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Sicherheit Die Anzahl der legalen und illegalen Waffen, die in Deutschland im Umlauf sind, steigt. Wie verändert sich eine Gesellschaft, die aufrüstet? Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich bewaffnet haben: mit Pfefferspray, Gaspistolen und scharfen WaffenGerman Angst

Aus Dunningen und Postbauer-Heng Steffi Unsleber

An einem nebligen Sams­tagmorgen im Februar stehe ich in einem Schützenhaus im Schwarzwald und versuche, mich zu entspannen. Um meine Hüften hat der Trainer einen Gürtel mit Munition geschnallt. In meinen Händen halte ich eine Pistole. Eine Glock 19. Ich finde sie ziemlich schwer.

Mit mir sind fünf andere Menschen nach Dunningen gekommen. Eine Krankenschwester, eine Zahnärztin, ein Angestellter in einem Rüstungskonzern, ein Autohändler, ein Jäger. Sie wissen nicht, dass ich Journalistin bin. Im Moment versuche ich, den Eindruck zu erwecken, dass ein Pistolenkurs eine völlig normale Samstagmorgengestaltung für mich ist.

Es gibt keine Vorstellungsrunde, wir legen direkt los. Sven Stollenwerk, der früher bei der Bundeswehr war und als Verkäufer für denselben Rüstungskonzern arbeitet, zählt uns die Sicherheitsregeln auf. Erstens: Wir behandeln jede Waffe, als ob sie geladen wäre. Zweitens: Wir zielen nie auf Menschen, sondern halten den Lauf immer nur dorthin, wo es nicht gefährlich ist. Drittens: Der Finger ist nie am Abzug, außer wir zielen. Viertens: Wir überprüfen, dass sich nichts, was wir nicht treffen wollen, zwischen uns und dem Ziel befindet.

Dann füllen wir das Magazin mit Munition. Meine Hände zittern.

Ich bin hier, weil ich etwas über Menschen erfahren will, die sich bewaffnen. Ich will verstehen, warum die Anzahl der kleinen Waffenscheine so stark steigt. Im Vergleich zu 2014 hat sie sich fast verdoppelt. Ein kleiner Waffenschein berechtigen zum Führen von Gas-, Schreckschuss- und Signalwaffen in der Öffentlichkeit. Wer besorgt sich den? Und wofür?

Ich richte mir einen Google Alert ein. Ein Jahr lang schickt mir Google die Polizeimeldungen und Zeitungsartikel, in denen Gaspistolen vorkommen.

4. Mai 2016, Frankfurt am Main, Hessen: Ein Mann, der mit einer Gaspistole auf ein Flüchtlingsheim in Hofheim geschossen hat, wird vom Amtsgericht Frankfurt verwarnt. In seiner Wohnung waren CDs von rechtsradikalen Bands und NPD-Aufkleber gefunden worden.

23. Juni 2016, Ratzeburg, Schleswig-Holstein: Ein Autofahrer wird auf der Autobahn von zwei falschen Polizisten überfallen. Sie rauben den Autofahrer aus, schießen mit einer Gaspistole in das Auto und fliehen unerkannt.

Waffen in Deutschland

Gaspistolen:Die Anzahl der kleinen Waffenscheine hat sich in den vergangenen zwei Jahren fast verdoppelt. Im April 2015 waren im Nationalen Waffenregister 268.159 erteilte kleine Waffenscheine registriert – April 2017 waren es dagegen schon 515.845. Am stärksten stieg die Anzahl der kleinen Waffenscheine im Januar 2016. Damals erteilten die Behörden in einem Monat 29.857 Menschen die Erlaubnis, Gas-, Signal- und Schreckschusswaffen in der Öffentlichkeit mit sich zu führen. Man braucht keine besonderen Fähigkeiten, um den kleinen Waffenschein zu erwerben. Es ist auch kein Kurs nötig. Jeder, der 18 Jahre alt ist und keine Vorstrafen hat, kann ihn beantragen. Eine Gaspistole besitzen darf man dagegen auch ohne Waffenschein – man darf sie dann nur nicht draußen herumtragen.

Scharfe Waffen:In Deutschland sind über 5 Millionen registrierte Waffen in Privatbesitz. Im vergangenen Jahr kamen 17.647 Waffen dazu. 2,5 Millionen Menschen haben eine waffenrechtliche Erlaubnis, kleine Waffenscheine ausgenommen. Das bedeutet, dass sie Waffen besitzen oder führen dürfen. Fast 2 Millionen Menschen haben eine Waffenbesitzkarte, sie dürfen also zu Hause Waffen aufbewahren.

Rechtsextreme:Laut Bundesregierung haben 750 Rechtsextreme waffenrechtliche Erlaubnisse. Sie besitzen also eine Waffe oder dürfen sie in der Öffentlichkeit führen. Der Wert hat sich gegenüber 2014 fast verdoppelt. Die Anzahl der illegalen Waffen, die bei Rechtsextremen gefunden wurden, wird von der Bundesregierung statistisch nicht erfasst. Im Jahr 2016 wurde die Bundesregierung von ausländischen Geheimdiensten über zwölf Fälle unterrichtet, in denen Rechtsextreme im Ausland an Waffenübungen teilgenommen haben. Im selben Jahr wurden Flüchtlinge oder ihre Unterkünfte 79-mal mit Waffen angegriffen.

Alle paar Tage landen neue Meldungen in meinem Postfach. Ich lerne: Es sind vor allem Irre, Kriminelle und Rechtsradikale, die es mit Gaspistolen in die Nachrichten schaffen. Oft täuschen sie vor, eine scharfe Waffe zu haben. Nicht selten eskaliert dadurch die Situation.

23. Juni 2016, Viernheim, Hessen: Ein 19-Jähriger nimmt mithilfe einer Schreckschusspistole in einem Kino vier Angestellte und 14 Besucher als Geiseln. Er war Inhaber eines kleinen Waffenscheins. Er wird von der Polizei getötet.

Gleichzeitig sind in Deutschland immer mehr illegale Waffen im Umlauf. Zum Teil werden sie einfach aus Osteuropa oder dem Balkan über die offenen oder schlecht kontrollierten Grenzen geschmuggelt. Auch Dekowaffen, die zum Beispiel als Requisiten im Theater verwendet werden – sie werden in Deutschland umgebaut und scharf gemacht. Zum anderen kann man scharfe Waffen auch online bestellen, im Darknet oder über Onlineshops wie „Mi­gran­tenschreck“. Diese illegale Internetplattform verschickte von Ungarn aus Pistolen und Gewehre an deutsche Kunden. Sie ist inzwischen offline.

23. September 2016, Eschede, Niedersachsen: Ein Betrunkener bedroht in einem Supermarkt Kunden mit einer Waffe. Als die Polizei ihn überwältigt, entschuldigt er sich und gibt an, nur Spaß gemacht zu haben. Seine Waffe war eine Gaspistole, in der sich kein Magazin befand.

In meinem Umfeld gibt es niemanden, der sich bewaffnet hat. Ich frage einen Waffenhändler aus meinem Heimatdorf. Er sagt, dass er kaum Gaspistolen verkauft, weil er sie für zu gefährlich hält. Ich spreche mit anderen Waffenverkäufern. Sie sagen, ihre Kunden sind sehr unterschiedlich: Von der Oma bis zum jungen Burschen sei alles dabei. Aber niemand will mir Kunden vermitteln. Ich frage einen alten Freund, der in einem Industriebetrieb in der Produktion arbeitet. Er sagt, in seiner Abteilung habe jeder Zweite eine legale oder illegale Waffe, seine Kollegen prahlten damit am Fließband. Leider möchte niemand mit mir sprechen.

30. November 2016, Zwickau, Sachsen: Bei einem Streit zwischen drei Deutschen und etwa 20 Flüchtlingen am Bahnhof schießt einer der Deutschen mit einer Schreckschusswaffe auf einen irakischen Asylbewerber.

Schließlich finde ich in Anklam einen Kurs für Schreckschusswaffen. Vorpommern; hier gibt es eine etablierte rechte Szene. Ich melde mich an, überlege, sage schließlich, dass ich Journalistin bin. Ich bekomme eine Absage, der Kurs ist angeblich voll. Schließlich stoße ich auf den Pistolenkurs im Schwarzwald. Ich schreibe dem Trainer von meiner privaten ­E-Mail-Adresse, schicke ein Führungszeugnis und bin drin.

Ich richte die Pistole mit durchgestreckten Armen auf die Wand vor mir und ziehe ganz langsam den Abzug

Wir haben inzwischen Ohrenschützer und Plastikbrillen aufgesetzt und stehen im Schießstand. Wir sollen die Pistole laden, also das Magazin einsetzen. Ich bin wie erstarrt, habe Angst, dass sich ein Schuss löst. Wenn ich stolpern würde, könnte ich jemanden erschießen. Ich bin etwas schusselig. Meine Hände sind jetzt feucht.

Der Trainer merkt, dass etwas nicht stimmt. Meine Stimme ist viel zu hoch, als ich ihm sage, dass ich es nicht schaffe. Die anderen schauen mich irritiert an.

Als der Trainer das Magazin für mich eingesetzt hat, sagt er: „Schießen!“

Einer nach dem anderen drückt ab. Bei mir dauert es eine Ewigkeit. Ich richte die Pistole mit durchgestreckten Armen auf die Wand vor mir und ziehe ganz langsam den Abzug. Der Schuss löst sich, die Wucht lässt mich stolpern, ich spüre einen scharfen Schmerz an der Hand. Ich nehme zitternd den Finger vom Abzug, schiebe die Waffe ganz langsam in mein Halfter und bin erleichtert, sie für einen Moment los zu sein. Von meinen Fingern tropft das Blut, der Rückstoß hat meine Haut aufgeschrammt. Der Jäger nimmt mich in den hinteren Teil des Raums und verbindet mir die Hand.

Wir lernen, Blockaden an der Pistole zu beseitigen und im Schießen nachzuladen. Das Magazin fallen zu lassen und ein neues in die Pistole zu stecken. Es sieht aus wie im Film. Dann zielen wir auf die Scheiben. Ich treffe dreimal in Folge ins Schwarze. Der Trainer stellt sich zu mir und lobt mich. Ich bin so angespannt, dass ich ihm nicht mal antworten kann. Ich habe immer noch Angst, mich oder andere zu verletzen.

Die anderen sind wie elek­tri­siert. Sie schießen jetzt in immer kürzeren Abständen auf die Wand. Es ist zu eng hier. Die leeren Patronenhülsen fliegen mir ins Gesicht, in die Haare, in die Kapuze. Sie sind heiß. Eine Hülse fliegt mir in den Ausschnitt meines Pullis und stoppt erst an meinem Bauchnabel. Die Schüsse dröhnen in meinen Ohren.

Als der Trainer sagt, dass wir unsere drei Magazine jetzt verballern können, höre ich auf. Ich bin erschöpft, am nächsten Tag werde ich am ganzen Körper Muskelkater haben. Ich setze mich in den hinteren Teil der Halle und schaue den anderen zu, wie sie Patrone um Pa­tro­ne abfeuern. Ein Schuss kostet etwa 30 Cent.

Als ich nach dem Kurs erzähle, dass ich Journalistin bin, ist der Trainer nicht gerade erfreut. Aber einige Teilnehmer sind einverstanden, mit mir zu sprechen. Ebenso ein Paar, das vor einem Jahr an einem Kurs für Schreckschusspistolen teilgenommen hat und das mir der Trainer vermittelt.

Daniel Mützel, ein Kollege, hat im Rahmen einer Recherche für Motherboard und SZ.de Kunden von Migrantenschreck besucht. Aktivisten hatten ihm und anderen Journalisten eine Liste mit Kundendaten zugespielt und sie später auch der Staatsanwaltschaft geschickt. Zwei der Protokolle hat er der taz exklusiv zur Verfügung gestellt.

Die sechs hier vorgestellten Menschen, die sich auf die eine oder andere Art Waffen besorgt haben, haben unterschiedlichste Gründe. Hört man ihnen zu, erfährt man, was Menschen antreibt, sich in Deutschland in diesen Tagen zu bewaffnen.

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