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Debatte über Brandschutz

London Noch immer sind nicht alle Vermissten aus dem abgebrannten Hochhaus geborgen. Nun wird untersucht, ob die Brandschutzbestimmungen im Land ausreichen

Fassade des Grenfell Towers gestern Foto: Frank Augstein/ap

LONDON dpa | Ein schwarzes Gerippe ragt in den blauen Londoner Sommerhimmel. Es qualmt noch, selbst 30 Stunden danach. Vor dem Grenfell Tower suchen Menschen mit Fotos und Aushängen nach Hinweisen auf ihre Freunde, ihre Familie. Ein Junge sucht seinen Mitschüler. Eine Mutter soll mit ihren sechs Kindern aus der Wohnung hoch oben geflohen – und mit nur vier Kindern unten angekommen sein.

Mindestens 17 Menschen verloren ihr Leben. 37 waren am Donnerstagmittag noch im Krankenhaus, 17 davon in kritischem Zustand. „Wir erwarten, dass die Zahl der Opfer noch weiter steigen wird“, sagte ­Stuart Cundy von der Londoner Polizei. Niemand weiß genau, wie viele Menschen in dem 24-stöckigen Sozialbau waren, als in der Nacht zum Mittwoch das Feuer ausbrach. Niemand weiß, wie viele es lebend rausschafften, wie viele drinblieben. Dass gerade Ramadan ist, könnte manchen das Leben gerettet haben. Einige Muslime waren zum Essen noch wach, als das Feuer ausbrach – und sollen auch Nachbarn aus dem Bett geholt haben.

Die Feuerwehr kann die oberen Stockwerke auch am Tag nach dem Feuer nicht gründlich durchsuchen. Die Ränder des quadratischen Turms sind instabil. Es sieht aus, als könne die Fassade jederzeit bröckeln. Wochen werde die Arbeit noch dauern, kündigt Feuerwehr-Chefin Dany Cotton an. Die Helfer wollen Fingerabdrücke nehmen und Hunde in das Gebäude schicken. Hat Cotton Hoffnung, noch jemanden lebend zu finden? „Es wäre ein Wunder“, sagt die junge Frau.

Anwohner und Angehörige stellen immer lauter die Frage nach Schuld. Wie konnte es passieren, dass das Haus wie eine Fackel rasend schnell in Flammen aufging? Welche Rolle spielte die Fassadendämmung? Sie ähnelte laut einem Bericht der Zeitung Daily Mail der eines Ende 2014 ebenfalls ausgebrannten Hochhauses in Melbourne. An den Außenwänden beider Gebäude seien Platten aus einem leicht entzündbaren Aluminiumgemisch angebracht gewesen, so die Zeitung. Beim Brand des Melbourner Wohnhauses hatte eine brennende Zigarette auf einem Balkon in der achten Etage das Feuer ausgelöst, wie Daily Mail und Guar­dian unter Berufung auf die Feuerwehr berichteten. Die Flammen hatten dem Guardian zufolge binnen elf Minuten das Dach des 21-stöckigen Gebäudes erreicht. Die Feuerwehr sah damals einen direkten Zusammenhang zwischen den Aluminiumverbundplatten und den sich rasch nach oben ausbreitenden Flammen. Eine nicht entflammbare Fassadenverkleidung hätte die Wahrscheinlichkeit eines Großbrands sogar reduziert, zitierte der Guardian aus dem Bericht der australischen Gutachter.

In Großbritannien ist eine Debatte über die Brandschutzbestimmungen ausgebrochen. Premierministerin The­re­sa May ordnet eine unabhängige Untersuchung an, Oppositionsführer Jeremy Corbyn demonstriert Gefühl: Es gebe viele Hochhausbewohner im Land. „Jede einzelne Person wird sich heute fragen: Wie sicher bin ich?“

Eigentlich wird Brandschutz in Großbritannien sehr ernst genommen. In neueren Hochhäusern sind Sprinkler Verwaltungsangaben zufolge vorgeschrieben, eine Pflicht zur Nachrüstung gibt es jedoch nicht.

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