RepressionIn Göttingen legte die Polizei offenbar über Jahre rechtswidrig eine Datensammlung über Linke an: Staatliche Schnüffler
aus Berlin Konrad Litschko
Es waren fünf prall gefüllte Ordner, die im Kommissariat 4 der Göttinger Polizei, dem Staatsschutz, standen. Dutzende Namen waren darin abgeheftet, daneben Fotos, die Wohnanschrift, die Religionszugehörigkeit, der Familienstand. Das Vergehen der Gelisteten: Sie erschienen den Polizisten offenbar als Linke.
Die Akten wurden über Jahre befüllt. Über eine Person heißt es, er habe an einem Informationsstand gegen die Bundeswehr mitgewirkt, ein anderer habe sich auf einer Demonstration im Block der Sozialistischen Arbeiterjugend befunden. Zu einer Frau wird ihr Engagement für die Grüne Jugend vermerkt. Bei einer Person fanden die Beamten auch bemerkenswert, dass sie bei Rewe arbeitet.
Auch eine Pinnwand hing im Kommissariat, mit Fotos und Namen einiger Personen. In internen E-Mails des Kommissariats wurde auch schon mal notiert, wer zu welcher Uhrzeit mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, im Bus saß oder das Fitnessstudio aufsuchte. Ihre Ordner hatte der Staatsschutz mit „Limo“ beschriftet, ein Polizeibegriff für „Straftäter, politisch links orientiert“. Dass den Aufgeführten Straftaten vorgeworfen wurden, ist aus den Papieren jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr scheint es, dass die Göttinger Staatsschützer schlicht Personen notierten, die sie für weit links hielten.
Das Vorgehen wird nun ein Fall für die Justiz. Ein Sprecher des Verwaltungsgerichts Göttingen bestätigte am Freitag der taz, dass acht der geführten Personen diese Woche Klage gegen die Datenerhebung einreichten. Das Gericht solle feststellen, dass die Sammlung rechtswidrig war. Zudem verlangen die Betroffenen Akteneinsicht. Von einem „Skandal“ spricht Sven Adam, Anwalt der Betroffenen. „Das ist eine verdeckte Datenerhebung ohne jede gesetzliche Grundlage. Diese Datei hätte es nie geben dürfen.“
Die Göttinger Polizeidirektion wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Man sei über die Klage informiert, sagte eine Sprecherin. Zugestellt sei diese aber bisher nicht, deshalb mache man vorerst keine Angaben.
Sven Adam, Anwalt der Betroffenen
Zusätzlich pikant: Nach taz-Informationen behauptet ein seit anderthalb Jahren pensionierter Kriminaloberkommissar aus dem Göttinger Staatsschutz, Vorgesetzte wiederholt auf das rechtswidrige Vorgehen hingewiesen zu haben – ohne dass sich etwas geändert habe. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Göttingen – allerdings gegen den Mann. Die Göttinger Polizei hatte zu Jahresbeginn Anzeige gegen den Exbeamten wegen versuchter Erpressung gestellt. Laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft habe er eine Beförderung erzwingen oder andernfalls die Datei öffentlich machen wollen. Im April wurde die Wohnung des 63-Jährigen durchsucht.
Rechtsanwalt Adam spricht von einem „grotesken“ Vorgehen. „Statt den Mann anzuzeigen, wäre es die Pflicht der Polizei gewesen, seinen Hinweisen nachzugehen und die illegale Praxis umgehend zu stoppen.“
Erst Ende 2016 war bekannt geworden, dass niedersächsische Polizeibehörden in mehr als 500 Fällen persönliche Daten von Demonstrationsteilnehmern gespeichert hatten. Nach Kritik der Landesdatenschutzbehörde sollen die Einträge wieder gelöscht worden sein. Das niedersächsische Innenministerium hatte 2012 die Polizeidirektionen angewiesen, schon bei Anmeldern von Demonstrationen keine personenbezogenen Daten zu speichern, solange die Aufzüge friedlich blieben. Für Demonstrationsteilnehmer oder sonstig gewaltlos politisch Aktive gilt das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.
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