Demoverbot zum G-20-Gipfel: Grundrecht großflächig außer Kraft gesetzt

Hamburgs Polizei erklärt zum G-20-Gipfel 38 Quadratkilometer Stadtgebiet für zwei Tage zur Demo-freien Zone. G-20-Gegner wollen dagegen klagen.

Nur die Messehallen in Hamburg zu beschützen, reicht der Polizei beim G-20-Gipfel nicht. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

HAMBURG taz | In Hamburg soll das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit während des G-20-Gipfels für zwei Tage in weiten Teilen der Stadt außer Kraft gesetzt werden. In einer vom Hamburgs Polizeipräsidenten Ralf Meyer erlassenen „Versammlungsrechtlichen Allgemeinverfügung“ soll ab dem 7. Juli um sechs Uhr morgens bis zum 8. Juli um 20 Uhr eine Demonstrationsverbotszone gelten.

Die 38 Quadratkilometer große Zone erstreckt sich vom Hamburger Hauptbahnhof und der Innenstadt westlich bis zu den Stadtteilen rund um das G-20-Tagungszentrum in den Messehallen, erfasst die Regionen rund um die Außenalster, wo sich eine Vielzahl der Hotels der Regierungsdelegationen befinden, und geht bis nördlich zum Flughafen, auf dem die meisten Präsidenten-Delegationen eintreffen werden. Ein Demoverbot herrscht am 7. Juli auch rund um die Elbphilharmonie.

Damit sind alle Versprechungen des rot-grünen Senats, dass während des G-20-Gipfels das Demonstrationsrecht weitgehend unangetastet bleibe und Protest in Hör- und Sichtweite des Tagungsorts möglich sein werde, hinfällig. „Wir sind uns im Senat einig: Es wird keine Demonstrationsverbotszone geben“, hatte Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) noch Ende April beteuert. Noch vor wenigen Tagen prognostizierte Innensenator Andy Grote (SPD) angesichts der Vielzahl der ­G-20-Proteste ein „Festival der Demokratie“.

Am 7. und 8. Juli treffen sich in Hamburg die Staatschefs der größten Industrie- und Schwellenstaaten zum G20-Gipfel. Die taz berichtet dazu in einem laufend aktualisierten Schwerpunkt und ab dem 1. Juli mit täglich 8 Sonderseiten.

Unwahrscheinlich, dass der Chef der Innenbehörde von der Vorbereitung der 66-seitigen Demonstrationsverbotsverfügung nichts wusste, mit der die Polizei ja bereits im April bei den ersten Kooperationsgesprächen mit den Organisatoren der Großdemonstration des Bündnisses „Grenzenlose Solidarität statt G 20“ am 8. Juli kokettierte.

Zum G-20-Gipfel der mächtigsten Regierungschefs der Industrie- und Schwellenländer am 7.und 8. Juli werden 36 Regierungsdelegationen erwartet.

Zum Schutz der Gipfel-Teilnehmer werden 20.000 schwerbewaffnete Polizisten sowie Beamte des Bundeskriminalamtes und der Bundespolizei mit schweren Geräten im Einsatz sein.

Allein 2.500 Polizisten sind nur dafür abgestellt, die Fahrzeugkolonnen durch die Stadt zu schleusen.

Um den Tagungsort in den Messehallen und die Elbphilharmonie werden jeweils eine rote und gelbe Sicherheitszone eingerichtet.

Im sogenannten Transferkorridor sollen Versammlungen verboten sein, weil von der Polizei Blockaden der Konvois durch G-20-Gegner befürchtet werden.

Meyer und Grote begründen die Demoverbotszone nun mit der Notwendigkeit eines „Transferkorridors“, der die sichere An- und Abreise der Staats- und Regierungschefs zu ihren Hotels und Tagungsstätten sichern solle. „Sonst kann ich die Sicherheit nicht gewährleisten“, sagt Grote. Bis zu 35 Delegationen in Kolonnen mit bis zu 40 Fahrzeugen müssten mehrfach durch die Stadt gelotst werden. Diese dürften nicht zum Stehen kommen, da es sonst zu unkalkulierbaren Reaktionen der Personenschützer kommen könnte.

Während CDU und die AfD das größte Demoverbot, das es je in einer deutschen Großstadt gegeben hat, begrüßen, bezeichnen die mit-regierenden Grünen die Grundrechtseinschränkung zwar als „bitter“, aber vertretbar, so die Innenpolitikerin Antje Möller: „Diese Einschränkungen sind aus unserer Sicht nachvollziehbar.“

Die Linkspartei sieht hingegen in den Notstandsmaßnahmen ein „Desaster der Demokratie“, wie die innenpolitische Sprecherin Christiane Schneider sich ausdrückte. „Durchgesetzt hat sich die polizeiliche Logik, zentrale Grund- und Freiheitsrechte absoluten Sicherheitsinteressen der Gipfelteilnehmer unterzuordnen“, kritisiert sie. „Der Entscheidung von Bürgermeister Olaf Scholz, den Gipfel nach Hamburg zu holen, folgt jetzt die Ankündigung eines polizeilichen Ausnahmezustandes.“

„Blaue Zone“ in Hamburg: Am 7. und 8. Juli sind hier Demonstrationen verboten. Grafik: Hamburger Innenbehörde

Das Bündnis gegen den G 20 hat Klage gegen die Allgemeinverfügung sowie die „demokratie- und grundrechtsfreien Zonen“ angekündigt.

Der ehemalige Hamburger CDU-Bürgerschaftsabgeordnete und Verfassungsrechtler Ulrich Karpen sieht gute Chancen für die Kläger. „Die Verbotszone ist viel zu groß und nicht begründbar“, sagte er der taz. Die Zufahrtswege zum Flughafen oder zum Gästehaus des Senats, in dem US-Präsident Donald Trump übernachten soll, müssten natürlich gesichert werden, „alles andere schießt über das Ziel hinaus“. Karpen verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts beim ­G-8-Gipfel in Heiligendamm vor genau zehn Jahren. „Da wollte die Polizei das Versammlungsrecht auch in halb Rostock einschränken.“ Rechtswidrig, fanden die Verfassungsrichter – und hoben die Verfügung wieder auf.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.