppen miteinander verbindet. Sie zeigen, dass es sich dabei um einen Antisemitismus handelt, dessen Narrative oft einem spezifisch islamistischen Antisemitismus entstammen. Sie zeigen, dass dieser Antisemitismus eine krude Mischung aus uralten anti­jüdischen Stereotypen, anti­liberalen und antiemanzipatorischen Ressentiments und Verschwörungstheorien ist, die häufig im Rahmen eines militanten Antizionismus formuliert und vom dünnen Mäntelchen der „Israelkritik“ kaschiert werden.

Der vergiftete Brunnen

Der Antisemit braucht keine Juden. Und auch die neuen antisemitischen Antizionisten in Europa werden sich durch Kenntnisse der realen Verhältnisse in Nahost nicht bei der Pflege ihrer Projektionen stören lassen. Antisemitismus ist die Verdinglichung des Abstrakten in der Figur des Juden, der die Welt kontrolliert.

Antisemitismus ist daher kein bloßer Rassismus, und er ist selbst in Kontexten anschlussfähig, die sich selbst als antirassistisch definieren. Der Antisemitismus schafft einen Rahmen, mit dessen Hilfe eine komplexe Welt verständlich gemacht werden kann.

Der Film beginnt mit dieser Szene aus dem vergangenen Sommer: Der Vorsitzende der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, wird von den Mitgliedern des Europäischen Parlaments mit Beifall bedacht, obwohl er zuvor die uralte Mär von der Brunnenvergiftung zum Besten gegeben hat. Gerade letzte Woche, erzählte Abbas, hätten israelische Rabbiner wieder einmal gefordert, das Wasser der Palästinenser zu vergiften: „Ist das nicht Anstiftung zum Massenmord?“ Dass das niemand gestört zu haben scheint, Martin Schulz sich stattdessen twitternd für die „inspirierende Rede“ bedankte, ist verstörend. Der entscheidende Punkt ist ein anderer. Denn Abbas behauptete auch, wenn die Besatzung ende, dann ende der Terror in der ganzen Welt.

Damit hat er das zentrale Phantasma eines Antizionismus formuliert, der im Kern antisemitisch ist: Wenn die Israelis erst aus den palästinensischen Gebieten verschwinden, werde Friede auf Erden herrschen. Abbas gibt dies in einem historischen Moment von sich, als der syrische Diktator Assad bereits für den Tod von weit mehr Arabern verantwortlich ist als alle Kolonialmächte und Israel zusammen, wie der amerikanische Politikwissenschaftler Moishe Postone im Film sagt.

Warum bleibt Abbas’ Behauptung unwidersprochen? Weil sie eine Hypothese zuspitzt, die vielen Reportagen und Features über den Nahostkonflikt seit dem Sechstagekrieg von 1967 zugrunde liegt. Wir kennen diese disproportionale Denkfigur so gut, dass sie uns in Fleisch und Blut übergegangen ist: Der Nahostkonflikt ist einer der zentralen Konflikte der Gegenwart. Israel ist Täter, die Palästinenser sind Opfer. Wäre der Konflikt gelöst, wäre die Welt ein gerechterer Ort. Eben das macht diese Dokumentation in Wahrheit so „heikel“ (FAZ).

Der oben skizzierte Antisemitismus ist eine Reaktion auf die Moderne. Seine Popularität verdankt er auch den über den NS-Kurzwellensender Radio Zeesen seit 1941 auf Arabisch, Farsi, Türkisch und Hindi ausgestrahlten antisemitischen Propagandaprogrammen. Diese richteten sich gezielt an Muslime. Der Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, der von 1941 bis 1945 von Berlin aus die muslimisch-bosnischen SS-Divisionen befehligte, war für diese Programme mitverantwortlich.

Sie fügten dem antimodernen Antisemitismus eine europäische, nationalsozialistische Komponente hinzu, die sich als höchst erfolgreich erweisen sollte, wie der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel gezeigt hat: Die Muslime hatten die Juden traditionell nur als minderwertig und deswegen eher als bemitleidens- denn hassenswert betrachtet. Nun aber wurden sie als extrem mächtige Feinde des Islam, als Verkörperung der Moderne inszeniert. Die Bilder und Narrative dieses Antisemitismus sind ein Bumerang, der nach Europa zurückgekehrt ist. Die Filmemacher zeigen etwa eine große Auswahl von Musikvideos aus Deutschland und Frankreich, die sich in Hasspropaganda und Vernichtungsfantasien gegenüber Israel und Juden ergehen.

Der zwölfte Imam

Die antisemitische Ideologie der Nazis wurde auch von den Muslimbrüdern rezipiert, sie hat die Politik der PLO genauso wie Ajatollah Chomeinis islamische Revolution beeinflusst. In der politischen Theologie des iranischen Gottesstaats hat der Hass auf die Juden auch eine mes­sia­ni­sche Dimension: Wenn der zwölfte Imam erscheint, wird Israel vernichtet werden.

Die Bilder dieses Antisemitismus sind ein Bumerang, der nach Europa zurückkehrt

Einen entscheidenden Punkt in diesem Zusammenhang erwähnen die Filmemacher leider nicht: Dieser Antisemitismus gehört zum ideologischen Kernbestand von Regimen im Mittleren Osten, denen an der Verstetigung des Nahostkonflikts gelegen ist, weil er als zentrales Motiv einer Propaganda dient, die von eigener Misswirtschaft, von Korruption, Terror und Menschenrechtsverletzungen ablenken soll.

Der Film widmet sich dem Umstand, dass sich eine ganze Armada von NGOs in den palästinensischen Gebieten und Israel betätigt. Diese leisten zum Teil notwendige Arbeit, manche verfolgen aber eine Politik, die kontraproduktiv, wenn nicht ethisch fragwürdig ist, etwa wenn sie die internationale Boykottbewegung unterstützt.

Wenn man nach Gaza reist, sollte man fairerweise auch den anderen Teil der Geschichte erwähnen: Natürlich gibt es auch in Israel Interessen, die es wünschenswert erscheinen lassen, dass alles so bleibt, wie es ist. Darauf hinzuweisen, haben die Autoren leider verzichtet. Sie hätten zumindest erklären müssen: Es gibt nicht nur Gaza, sondern auch das Westjordanland. Es gibt gute Gründe, ein Ende der israe­li­schen Besatzung zu fordern. Das Phänomen des Antisemitismus aber wird nicht mit der Besatzung verschwinden, weil es mit ihr ursächlich nichts zu tun hat.

Teile der Aufnahmen aus Gaza-Stadt sind erhellend. Die Filmemacher berichten von Menschen, die ihnen erklären, die Europäer sollten ihre Zahlungen an das Hamas-Regime einstellen, bis es zusammenbreche. Das ist eine Forderung, die den Stereotypen widerspricht, die nicht nur die selbsternannten Freunde der Palästinenser in Europa – seien sie friedensbewegte Protestanten, BDS-Aktivisten, Verschwörungstheoretiker, Pegidisten, Antiimperialisten oder rappende Hassprediger – aufrufen, wenn sie das Bild vom „Freiluftgefängnis Gaza“ oder gar vom „Ghetto Gaza“ zeichnen.

Der Antisemitismus richtet sich gegen die liberale, moderne Gesellschaft als solche. Hafner und Schroeder stellen in ihrem Film in Bezug auf einige der großen Anschläge in Frankreich, etwa auf den koscheren Supermarkt und das Bataclan in Paris eine wichtige Frage: „Warum tut sich die gesellschaftliche Mehrheit so schwer, antisemitischen Terror auch so zu benennen?“

Gegen Ende der Doku lassen die Filmemacher François Pupponi, den sozialistischen Bürgermeister von Sarcelles an der Pariser Peripherie, zu Wort kommen. In seiner Kommune leben traditionell Christen, Muslime und Juden zusammen, über viele Jahrzehnte ohne größere Probleme. Doch wegen massiver Anfeindungen verlassen nun immer mehr Juden den Ort in Richtung Israel. Pupponi sagt: „Die französischen Juden glauben, dass sie in Frankreich keine Zukunft haben. Ich bitte sie, zu bleiben, weil wenn sie gehen, ist Frankreich tot. Wenn ein Jude seinen Glauben hier nicht mehr leben kann, dann gibt es unsere säkulare Republik, unsere Idee von Religionsfreiheit nicht mehr.“